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Interview zum Film «Wir Erben»
«Weil wir meinen, in einer Leistungs­gesellschaft zu leben, bezeichnen wir uns ungern als Erben»

Simon Baumann sitzt in einem hellen Raum, trägt einen dunklen Pullover und blickt in die Ferne. Licht fällt durch ein Fenster auf ihn.
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In Kürze:
  • Simon Baumanns Dokfilm «Wir Erben» behandelt das komplexe Thema des Erbens.
  • Der Film zeigt die Übergabe eines Bio-Bauernhofs in Frankreich.
  • Baumann diskutiert moralische Fragen und emotionale Verbindungen zum Erbe.
  • Es entsteht ein Konflikt zwischen den Hoffnungen der Eltern und eigenen Träumen.

Stephanie und Ruedi Baumann gehörten in den 80er-Jahren zur Politprominenz des Landes, sie bei der SP, er bei den Grünen, und ihre Hauptthemen waren Landwirtschafts- und Umweltpolitik. Vor 20 Jahren kauften sie einen Bauernhof in Frankreich und wanderten aus. 

Nun sind die beiden über siebzig, und es fragt sich, was mit Hof und Land geschieht. Um diese Frage dreht sich der Dokumentarfilm «Wir Erben» von Simon Baumann. Der 45-jährige Berner zeigt seine Eltern beim Traktorfahren und Staubsaugen, und es wird deutlich, dass hier nicht nur eine Immobilie vererbt wird, sondern ein Lebenstraum. Diesen teilt der Sohn und Filmautor allerdings nicht. Sein Film erzählt schonungslos offen, mit einer Portion Lakonie, aber gleichzeitig herzenswarm von familiären Reibungen, von moralischen Fragen und vom emotionalen Ballast rund ums Erben.

Herr Baumann, Gespräche mit Angehörigen übers Erben sind nicht gerade angenehm. Warum haben Sie aus dieser privaten und intimen Diskussion einen Film gemacht?

Ich habe sicher fünf Jahre lang an einem Film übers Erben herumstudiert – ein wichtiges Thema in meinem Alter. Keine Generation in der Menschheitsgeschichte hat mehr geerbt oder wird mehr erben als meine. Allerdings fand ich lange keine überzeugende Umsetzungsform.

Was gab den Ausschlag?

Im August 2020 eröffneten meine Eltern meinem Bruder und mir, dass sie darüber nachdenken, was dereinst mit ihrem Hof passieren soll. Für meinen Vater war sonnenklar, dass er an die Söhne gehen soll. Wir kamen dann überein, das in den nächsten Monaten zu bereden. Und ich sagte, gut, wir können reden, aber ich mache einen Film darüber.

Es geht ja auch um mehr als nur ein Ferienhaus.

Genau, es handelt sich um ein Lebenswerk, das ganz stark verwachsen ist mit den Biografien und den Idealen meiner Eltern.

Hatten die keine Bedenken, sich so zu exponieren?

Nein, sie haben erstaunlich viel zugelassen. Man spürte auch, dass die Medienpersönlichkeiten in ihnen wieder wach wurden. Beide standen ja während ihrer politischen Karriere oft vor der Kamera. Gerade bei meinem Vater war das anfangs sehr stark spürbar, er hat geredet ohne Punkt und Komma. Das scheint dieses Politikerding zu sein: Man will die Deutungshoheit haben.

Älteres Paar vor einem Landhaus, umgeben von Weinreben und Bäumen.

Wie war es für Sie als Filmemacher, mit Menschen zu tun zu haben, die Ihnen so nahestehen?

Es war schnell klar, dass ich selber hinter der Kamera bleiben würde, anders als bei «Zum Beispiel Suberg». Ich bin bei «Wir Erben» ja sowieso in einer Mehrfachrolle – als Filmemacher einerseits, der die Reibung, den Konflikt sucht. Als Sohn andererseits, der diese heiklen Fragen lieber nicht ansprechen würde. Die Kamera hat mich dazu gezwungen, das trotzdem zu tun.

Ein Hof lässt sich vererben, verpachten, verkaufen oder verschenken. Sie wären für Letzteres. Warum?

Ich habe mich ja lange mit den moralischen Fragen rund ums Erben auseinandergesetzt. Soll eine Familie, die bereits Liegenschaften besitzt, die sie bewohnt, wirklich noch eine mehr haben? Verschenken wäre für mich wirklich eine Option gewesen – und natürlich auch ein tolles Statement für den Film. «Die Baumanns verschenken ihren Hof», was für eine Schlagzeile!

