ThanatopraxieSie schminkt Leichen
Myriame Marti hat einen ungewöhnlichen Beruf, der viel Expertise und Respekt verlangt: Sie bereitet Verstorbene für den letzten Abschied vor.
- Myriame Marti ist selbstständig als Thanatopraktikerin tätig.
- Sie bereitet Verstorbene sorgfältig auf die Beerdigung vor.
- Nicht alle Kulturen haben dieselben Rituale im Umgang mit Verstorbenen.
Wenn Menschen sterben, werden sie in der Regel begraben oder verbrannt. Vorher jedoch findet die sogenannte Thanatopraxie statt, auch als «hygienischen Totenversorgung» bekannt. Dazu gehört etwa die optische Aufhübschung einer Leiche.
Es ist ein ungewöhnlicher, aber faszinierender Beruf – und einer, den Myriame Marti ergriffen hat. Die 45-Jährige ist selbstständige Thanatopraktikerin und erklärt, dass sie bei jedem Auftrag auf spezifische Wünsche und die Persönlichkeit des Verstorbenen eingeht. «Reinigung, Einbalsamierung, Schminken und Ankleiden zielen darauf ab, dem Verstorbenen ein friedliches Aussehen zu verleihen», sagt Marti. Die kosmetischen Eingriffe sollen die Person nicht idealisieren, sondern ihr ein würdiges, natürliches Aussehen zurückgeben. Dazu bespricht sie mit Angehörigen auch den Lebenslauf der Verstorbenen.
Kürzlich hatte sie die Aufgabe, einen älteren Herrn vorzubereiten, den wir aus Gründen der Anonymität und des Respekts für die Familie und die Angehörigen einfach Herrn Maurice nennen. Myriame Marti rasierte ihm den Bart und frisierte seine Haare mit Sorgfalt. Seine Hände waren schön, mit langen Fingern und sorgfältig gefeilten Nägeln. Man konnte erahnen, dass er jemand war, der auf Eleganz und sein Äusseres geachtet hatte.
Der Ablauf der Leichentoilette erfolgt stets in einer präzisen Abfolge von Schritten. Zunächst wird der Körper sorgfältig gereinigt, gefolgt vom Einsatz antiseptischer Mittel, um einer vorzeitigen Verwesung entgegenzuwirken. Anschliessend wird ein dezentes Make-up aufgetragen – nicht, um den Verstorbenen zu verschönern, sondern um die Zeichen von Krankheit und Tod zu mildern.
Der Teint wird geglättet, das Gesicht leicht gepudert; in manchen Fällen wird Lippenstift aufgetragen, künstliche Wimpern oder Nagellack. Jeder Handgriff von Myriame Marti ist bedacht, sorgfältig abgewogen, damit der Verstorbene seine natürliche Erscheinung bewahrt. Zum Schluss wird er in die von der Familie gewählten Kleidungsstücke gehüllt.
Wie kommt man zu diesem ungewöhnlichen Beruf? Myriame Marti begann ihre Laufbahn mit einer Banklehre und setzte sie mit einem Studium der Sozialwissenschaften an der Universität Lausanne fort. In einem Anthropologie-Kurs kam sie erstmals mit dem Bestattungswesen in Kontakt, eine Erfahrung, die sie tief beeindruckte. Sie absolvierte ein Praktikum bei den offiziellen Bestattungsdiensten von Lausanne. Danach spezialisierte sie sich in der Thanatopraxie und erlangte auch das eidgenössische Diplom als Bestattungsunternehmerin.
Verschiedene Blicke auf den Tod
Nicht jeder Kulturkreis pflegt einen offenen Umgang mit Verstorbenen. «In gewissen Traditionen, wie dem Islam oder dem Judentum, werden die Toten direkt eingehüllt oder bestattet, ohne zum Abschiednehmen aufgebahrt zu werden», sagt Marti. Doch es gibt auch andere Kulturen, etwa in Puerto Rico oder bei den Roma, die die Verstorbenen aufwendig zur Schau stellen. Solche Rituale zeigen: Die Vorbereitung Verstorbener ist eine uralte Tradition, die vom Wunsch geprägt ist, dem Tod mit Würde zu begegnen.
Im 19. Jahrhundert wiederum waren Post-mortem-Fotografien ein letzter Versuch, Verstorbene in friedlicher Erscheinung festzuhalten. Die Bildnisse zeigten die Toten umgeben von vertrauten Objekten – ein letzter Gruss an die Lebenden. Die Praxis, Toten mit Respekt zu begegnen, reicht jedoch weiter zurück: Bereits im Alten Ägypten wurden Körper sorgfältig für das Jenseits vorbereitet.
In Ländern wie Grossbritannien oder den USA ist Thanatopraxie ein offizieller Beruf. Auch in Deutschland ist die Berufsausbildung standardisiert und umfangreicher als in der Schweiz. Nichtsdestotrotz ist die Tätigkeit von Thanatopraktikern weitgehend unbekannt. Kein Wunder, der Tod ist in unserer modernen Gesellschaft ein Thema, das oft verdrängt wird, was die Arbeit der Thanatopraktiker in den Hintergrund rücken lässt.
Der weinende Witwer
«Wenn Angehörige mir sagen, dass der Verstorbene wie schlafend wirkt, ist das das schönste Kompliment», so Marti, die dazu folgende Anekdote zu erzählen hat: Vor einigen Jahren kam ein Witwer auf sie zu, unzufrieden mit der Aufbereitung seiner verstorbenen Frau, deren Frisur und Make-up nach seinem Empfinden ihrem Charakter nicht gerecht wurden. «Für ihn sah sie nicht mehr aus wie früher», sagt Marti. «Ich hatte nur wenig Zeit, um das Bild anzupassen. Der Herr gab mir ein Foto, und ich tat mein Bestes.» Als er seine Frau danach erblickt habe, habe er geweint.
Ob Myriame Marti sich zutrauen würde, sich um einen Verstorbenen aus ihrer eigenen Familie zu kümmern? Sie lächelt und antwortet, dass sie sich nicht sicher sei. Ihre Mutter und ihre beste Freundin haben ihr allerdings bereits zu verstehen gegeben, dass sie sich unbedingt wünschen, dass Myriame eines Tages die Pflege übernimmt, wenn es so weit ist.
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