Boxer erkranktSie sind vom olympischen Traum infiziert
Nachdem das IOK vor der Absage Olympias bis zuletzt an den Qualifikationsturnieren festhielt, sind jetzt Sportler an Corona erkrankt. Schuld daran will niemand sein.
Es wurde durchgeboxt, das Olympia-Qualifikationsturnier in London. Als die Sportwelt wegen des Coronavirus bereits zu grossen Teilen stillstand, starteten rund 350 Boxer aus 40 Ländern Mitte März noch zu den olympischen Vorausscheidungen. Während erste Länder ihre Grenzen wegen der Pandemie schlossen, wurden in London Schläge und Schweiss für den olympischen Traum ausgetauscht.
Zu Beginn des Turniers waren gar noch Zuschauer in der Halle zugelassen. Nach drei von elf Tagen wurde die Veranstaltung schliesslich abgebrochen. Das Internationale Olympische Komitee (IOK) als Organisator war zur Vernunft gekommen. Doch zu spät.
Mittlerweile sind sechs Infektionsfälle von Teilnehmern des Turniers in Englands Metropole bekannt. Zwei türkische Boxer und ein Trainer sind an Covid-19 erkrankt. Auch beim kroatischen Verband haben sich ein Boxer und zwei Trainer angesteckt. Nun wird Kritik laut.
«Nicht an die Gesundheit der Sportler gedacht»
Er sei «verblüfft, dass eine IOK-Taskforce und die britische Regierung den Turnierstart erlaubt haben, obwohl viele von uns Bedenken hatten», sagt Eyüp Gözgec im «Guardian». Der Präsident des türkischen Boxverbandes setzt noch einen drauf: «Sie haben nicht an die Gesundheit der Leute gedacht, deswegen haben sie diese schreckliche Veranstaltung organisiert.»
Zudem seien auch die hygienischen Bedingungen im Teamhotel und am Veranstaltungsort nicht ausreichend gewesen, sagt Gözgec.
Nach den Wettkämpfen will niemand an den Infektionen schuld sein. (Foto: Getty)
Das IOK und deren Box-Taskforce (BTF) reagierten als Veranstalter zwar auf die Kritik, doch sind sich keiner Schuld bewusst. Sie sähen «keine Verbindung» zwischen den positiven Corona-Tests und dem Box-Turnier in London. Doch damit nicht genug, man gibt die Schuld indirekt den Verbänden und Sportlern selbst: Es sei nicht möglich, die Quelle der Infektionen zu kennen, teilte das IOK mit. So seien viele Sportler im Vorfeld des Londoner Qualifikationsturniers in unabhängig organisierten Trainingslagern in Italien, Grossbritannien und an anderen Orten gewesen. Auch die Rückreise aus London in ihre Heimatländer hätte individuell stattgefunden.
Das Hin und Her geht weiter
Für das IOK sind also die Verbände und Sportler die Schuldigen? Nicht nur. Auch die britische Regierung trägt gemäss Olympia-Weltverband eine Mitschuld. So habe es zur Zeit des Turniers keine staatlichen Beschränkungen oder Ratschläge für öffentliche Veranstaltungen gegeben. Eigenverantwortung? Fehlanzeige. Augen und Ohren zu, damit der Fahrplan der Sommerspiele in Tokio 2020 eingehalten werden kann.
Dabei hatte Franco Falcinelli eingehend gewarnt. Noch während des Turniers sagte der Chef des europäischen Boxverbands, dass das Ansteckungsrisiko gerade beim Vollkontaktsport Boxen «sehr hoch» sei. Der Schweiss fliegt meist nur so durch den Ring. Stichwort: Tröpfcheninfektion.
Social Distancing ist beim Boxen nicht möglich. (Foto: Getty)
Auch bei den Athletinnen und Athleten macht sich immer mehr Unverständnis für die Haltung des IOK breit. Auf die infizierten Boxer und Trainer angesprochen, sagt die deutsche Boxerin Nadina Apetz, auch Teilnehmerin in London, dem «Spiegel»: «Diese Nachricht macht den Entscheid, dieses Turnier überhaupt zu starten, noch einmal unverantwortlicher und unverständlicher.» Zudem seien sie als Sportler in London, «wie in einem Tunnel» gewesen. Augen und Ohren schliessen für den Traum von der Olympia-Teilnahme.
Und wieder sieht das die Gegenseite total anders. «Die Sicherung des Wohlergehens der Athleten, Offiziellen und aller anderen Teilnehmer hatte für die BTF immer oberste Priorität», heisst es dazu im Statement des Olympischen Komitees.
Probleme auf Funktionärsebene
Der Box-Weltverband kann derweil zu der ganzen Affäre nichts sagen. Er ist seit 2019 suspendiert und steht kurz vor seiner Auflösung. Mehrere Korruptionsfälle sind der Grund.
Dennoch: Deren ehemaliger Verbandspräsident, der Koreaner Ching-Kuo Wu, war jahrelang Mitglied des IOK-Exekutivkomitees. Bis letzte Woche. Einen Tag nach dem Abbruch des Turniers in London trat er zurück. Und entzog sich so allfälliger Nachforschungen der Ethikkommission.
Mittlerweile wurden die Olympischen Sommerspiele von Tokio auf 2021 verschoben. Was bleibt, sind mindestens sechs infizierte Teilnehmer einer abgebrochenen Veranstaltung, die zur Qualifikation für ein in diesem Jahr nicht stattfindendes Turnier hätte dienen sollen.
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