War es Ihnen wirklich ernst damit? Ihre Eltern haben einen Ort der Biodiversität und des ökologischen Landbaus geschaffen, der erhaltenswert ist.

Ja klar, das finde ich auch, es ist ein vorbildlicher Betrieb. Nur habe ich persönlich keinen so starken Bezug zur Natur, darum ist meine Motivation, den Lebenstraum meiner Eltern weiterzuführen, klein.

Ihr Beispiel zeigt, dass Erben nicht nur eine juristische Übertragung von Eigentum ist, sondern mit Emotionen und Verpflichtung zu tun hat. Das ist Ihnen im Film wichtiger als das rein Finanzielle, oder?

Ja. Das Schöne an diesem Thema ist, dass das Materielle sofort zum Immateriellen führt. Was mich überhaupt nicht interessiert hätte, wäre ein Film über einen Erbstreit gewesen. Es sollte vielmehr darum gehen, wie uns unsere Herkunft prägt und wie wir uns damit auseinandersetzen. Darum gehört die Geschichte meiner Eltern – ihre Werdegänge, ihre politischen Karrieren – einfach dazu.

Ein Kind sieht durch ein selbstgebautes Holzfernrohr, aufgenommen auf einem Polaroid-Foto mit der Aufschrift ’Januar 1980’.

Was umfasst das politische Erbe Ihrer Eltern?

Mein Vater ist 35-mal in der «Arena» aufgetreten. Ich bin im SRF-Archiv alle Sendungen durchgegangen und habe realisiert, dass in dieser individuellen Geschichte Themen stecken, welche die ganze Gesellschaft betreffen. Meine Eltern waren ja bei den Anfängen der Umweltschutzbewegung an vorderster Front dabei, haben schon früh für Biodiversität oder pestizidfreie Landwirtschaft gekämpft. Erstaunlich war übrigens, was ich über die Herkunft meiner Mutter herausfand.

Was war das?

Während die Vorfahren meines Vaters in der Familie stets sehr präsent waren, wusste ich über die Familie meiner Mutter wenig, ausser, dass sie Arbeiter waren. Manche der Vorfahren waren Tagelöhner, manche Verdingkinder, später waren mehrere bei der SBB angestellt. Was sie, im Gegensatz zur Bauernfamilie meines Vaters, nicht hatten, war Besitz. Und Sicherheit. Bei der Heirat meiner Eltern sind diese zwei Welten aufeinandergetroffen, die Bauernwelt und die Arbeiterwelt.

Was die Generation Ihrer Eltern wiederum verbunden hat, war der Optimismus. Sie hatten das Glück, in einer prosperierenden Zeit ins Arbeitsleben eingestiegen zu sein.

Richtig. Man könnte sagen, dass die Generation der Babyboomer und der 68er von Entfaltung geprägt ist. Mein Vater war der Erste in der Bauernfamilie, der studierte. Nach dem Studium erhielt er gleich einen Job mit Leitungsfunktion. Meine Mutter machte die Töchternhandelsschule und danach politische Karriere. Wobei bei beiden der soziale Aufstieg nicht das Hauptziel war, sondern eher ein Nebeneffekt. Mit Mitte 50 hatten sie genug Geld, um sich in Frankreich einen Hof zu kaufen. Entfaltung also. Meine Generation dagegen hat, wie mir scheint, viel weniger Möglichkeiten – auch wenn es uns materiell sehr gut geht. Uns obliegt die Verwaltung des Erbes der Eltern, des materiellen wie des immateriellen, ihrer Hoffnungen, Wünsche, Ideale.

Wünsche, die Sie aber nicht teilen.

Das ist der Punkt. Mein Vater versteht nicht, dass andere Leute andere Träume haben. Es ist mir aber völlig klar, warum er so denkt, das liegt an seiner bäuerlichen Herkunft.

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Das wird im Film sehr schön sichtbar. Es gibt diese Szene, in der Ihrem Vater die nasse Erde in grossen Brocken an den Schuhen kleben bleibt. Ist das Loslassen im bäuerlichen Milieu speziell schwierig?

Ja. Ein Bauer ohne Land ist kein Bauer. Die Haltung, dass man Land nicht verkauft, ist in den Bauern stark verwurzelt. Und auch, dass man ein eher verschämtes Verhältnis zu Geld hat.

