AboFrauen und FitnessSie wollten sich nur bewegen – und sprengten damit soziale Grenzen
Die Neujahrsvorsätze schwinden, höchste Zeit für etwas Motivation: Ohne diese acht Frauen würde es Fitnessstudios von heute wohl kaum geben. Ein Überblick.

Nachdem die Frauenrechtlerin Gloria Steinem Mitte der Achtzigerjahre eine Bodybuilderin interviewt hatte, stellte sie fest: «Was es für einen Einfluss haben kann, wenn man eine starke Frau trifft? Ich bin danach in einen Laden gefahren und habe mir Hanteln gekauft.»
Nicht schwach sein, sondern immer stärker – die US-Autorin Danielle Friedman stellt in ihrem Buch «Let’s Get Physical» (Penguin, bislang nur auf Englisch) Frauen aus den vergangenen Jahrzehnten vor, die es wie keine anderen geschafft haben, sportliches Vorbild zu sein für andere. Aus dem eigenen Bedürfnis nach Bewegung heraus haben sie soziale Grenzen gesprengt und damit viel Geld verdient. Ein Überblick.
Die Unermüdliche: Bonnie Prudden

In den Fünfzigerjahren gilt: Die Frau schwitzt bei der Hausarbeit, nicht beim Sport. Das sieht Bonnie Prudden (1914 – 2011) anders: «Putzen wird einem nicht dabei helfen, dass die Brust dort bleibt, wo sie hingehört», erklärt sie 1956. Ohnehin pfeift sie auf das, was man ihr sagt: Die Eltern schicken sie als Kind ins Ballett, damit sie ihre Energie abtanzt – müde wird sie nicht: Mit 20 tanzt sie am Broadway. Später bricht sie sich beim Skifahren die Hüfte. Nie mehr Skifahren oder Bergsteigen (eine weitere Leidenschaft), so die Ärzte – aber das hält sie nicht davon ab.
Als Mutter von zwei Töchtern fällt ihr schliesslich auf, wie wenig sich die Kinder dieser Zeit bewegen. Also eröffnet sie 1954 in einer leer stehenden Schule das «Institute for Physical Fitness», Vorläufer eines Fitnessstudios. Dort lässt sie die Kleinen klettern, springen, robben.

Ein Jahr später erklärt sie Präsident Eisenhower im Weissen Haus eindringlich, welche Sorgen sie sich um den amerikanischen Nachwuchs macht; Pruddens «Report, der den Präsidenten schockierte», führt dazu, dass dieser die sportliche Leistungsfähigkeit seiner Landsleute zur Chefsache macht. Bald kümmert sie sich auch um unsportliche Erwachsene, ihr Name wird ein Synonym für Fitness.
Sie taucht im Fernsehen auf und auf dem Cover der Sports Illustrated, prägt die Heilmassage «Myotherapie», schreibt Bestseller wie «How to Keep Slender and Fit After Thirty» und erfindet Fitnessbänder und Klettergerüste. Mit 92 muss sie sich einer Bypass-OP unterziehen. Selbstverständlich trainiert Prudden im Liegen weiter.
Die Exzentrische: Lotte Berk
Auch Lotte Berk lässt sich von Schmerzen nicht die Liebe zum Sport nehmen. Die in Köln geborene Tänzerin (1913 – 2003) hat grosse Rückenprobleme und stellt sich Übungen zusammen aus Ballett, Yoga, Pilates. Die gibt sie an andere weiter, als sie 1959 in London ihr «Barre»-Studio eröffnet, ein Workout an der Ballettstange.

Zu den wichtigsten Bewegungen gehört der «pelvic tuck», für die das Becken nach vorne und hinten geschoben wird. Ihr Motto: «If you can’t tuck, you can’t fuck», die Muskeln im Beckenboden sollen für ein erfüllteres Sexleben sorgen. Passend dazu tauft sie ihre Übungen «Frecher Po», «Prostituierte» und «Sex». Der ist ihr wichtig: Sie geht mit Frau wie Mann ins Bett. Berk passt perfekt in die Ära der «Swinging Sixties», sie wird zum gern gesehenen Partygast in exzentrischer Kleidung und mit dauerroten Lippen.
Wer was auf sich hält (Joan Collins, Barbra Streisand, Bond-Girl Britt Ekland), besucht ihr Studio (und nimmt in Kauf, auch mal mit der Reitpeitsche korrigiert zu werden). «Sie war eine Influencerin, lange bevor es diese Bezeichnung überhaupt gab», erzählt Danielle Friedman. «Ihr Timing hätte nicht besser sein können.»
Überschattet wird Berks Lebenslust von ihrer Vergangenheit: Sie und ihr Mann müssen 1938 vor den Nazis nach London fliehen, als Jüdin hatte sie zuvor die Lizenz für ihre Tanzschule verloren; ihr Vater wird in Auschwitz ermordet. Ihre Tochter wird erzählen, dass Berk diesen Verlust nur mit Schlaftabletten, Morphium und Sex ausgehalten habe.
Die Fantasievolle: Lisa Z. Lindahl

Wer von Lisa Z. Lindahl erzählt, sollte bei Kathrine Switzer (*1947) anfangen, der Pionierin des Marathonlaufs für Frauen. Die fängt mit zwölf Jahren an zu laufen und trainiert während ihres Studiums mit den Männern ihrer Uni.
1967 nimmt sie am Boston-Marathon teil, Frauen sind nicht zugelassen. Egal. Als der Renndirektor versucht, ihr die Startnummer abzureissen, stehen die Fotografen günstig: Sie kann sich losreissen, die Bilder der laufenden Frau gehen um die Welt.

