Innovatives Start-upSie wollen Strassen bauen – aus Joghurtbechern
Recycelter Plastikmüll könnte den Strassenbau einfacher und nachhaltiger machen – wären da nicht noch ein paar Probleme.
Konventioneller Strassenbau ist schwere Arbeit, laut und schmutzig. Bevor der Verkehr rollen kann, muss der Untergrund mit Tonnen von Sand, Splitt, Schotter und Asphalt vorbereitet werden. Die neue Fahrbahn muss den Belastungen von Autos und Lastwagen über Jahrzehnte standhalten und dabei möglichst wenig aus der Form geraten. Jedes Kabel und jedes Rohr muss sorgfältig eingeplant werden. Jede Änderung bedeutet massive Grabungsarbeiten und eine neue Baustelle.
Mit vorgefertigten Modulen aus recyceltem Kunststoff verspricht das niederländische Start-up Plasticroad einen viel schnelleren und einfacheren Strassenbau. Wie Fertigparkett lassen sich Strassenabschnitte mit dem neuartigen System zusammensetzen. Schweres Fundament und aufwendige Aushubarbeiten sind nicht nötig. Die relativ leichten Elemente aus Plastikgranulat können in einem einfachen Sandbett verlegt werden. Ausserdem ist im Inneren der Module ein Hohlraum für alle nötigen Leitungen integriert, ähnlich wie in manchen Wänden des modernen Fertighausbaus.
Geschredderte Flaschenverschlüsse
Die vorgefertigte Struktur mache nicht nur den Bau, sondern auch die Instandhaltung von Strassenzügen einfacher, da der Zugang in die Fahrbahn simpler werde, beschreibt Produktentwickler Anne Koudstaal von Plasticroad die Vorteile des Konzepts.
Das Plastikgranulat, aus dem die Strassenmodule gefertigt werden, besteht aus Recyclingkunststoff. Anstatt bei der Abfallverbrennung das umweltschädliche Treibhausgas CO₂ freizusetzen, finden Joghurtbecher, Flaschenverschlüsse oder Strohhalme klein geschreddert als Teil einer Strasse eine neue Verwendung. Werden einzelne Module ausgetauscht, können sie recycelt und zu hundert Prozent als Rohmaterial zu neuen Strassenelementen verarbeitet werden – ohne den Einsatz neuer Materialien und ohne Abfall zu verursachen.
Angesichts des weltweiten Plastikmüllproblems klingt die Idee, recycelten Kunststoff in Strassen wiederzuverwerten, verlockend. Sie ist aber nicht ganz neu. In der Grafschaft Cumbria im Nordwesten von England wird der Einsatz von Plastik bei der Reparatur von Strassen getestet. In Teilen Indiens ist dies seit 2015 sogar Pflicht. Dabei wird jedoch nicht die ganze Strasse aus Plastik gebaut, recycelter Kunststoff ersetzt nur einen kleinen Teil des Bitumens, der im Asphalt als Bindemittel dient.
Umweltfachleute fürchten, dass sich mikrokleine Plastikstückchen durch Abrieb in der Umwelt verteilen und das Ökosystem belasten könnten.
Es gibt Einwände gegen den Einsatz von Plastik im Strassenbau. So befürchten Umweltfachleute, dass sich mikrokleine Plastikstückchen durch Abrieb von der Strasse in der Umwelt verteilen und das jeweilige Ökosystem langfristig belasten könnten. Bei dem System von Plasticroad wird der Abrieb durch eine Beschichtung verhindert, die das Material auch gleich vor Alterungsprozessen durch UV-Strahlung schützt.
Und die neuartige Modulstrasse kann noch mehr: Dank des Hohlraums in ihrem Inneren dient sie auch als Regenwasserspeicher und könnte damit im Hinblick auf die von Klimaexperten prognostizierten zunehmenden Starkregen in Europa ein wertvoller Bestandteil nachhaltiger städtischer Infrastruktur werden. Die bestehenden Kanalabwassersysteme sind nicht für solch grosse Wassermengen dimensioniert. Die Folge: Überschwemmungen und stehendes Wasser auf den Strassen. Die Module von Plasticroad fangen das Wasser dagegen in ihrem Inneren auf und leiten es langsam und kontrolliert in den Boden ab.
Seit acht Jahren tüftelt das Team an den Elementen der Kunststoffstrasse. Erste Pilotprojekte wurden in den niederländischen Gemeinden Zwolle und Giethoorn gebaut, jeweils in Form eines 30 Meter langen Veloweges. Jede Bahn enthält etwa eine Tonne recycelten Kunststoff, das entspricht rund 218’000 Plastikbechern und einem viermal geringeren Gewicht als dem einer herkömmlichen Strasse. Sensoren in beiden Testabschnitten liefern seit Herbst 2018 Daten zur Temperatur des Materials, zur Anzahl der passierten Fahrräder oder zum Wasserstand innerhalb der Fahrbahn. Durch die Daten sei man in der Lage gewesen, die Strasse noch robuster zu machen, sodass jetzt auch Autos darauf fahren könnten, heisst es bei Plasticroad.
Mittlerweile ist die industrielle Produktion angelaufen. Erste Parkplätze und eine Wohnstrasse wurden dieses Jahr in der Gemeinde Almere realisiert. Letztlich können nur jahrelange Praxistests zeigen, wie sich das Produkt unter Strassenbedingungen mit höheren Belastungen als bei den Veloweg-Pilotprojekten verhält.
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