Auch viele, die geerbt haben, scheinen sich dafür zu schämen.

Ja, weil wir uns einbilden, in einer Leistungsgesellschaft zu leben, bezeichnen wir uns selbst nur ungern als Erben. Wir möchten durch Leistung glänzen und verschweigen, was uns geschenkt wurde. Aber nur durch Arbeitsleistung kommt heute fast niemand mehr zu Land- und Hausbesitz. Das ist ein grosser Widerspruch. Überhaupt ist es auf sehr vielen Ebenen widersprüchlich, wie wir mit dem Erben umgehen.

Filmemacher in einem Raum mit Lichteinfall durch das Fenster, während des Interviews zu seinem Dokfilm ’Wir Erben’.

Befürworten Sie die Erbschaftssteuer?

In der Schweiz wurde die Erbschaftssteuer in den letzten Jahrzehnten immer weiter reduziert – unter dem Diktat des Steuerwettbewerbs. Was wir geschenkt bekommen, besteuern wir nicht. Was wir erarbeiten, dagegen schon. Ich finde, die Anreize sind falsch gesetzt. Von dem her: Ja, ich fände eine Erbschaftssteuer eine gute Sache. Man könnte sie ja so ausgestalten, dass es kleine Erbvolumen nicht träfe, nur die grossen.

In Frankreich gibt es eine Erbschaftssteuer.

Genau, schon seit der Französischen Revolution. Allerdings: Im Film lassen sich meine Eltern hinsichtlich des Hofverkaufs beraten, und da zeigt sich, dass es in einem Land, das eine Erbschaftssteuer kennt, auch eine ganze Industrie zur Erbschaftssteuervermeidung gibt. Der Berater erklärte ihnen, wie man es bewerkstelligt, dass man die 100’000 Euro an Abgaben vermeidet, die bei einer Überschreibung anfallen.

War das für Ihre Eltern nicht eine moralische Zwickmühle?

Nun, sie haben sich schon über diese Möglichkeit gefreut. Es ist ja auch widersinnig, dass sich jemand verschulden muss, wenn er einen Hof übernimmt.

Sie gehen mit ihnen deswegen trotzdem ziemlich hart ins Gericht.

Das schon. Mein Vater entgegnet immer, dass es ja nicht um einen grossen Betrag gehe. Da hat er recht. Und ich selber bin ja auch nicht frei von Widersprüchen. Ich würde ein Erbe nicht ausschlagen, schon gar nicht als Kulturschaffender, der finanziell in einer gewissen Unsicherheit lebt.

Fünf Personen sitzen an einem Tisch und diskutieren. Auf dem Tisch liegen Papiere und leere Flaschen. Alle scheinen konzentriert zu sein.

Was passiert nun mit dem Hof?

Wir haben zu viert eine Gesellschaft gegründet, meine Eltern, mein Bruder und ich. Nach zwei Jahren gehen die Gebäude in den Besitz meines Bruders und mir über. In diesem Sinn haben wir uns dem Wunsch unseres Vaters gebeugt. In meinem Fall ist es aber kein volles Bekenntnis zu diesem Hof.

Was überwiegt, wenn Sie ans Erbe Ihrer Eltern denken: Dankbarkeit oder der Wunsch, sich davon zu befreien?

Vom Materiellen her ist es klar die Dankbarkeit. Vor allem durch die Sicherheit, die mich befähigte, beruflich auf die Kultur zu setzen. Das ist ein Geschenk und ein Glück, dass ich in die richtige Familie hineingeboren wurde. Andererseits war es für mich in dieser Familie nicht einfach, meine Identität, meine Position zu finden – mit Eltern, die im Nationalrat politisierten mit Schwerpunkt Landwirtschaft, was mich nur am Rande interessiert, und einem Bruder, der nun dasselbe tut. Wer bin ich in diesem Gefüge? Ich möchte nicht nur der Sohn sein, der etwas mit Kultur macht, sondern ein Stück weit auch die Deutungshoheit haben.

Die haben Sie sich mit Ihrem Film erobert.

Genau. Es hat etwas Befreiendes, zu erzählen, was mich geprägt hat und was ich daraus gemacht habe. Die Kamera hat mich dazu befähigt. Dank ihr bin ich nahe dran und doch frei.

«Wir Erben» läuft am 25. und 28. Januar an den Solothurner Filmtagen, ab 30. Januar im Kino.