Lisa Z. Lindahl (*1948) will beim Joggen zwar nur ein bisschen abnehmen, aber sie hat das gleiche Problem wie Switzer: Die Brüste schmerzen beim Rennen. Ein zu kleiner BH oder zwei übereinander helfen wenig. Zu einer Freundin sagt sie: «Warum erfinden wir nicht ein Suspensorium für Frauen?» Für den Prototyp nähen sie tatsächlich zwei Hodenschutze zusammen, der Testlauf überzeugt und der Sport-BH wird zum Freiheitssymbol im Frauensport.

Die Olympische: Judi Sheppard Missett
Mit drei Jahren fängt Judi Sheppard Missett (*1944) mit dem Tanzen an, eine ärztliche Empfehlung wegen ihres Sichelfusses. 1969 beginnt sie in Illinois Tanzstunden zu geben; doch ein paar Wochen später taucht kaum eine Schülerin mehr auf. «Sie unterrichten uns, als ob wir professionelle Tänzerinnen werden wollen. Wir möchten aber nur wie welche aussehen», so der Tenor, als sie den Frauen hinterhertelefoniert.
Dieser Satz ändert ihr Leben komplett: Sie stellt den Lehrplan auf den Kopf und legt mit «Jazzercise» den Grundstein für Aerobic: Die Übungen werden einfacher, sie dreht ihre Schüler weg vom Spiegel, damit sie sich unbeobachtet fühlen, und führt vorne durch die Schrittfolge.

Die Hausfrau aus Iowa ist auch die Erste, die Kinderbetreuung für ihre Kundinnen anbietet. Ausserdem spielt sie während der Stunde laute Musik von Creedence Clearwater Revival und Neil Diamond – und verliert bald ihre Stimme, ohne Mikrofon. «Ihr Stil passte perfekt zur zweiten Welle des Feminismus: Frauen tanzten gemeinsam in Leggins zu lauter Popmusik, sie wurden selbstbewusster», so Autorin Danielle Friedman.
Sheppard Missett macht aus «Jazzercise» eine Weltmarke: 1982 geben mehr als tausend zertifizierte Lehrerinnen in den USA Kurse. Ihr Konzept gehört zu den am schnellsten wachsenden Franchise-Unternehmen – nach Domino’s Pizza. 1984 präsentiert sie ihrer Fitness einem Millionenpublikum bei den Olympischen Spielen in Los Angeles, zwei Jahre später wird sie von Präsident Reagan als Topunternehmerin ausgezeichnet.
Die Erfinderische: Gilda Marx
Heute gehören nahtlose Leggins und atmungsaktive Tops zum Alltag. Frauen wie Gilda Marx (*1935) mussten ihren durchgeschwitzten Baumwoll-Turnanzug noch ständig aus Körperritzen ziehen, in die sie nicht gehörten. Irgendwann hat sie genug vom Zupfen, sie will eine «Uniform» schaffen für den bestmöglichen Fitnesserfolg (später wird sie die dazu passenden eigenen Studios eröffnen).
Dabei stösst sie auf eine neue elastische Faser: Elasthan. 1975 stellt Marx den «Flexatard» vor, einen Body aus Nylon mit Ärmeln oder Spaghettiträgern, in knalligen Farben. «Nur wenige Jahre später sah man den Body bereits im Supermarkt», so Autorin Friedman.
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Danach möchte keine Frau der Achtziger mehr ohne sein: Allein im Jahr 1984 werden 21 Millionen Fitnessbodys in den USA verkauft. Nach 22 Jahren im Geschäft verkauft Gilda Marx ihr Business. 2001 macht sie erneut mit Unterwäsche auf sich aufmerksam: mit einem Kompressions-BH für Brustkrebspatientinnen.
Die Vielseitige: Jane Fonda
«Feel the burn», trainieren, bis es wehtut: Ein bisschen traurig ist dieser bekannte Satz von Jane Fonda (*1937) schon, der Godmother of Fitness. Den kennt sie schliesslich bereits als Mädchen. «Wenn du zunimmst, schneide ich dir die Kilos mit einem Messer runter», so ihre diätbesessene Mutter. Dünnsein gehört also von klein auf zu Jane Fonda, Essstörungen leider auch.
«Bis heute erzählt sie, auf wie viel sie verzichten musste, um so auszusehen», sagt Danielle Friedman. Mit ihrem Look verdient die zweifach prämierte Oscar-Gewinnerin auch jenseits der Leinwand viel Geld. Zur Fitness kommt sie 1978. Nachdem sie mit dem Tanzen aufhört, meldet sie sich in einem «Body Design by Gilda»-Studio an (siehe Gilda Marx).
Begeistert eröffnet die damals 42-Jährige ein Jahr später ihr erstes eigenes Studio in Beverly Hills, mit Erfolg: Mehr als zweitausend Menschen strömen täglich in den relativ kleinen Raum, um mit dem Hollywood-Star zu schwitzen. Ebenso erfolgreich sind ihre Fitnessbücher und -videos.
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Darin trainiert sie in lilafarbenen Leggins und einem gestreiften Body Bauch, Beine, Po. Zu Beginn der Pandemie 2020 taucht die dann 82-Jährige erneut in rotem Body auf, um auf Tiktok die Menschen zum Trainieren vor dem Bildschirm zu animieren. Ihre grossen Kämpfe hat Jane Fonda jedoch seit Jahrzehnten weg von der Idealfigur verlagert (obwohl sie weiterhin blendend aussieht): hin zu Klimaschutz, Menschenrechten, Feminismus.
Die Starke: Lisa Lyon

