Gastbeitrag zu SexismusAuch zwei Verurteilungen können eine Männerkarriere nicht zerstören
Im Wallis steigt ein wegen Nötigung und sexueller Belästigung verurteilter Politiker zum Tourismuschef auf. Der Fall steht sinnbildlich für ein gesellschaftliches Phänomen.
Yannick Buttet, ehemaliger Walliser Nationalrat, ist jüngst zum Präsidenten der Walliser Tourismuskammer gewählt worden. Buttet ist zweifach verurteilt. Einmal wegen Nötigung, einmal wegen sexueller Belästigung. Nun wird er Chef der Frau, die ihn einst angezeigt hat.
Ich gehe davon aus, dass sich Menschen ändern können, dass sie aus Fehlern lernen. Und deshalb eine zweite Chance verdienen. Nur: Buttet lässt jegliche moralische Entwicklung vermissen. Keine Anzeichen von Reue oder Wiedergutmachung. Stattdessen – auf Anfrage des lokalen TV-Senders Kanal 9 – ein schnöder Spruch an die Adresse der Frau, die er belästigt hat. Man sei ja erwachsen, man könne Privates und Berufliches trennen.
Die Mitglieder der Tourismuskammer haben Buttet einstimmig gewählt. Ich kann es noch immer nicht fassen. Es gab, so der «Walliser Bote», keine Diskussionen unter den Stimmberechtigten. Und ich frage mich: Was ist los mit einer Gesellschaft, in der die Mitglieder zu einer solchen Personalie schweigen?
Typisch Wallis?
Buttet wird protegiert von der Mitte-Partei. Das Amt wurde ihm vom Ständerat Beat Rieder übergeben. Just jener Rieder, der sich im Parlament gegen das Prinzip «Ja heisst Ja» einsetzte. Auch der ehemalige Nationalrat und heutige Staatsrat Christophe Darbellay, heisst es, unterstütze Buttet. Die Partei versucht mit aller Kraft, Buttet zurück auf das politische Parkett zu bringen.
Der Fall Buttet sei «typisch Wallis», war in Kommentaren auf der Website des «Tages-Anzeigers» und in Reaktionen auf meine Posts in den sozialen Netzwerken oft zu lesen. Diese Sichtweise greift zu kurz, obschon das Patriarchat im Wallis stärker verankert ist als anderswo. Agota Lavoyer beschreibt in ihrem neuen Buch den Begriff «himpathy». Ein Kofferwort aus him und sympathy. Es benennt die Sympathie von Männern für Männer, weil sie Männer sind. Daraus folgt eine irrationale Nachsicht bei übergriffigem Verhalten. «Himpathy» zeigt sich gemäss Lavoyer meist reflexartig – wie bei Vorwürfen gegen internationale Stars wie Gérard Depardieu oder Cristiano Ronaldo. «Himpathy» ist mitnichten eine Walliser Eigenschaft. Der Fall Buttet ist einfach ein lokales Beispiel für ein gesellschaftliches Phänomen.
Oft hört man von der Mär der zerstörten Männerkarrieren. Doch bei Buttet sehen wir, dass nicht mal zwei Verurteilungen eine Männerkarriere zerstören. Frauen hingegen, die Sexismus benennen, werden als Zumutung bezeichnet. Die Frau, die damals die Anklage gegen Buttet wagte, wurde als Präsidentin des Generalrats einer der grössten Walliser Gemeinden abgewählt. Derweil repräsentiert Buttet, zweifach verurteilt, nun den Tourismuskanton Wallis.
Die Wahl Buttets stiess vorerst auf wenig Interesse. Doch nun scheint der Wind gedreht zu haben. In Leserbriefen, Kolumnen und Kommentaren wird Kritik laut – vornehmlich von Frauen, aber auch von Männern. Die Intransparenz des Wahlprozederes und der Name des Gegenkandidaten werden publik. Frauengruppierungen stellen Forderungen. Der Unmut ist gross. Ob er gross genug ist, damit im Wallis etwas kippen könnte?
Danica Zurbriggen Lehner war Politikerin bei Neo (ehemals Christlichsoziale Volkspartei Oberwallis). Sie arbeitet als Dozentin in Bern und lebt in Zermatt.
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