Irène KälinJung, grün, höchste Schweizerin
Nur vier Jahre nach ihrem Einzug in den Nationalrat ist Irène Kälin schon Präsidentin. Man dürfe ruhig merken, dass nun eine junge Mutter am Ruder sei, sagt die 34-Jährige.

Politikerinnen sind schon feierlicher ins Amt als höchste Schweizerin gestartet. Zu Beginn der Wintersession wurde die Grüne Irène Kälin am Montagnachmittag zur neuen Nationalratspräsidentin gewählt – als erst zweite Grüne. Doch der traditionelle Präsidentenapéro im Bundeshaus entfiel aus Pandemiegründen, die Feier im Heimatkanton Aargau wurde gar auf nächsten Juni verschoben. Sicher ist sicher.
In einem Interview mit der «Aargauer Zeitung» macht die erst 34-Jährige keinen Hehl daraus, dass auch sie müde ist von der Pandemie. Statt endlich Licht zu sehen, fühle es sich an, als ob ein neuer Tunnel auf uns zukomme, so die Grüne. Insbesondere die Spaltung der Gesellschaft mache ihr Sorgen.
Trotzdem strahlte die Aargauerin, als sie sich in ihrer Antrittsrede in vier Sprachen an die angereisten Weggefährtinnen, Weggefährten und «Lieblingsmenschen» wandte.
«Der Schock kam erst als Mutter.»
Noch vor wenigen Jahren hätte sie wohl kaum jemand auf diesem Platz gesehen. Kälin ist erst vor vier Jahren in den Nationalrat eingezogen – nachgerutscht für ihren Parteikollegen Jonas Fricker, der sich mit einem Vergleich von Schweinetransporten mit der Deportation von Juden ins Abseits manövriert hatte. Die studierte Islam- und Religionswissenschaftlerin, die auch Arabisch und Persisch spricht, trat seither vor allem in den Themenfeldern Asyl, Gleichberechtigung, Umwelt- und Tierschutz in Erscheinung.

Ihr Präsidialjahr stellt sie unter das Motto «Vereinbarkeit». «Es sitzt nun eine junge Frau und Mutter auf dem Bock, das soll man spüren und sehen», sagte sie der «Aargauer Zeitung». Sie selber habe sich als Frau lange Zeit gleichberechtigt gefühlt. «Der Schock kam erst als Mutter.»
Nach der Geburt ihres Kindes spürte sie, dass eben doch nicht alles selbstverständlich war, was sie für selbstverständlich hielt. So war die Aufregung gross, als Kälin 2018 ihren damals erst wenige Monate alten Sohn mit in den Nationalratssaal nahm. Die Boulevardpresse war entzückt, Lokalmedien befragten ihre Lesenden, welche «dieses provokative und unübliche Tun irgendwie daneben» fanden.
Keine Berührungsängste mit der SVP
Wie Kälin in ihrer Antrittsrede verriet, sind ihr Nationalratsamt und ihr Sohn Elija für sie jedoch untrennbar verbunden. Von ihrer Schwangerschaft habe sie am selben Tag erfahren wie davon, dass sie ins Parlament nachrücken würde. Vater des gemeinsamen Sohnes ist der 20 Jahre ältere Journalist und ehemalige «Blick»-Chefredaktor Werner De Schepper. Die Familie lebt gemeinsam im Schenkenbergertal.
Wenn sie von «Vereinbarkeit» spreche, meine sie aber nicht nur Politik, Beruf und Familie, betonte Irène Kälin. Sondern auch, dass trotz unterschiedlicher Meinungen politische Lösungen gefunden würden. Und dies gelinge dem Parlament gerade in der Corona-Krise teilweise nur ungenügend.
Doch so scharf sie im eingangs erwähnten Interview insbesondere die SVP dazu aufgefordert hatte, die «politischen Spielchen» nach der Covid-Abstimmung bleiben zu lassen, so herzlich wandte sie sich zum Schluss ihrer Rede an ihren Vorgänger im Amt, den Emmentaler Bauern und SVP-Nationalrat Andreas Aebi. Auch wenn ihre Positionen maximal auseinanderlägen, habe sie mit «Res» doch einen Freund fürs Leben gefunden. «Einen, mit dem man Kühe stehlen könnte, wenn er nicht schon so viele im Stall stehen hätte.»
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