Zierlich und 1,62 Meter gross: Lisa Lyon (*1953) bringt man nicht auf den ersten Blick mit Bodybuilding in Verbindung. Zum Gewichtestemmen kommt sie über Umwege. Für die Kampfkunst Kendo braucht sie mehr Muskeln, um mithalten zu können, findet dann aber viel grösseren Gefallen am Pumpen. Bald hebt sie im Mekka der Bodybuilder Gewichte: Sie überzeugt die Betreiber des Gold’s Gym im kalifornischen Santa Monica davon, sie als Frau dort trainieren zu lassen.
Als Arnold Schwarzenegger das erste Mal auf sie trifft, beschreibt er Lyon als zerbrechlich. Bei der nächsten Zusammenkunft erkennt er sie kaum wieder: «Lisa hatte sich in diese unglaublich starke Frau verhandelt.» Als Lyons Mutter erfährt, dass ihre Tochter mit Schwarzenegger trainiert, bittet sie darum, ihren Nachnamen zu ändern, um die Familie nicht weiter zu blamieren.
Lyon lässt sich von ihrer Leidenschaft nicht abbringen, mit 26 gewinnt sie die erste Weltmeisterschaft der International Federation of Bodybuilding & Fitness (IFBB). Sie sitzt in Talkshows, posiert vor Helmut Newtons Linse nackt für den Playboy, Robert Mapplethorpe widmet ihr einen Bildband. Sie bringt sogar ein Parfüm raus (die Flasche sieht aus wie eine geballte Faust).
Trotz ihres Erfolgs gelten Bodybuilderinnen oft noch als Freaks. Lyon wird es bald zu bunt. Der Washington Post sagt sie: «Man ist nicht dazu verdammt, einen ekligen, verzerrten Körper zu bekommen, nur weil man Gewichte hebt.» Mitte der Achtzigerjahre verlässt sie die Szene – und sieht sich fortan als Künstlerin.
Die Vorreiterin: Indra Devi

1939 entdeckt Schauspielerin Eugenia Peterson (1899 – 2002), die sich später Indra Devi nennen lassen wird, Yoga. In Indien lernt sie den Guru Tirumalai Krishnamacharya kennen, der später auch den Erfinder des Iyengar-Yoga unterrichten wird, einer der bis heute bekanntesten Yoga-Stile.
Die Russin ist so beeindruckt von dem Guru, dass sie ihn bittet, sie auszubilden. Schon wenige Monate später leuchtet sie auf, innen wie aussen. In China (dorthin folgt sie ihrem Mann) gibt sie Frauen westlicher Diplomaten erste Stunden, 1947 landet Devi in Los Angeles. Am Sunset Strip mietet sie ein kleines Studio, in dem sie Yoga anbietet, in dem es mehr um den Sport gehen soll, weniger um eine Weltanschauung.
Nachdem das Kosmetikunternehmen Elizabeth Arden auf sie aufmerksam wird und für sie Werbung macht, gehören bald Schauspieler wie Greta Garbo zu ihrer Klientel. Das FBI lässt sich davon nicht beeindrucken, eine Weile überprüfen die Beamten, ob sie nicht doch eine sowjetische Spionin sein könnte.
Indra Devi setzt den Keim: In den kommenden Jahrzehnten spriessen unzählige Yoga-Studios im ganzen Land. Neue Yoga-Stile wie Power-Yoga setzen sich durch, später schwören Madonna, Oprah Winfrey, Gwyneth Paltrow auf den nach unten schauenden Hund. «Mataji», wie Devi in Sanskrit genannt wird («respektierte Mutter»), lässt das alles kalt, sie verbringt die letzten Jahrzehnte ihres Lebens in Argentinien und stirbt kurz vor ihrem 103. Geburtstag.
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