Frappé fédéralSlapstick-Chiesa, Sieger-Ritter, Kinder-Kälin
Wer hat sich blamiert im Ständerat? Und wer hat es wieder einmal allen gezeigt? Der etwas andere Rückblick auf die zu Ende gegangene Wintersession des Parlaments.
Als sie einst mit dem frisch geborenen Sohnemann im Bundeshaus aufkreuzte, zog sie teils noch schräge Blicke auf sich – jetzt aber blicken alle zu ihr hoch: Irène Kälin, Grüne aus dem Kanton Aargau, hat ihre ersten drei Wochen als Nationalratspräsidentin hinter sich. In ihrem hohen Amt kommt Kälin die erzieherische Erfahrung einer Mutter zweifellos zugute. Schon am zweiten Sessionstag musste die neue Präsidentin störrische Ratsmitglieder an die Maskenpflicht im Saal erinnern: «Es ist eine Frage des Respekts gegenüber Ihren Kolleginnen und Kollegen.» Nationalrätinnen und -räte sind eben auch nur Kinder, irgendwie.
Ob Maskenpflicht, 2-G oder Wirtschaftshilfen: Corona war einmal mehr das grosse Thema im Bundeshaus. Am meisten Zeit beanspruchten umfangreiche Ergänzungen und Änderungen am Covid-19-Gesetz: jenem Gesetz, das in einer älteren Fassung am 28. November eben erst eine Volksabstimmung passierte. Die unterlegene Gegnerschaft diskutiert bereits eine Neuauflage: Man prüfe, gegen die aktuellen Änderungen das Referendum zu ergreifen, teilte Aktivist Nicolas Rimoldi auf Twitter mit. Ein Kampfgefährte sekundierte: «Referendum gegen alles. Und wenn sie auch nur ein Komma ändern.»
Ziehen die Aktivisten den Referendumsplan erfolgreich durch, zementieren sie das Gesetz in eben jener Fassung, die sie am 28. November noch bekämpften. Das Zertifikat bliebe bestehen. Abgeschafft würden dafür verschiedene Wirtschaftshilfen. Und die vom Parlament beschlossenen Gratistests. Es darf sich jeder seine Pointe selber aussuchen.
Den wohl kuriosesten Corona-Moment der Session bescherten uns die SVP und ihr Präsident Marco Chiesa. Mit 50 Unterschriften hatte seine Fraktion die Abhaltung einer «ausserordentlichen Session» während der ordentlichen Session erzwungen. Einziges Traktandum: eine chancenlose SVP-Motion für die Aufhebung der besonderen Lage. Im Ständerat eröffnete der Ratspräsident die Übung mit dem Glöckchen, dann hielt Chiesa einen länglichen Monolog, der darin gipfelte, dass Chiesa die Motion zurückzog. Wieder Glöckchen und fertig war die ausserordentliche Session. Sogar Chiesas Parteikollege Alex Kuprecht schüttelte den Kopf – und suchte mit seinem Blick irgendwo im Deckengemälde Halt.
Wie dagegen hocheffizientes Politlobbying funktioniert, demonstrierte ein alter Unverwüstlicher: Markus Ritter, Präsident des Bauernverbands. «Die Macht des obersten Bauern schwindet», titelte diese Zeitung im Sommer. Das war vielleicht etwas vorschnell: Nicht nur gelang es der Bauernlobby diese Woche, den Gegenvorschlag zur Massentierhaltungsinitiative im Parlament abzuschiessen. Ganz klandestin schafften es Ritter und seine Getreuen auch einmal mehr, beim Voranschlag 2022 höhere Beiträge für Milchwirtschaft und Zuckerrübenanbau durchzudrücken. Finanzminister Ueli Maurer stellte sich im Ständerat zwar pro forma gegen die Erhöhung, schob indes sogleich hinterher: «Ich mache mir keine Illusionen, dass ich Sie von Ihrem Antrag abbringen kann.»
Womit sich das Parlament sonst noch so beschäftigte: Es lehnte eine Reihe von Standesinitiativen ab, die ein «Verbot von Killerspielen» forderten. Das klingt wie ein Revival der fast vergessenen Debatte, die vor etwa anderthalb Jahrzehnten die – längst in den Berner Regierungsrat entschwundene – SP-Nationalrätin Evi Allemann lanciert hatte. Klingt wie ein Revival, ist es aber nicht: Es gab keine mündliche Debatte, und die erwähnten Standesinitiativen stammen aus den Jahren 2008 bis 2010.
Einmal mehr wird deutlich, warum Videospiele vielen Mitgliedern der eidgenössischen Räte eine eher fremde Welt sind. In den sogenannten Ego-Shootern («Killerspiele») kommt es auf sekundenschnelle Reaktion an. Im Parlament dagegen bleiben Vorstösse bis zur Behandlung auch mal 13 Jahre liegen.
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