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Widerstand in Weissrussland
Sie wollen nicht mehr für Lukaschenko lächeln

Hat genug: Moderatorin Tatjana Borodkina hat dieses Foto von sich und ihren Töchtern auf Facebook gepostet, um ihre Kündigung mitzuteilen.
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Tatjana Borodkina hätte einfach weitermachen können. Was hätte sie schon zu befürchten gehabt? Sie hat beim staatlichen Fernsehen keine zensierten Nachrichten vorgelesen, sie hat keine politischen Interviews geführt; sie ist auch nicht gedrängt worden, Präsident Alexander Lukaschenko für Erfolgsberichte in die Provinz zu begleiten. Borodkina hat jeden Morgen durch eine Frühstückssendung geführt. Sie hat Rezepte ausprobiert, und ihre beiden Töchter haben ihr dabei geholfen. Dann postete sie auf Facebook etwas, das ihr Leben veränderte.

«Nehmt unseren Kindern nicht die Zukunft»

Auf den ersten Blick ist es ein typisches Promi-Foto: Sie lächelt, das eine Kind ermüdet auf dem Arm, das andere steht neben ihr und schmiegt sich dezent an die Mutter. Unter das Foto schrieb Borodkina: «Ich und meine Kinder können jetzt nicht mehr vom Bildschirm lächeln.» Sie wisse nicht, wann dieser Post gelesen werde, weil das Internet blockiert sein könnte, aber: «Ich habe keine Angst. Freunde, Leute: Habt auch ihr keine Angst. Nehmt unseren Kindern nicht die Zukunft.» Tatjana Borodkina hat gekündigt. Die Gewalt der weissrussischen Uniformierten gegen Demonstranten konnte sie nicht ertragen. Als sie bedroht wurde, reiste sie in die Ukraine aus.

«Freie Presse. Faire Wahlen»: Protest gegen die einseitige Berichterstattung des weissrussischen Fernsehens.

Längst hat die Protestwelle nicht nur Strassen und Betriebe erfasst, auch bei den staatlichen Medien gab es Streiks und Kündigungen. Mehrere Journalistinnen und Journalisten haben ihre Arbeit niedergelegt. Andrei Makajonok, einer der bekanntesten Protagonisten beim staatlichen Fernsehsender Belarus 1, sagte der Zeitung «Komsomolskaja Prawda Belarus»: «Es ist schwer, Guten Morgen zu sagen, wenn der Morgen nicht gut ist» – und verliess den Sender. Auch andere gingen, weil ihre Ansichten zur Wahl und zu den Protesten nicht mehr passten zu den Vorgaben der Chefs. Mitarbeiter der staatlichen Fernseh- und Rundfunkanstalt BT forderten von ihrem Direktor, die Lügen zu beenden und das Volk mit zuverlässigen, nicht manipulierten Informationen zu versorgen.

Für die auf Kontrolle und Loyalität setzende Regierung ist dies eine Niederlage. Das Problem wird noch dadurch verschärft, dass viele Unternehmen wegen der politischen Krise ihre Werbung stornieren, nach einem Bericht des Portals Naviny.by auch bei den staatlichen Sendern. Diese gehören zu den Säulen des Machtsystems von Alexander Lukaschenko, denn sie transportieren vor allem die Welt, wie er sie sieht, in die Wohnzimmer. Die Präsenz des Präsidenten in den Nachrichten ist seit Jahrzehnten enorm, sie soll keine Zweifel aufkommen lassen, dass er irgendetwas nicht im Griff haben könnte.

Das Staatsfernsehen redet die Proteste klein: Demonstranten vor dem TV-Gebäude.

Die Protestbewegung, die Zehntausende Demonstranten, die zu Kundgebungen für die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja kamen, wurden dezent verschwiegen, kleingeredet oder die Berichte mit Warnungen gespickt. Aber dann passierte dies: Der Nachrichtensprecher Sergei Koslowitsch, der bei der Präsidentenwahl noch von «Provokateuren» der Opposition gesprochen hatte, verliess wenige Tage später den Sender freiwillig – mit den Worten, nach zehn Jahren im Nachrichtengeschäft ende nun sein Kindheitstraum.

Er werde sich nun eine andere Arbeit suchen. Spontan hat sich eine Initiativgruppe weissrussischer IT-Unternehmer gebildet, die versprechen, entlassenen oder zurückgetretenen staatlichen Journalisten zu helfen. Mehr als 400 hätten sich bereits an sie gewandt, berichtete die unabhängige Nachrichtenplattform Tut.by.

Das Staatsfernsehen stellt die Oppositionsführerin als gefährliche Person dar, die das Land zerstören wolle.

Doch der Staat stemmt sich gegen die Fluchtbewegungen seines Personals. Auf einer Sitzung des Sicherheitsrats wies Lukaschenko letzte Woche die Medien an, den Menschen «zu erklären, zu erzählen, sie zu warnen», dass das Programm des von seiner Widersacherin Swetlana Tichanowskaja gebildeten Koordinationsrates das Land «in den Abgrund führt». Kurz darauf begann das Staatsfernsehen die Oppositionsführerin als gefährliche Person darzustellen, die das Land zerstören wolle.

Wachleute kontrollieren inzwischen streng den Zugang zu den Sendergebäuden. Der von Polen aus arbeitende weissrussische Exilsender Belsat berichtete, dass beim Staatssender BT die Redaktorin Alena Martsinuskaja daran gehindert worden sei, in ihr Büro zu gehen. Diese habe auch gesagt, dass gut ausgebildete russische Mitarbeiter in zwei Maschinen eingeflogen worden seien, um als Streikbrecher den staatlichen Kanälen zu helfen. Lukaschenko bestätigte, dass er Russland «für alle Fälle um zwei, drei Gruppen von Journalisten gebeten» habe, nachdem «einige Mitarbeiter» der staatlichen Sender auf die Strasse gegangen seien, um zu demonstrieren.

Mit dem Gewehr in der Hand im Fernsehen: Präsident Lukaschenko markiert Stärke gegen die Demonstranten. 

Ob die Propaganda wirkt? Zumindest bei der älteren Generation könnte dies gelingen. Sie ist an die staatlichen Fernsehsender gewöhnt, und bei ihnen hat Lukaschenko ohnehin den grössten Rückhalt. Doch die Älteren gelten auch als die am wenigsten aktive gesellschaftliche Gruppe. Die meisten jüngeren Menschen haben sich ohnehin von den staatlichen Medien und Nachrichtenflüssen abgewendet und suchen gezielt im Internet nach Informationen. Einen gewaltigen Zulauf hat derzeit etwa der oppositionelle, aktivistische Social-Media-Kanal Nexta, viele gebildete, politisch interessierte Weissrussen informieren sich bei Tut.by.

Dort finden sich Berichte über Wahlfälschungen, über Proteste am Regierungssitz und solidarische Mediziner, aber auch über eine Pressekonferenz des Aussenministers und eine Velo-Kundgebung für Lukaschenko. Der Nachrichtenstrom der staatlichen Agentur Belta dagegen zeigt sich regierungsloyal wie immer; immerhin ist von Meinungsverschiedenheiten die Rede bei Gesprächen des Vizeaussenministers mit Vertretern westlicher Staaten. Was diese denn kritisierten, darüber gab es allerdings kein Wort.