Fragen und Antworten zur PflegeinitiativeSetzt das Initiativkomitee eine Milliarde aufs Spiel?
Warum der Berufsverband der Pflegenden an der Initiative festhält, obwohl es einen Gegenvorschlag gibt. Und warum Bundesrat und Parlament Nein sagen.
Am 28. November stimmt das Volk über die Pflegeinitiative ab. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zur Vorlage:
Warum wurde die Pflegeinitiative lanciert?
Die Schweiz bildet zu wenig qualifiziertes Pflegepersonal aus, um den heutigen und künftigen Bedarf zu decken. Bis 2030 werden rund 43’000 zusätzliche Pflegefachkräfte mit Tertiärabschluss benötigt, die Schweiz kann aber bis dann höchstens 29’000 Pflegende mit einem Abschluss an einer Fachhochschule oder einer höheren Fachschule ausbilden. Dies zeigt der neuste Versorgungsbericht zum Gesundheitspersonal des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan). Die Pflegeinitiative fordert deshalb eine Ausbildungsoffensive, bessere Arbeitsbedingungen und bessere berufliche Entwicklungsmöglichkeiten, um die Pflegeberufe attraktiver zu machen.
Warum hat das Parlament einen Gegenvorschlag gemacht?
Die Volksinitiative will die Gesundheitsversorgung der Schweiz sichern. Das Pflegepersonal spielt dabei eine entscheidende Rolle, und die Initiative greift mit dem drohenden Pflegenotstand ein zentrales politisches Thema auf. Die Initiative hat laut Umfragen gute Chancen auf eine Annahme in der Volksabstimmung.
Um der Initiative den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat das Parlament einen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet, der mehrere Anliegen erfüllt. Das Parlament anerkennt den Mangel an Pflegepersonal, will aber keine Verfassungsbestimmung, die eine Regulierung der Arbeitsbedingungen durch den Bund vorsieht.
Wodurch unterscheidet sich der Gegenvorschlag von der Initiative?
Der Gegenvorschlag nimmt zwei wichtige Forderungen der Pflegeinitiative auf. Er sieht erstens einen Kredit von maximal 1 Milliarde Franken vor, die während acht Jahren in eine Ausbildungsoffensive fliesst. Konkret zahlt der Bund maximal 469 Millionen Franken. Den gleichen Betrag sollen die Kantone beisteuern, wozu es jedoch noch die entsprechenden Beschlüsse in den Kantonen braucht. Die in Aussicht gestellte Milliarde ist für Zuschüsse an die Auszubildenden vorgesehen. Die Mittel gehen zudem an Bildungsinstitutionen, die die Zahl der Ausbildungsplätze erhöhen, sowie an Spitäler, Pflegeheime und Spitex-Dienste, die Praktikumsplätze anbieten. Zweitens ermöglicht der Gegenvorschlag, dass Pflegefachkräfte bestimmte Leistungen direkt zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung abrechnen können. Bislang müssen sie dafür eine ärztliche Anordnung einholen.
Warum hält das Initiativkomitee an der Initiative fest?
Das Initiativkomitee, namentlich der federführende Verband der Pflegefachkräfte SBK, hält eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für zwingend. Nur wenn künftig weniger diplomierte Pflegende frühzeitig aus dem Beruf ausstiegen, könne der Personalbedarf gedeckt werden. Zudem nützten die Gelder für eine Ausbildungsoffensive nur etwas, wenn das zusätzlich ausgebildete Personal tatsächlich in der Pflege arbeite. Zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen seien Bundesvorgaben zur Personaldotierung in Spitälern und Heimen notwendig. Zudem seien die Löhne, gemessen an der Belastung und Verantwortung des Pflegepersonals, heute zu tief. Schliesslich müssten die Pflegeleistungen über höhere Tarife besser abgegolten werden. Dies erst ermögliche es den Spitälern und Heimen, mehr Personal einzustellen.
Warum sind Bundesrat und Parlament gegen die Initiative?
Die bürgerlichen Parteien im Parlament und der Bundesrat sind der Ansicht, dass die Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals auf kantonaler Ebene und zwischen den Sozialpartnern geregelt werden müssen. Der Bund habe keine Kompetenz, die Arbeitsbedingungen für Pflegeberufe zu regeln. Zudem dürfe nicht eine einzelne Berufsgruppe in der Verfassung eine Sonderstellung erhalten.
Was passiert bei einer Annahme der Initiative?
Der Gegenvorschlag tritt nicht in Kraft, falls Volk und Stände der Pflegeinitiative zustimmen. Die Gegner der Initiative warnen deshalb, dass bei einem Ja das Pflegepersonal noch jahrelang auf Verbesserungen warten müsse. Tatsächlich haben Bundesrat und Parlament bei einer Annahme der Initiative deren Umsetzung auszuarbeiten. Laut Initiativtext hat das Parlament dazu vier Jahre Zeit. Zudem kann der Bund keine detaillierten Arbeitsbedingungen vorgeben, jedoch könnte das Parlament eine Pflicht zu Gesamtarbeitsverträgen festschreiben.
Setzen die Initianten eine Milliarde aufs Spiel?
Ob das Parlament bei einem Ja zur Initiative nochmals eine Ausbildungsoffensive in gleichem Umfang beschliessen wird, ist offen. Gut möglich ist, dass erst das Parlament nach den Wahlen von 2023 in einer neuen Zusammensetzung darüber entscheidet. Die Initianten wenden hingegen ein, dass das Parlament den indirekten Gegenvorschlag übernehmen und um drei Punkte ergänzen könnte: die Vorgaben, dass es künftig genügend Personal auf allen Arbeitsschichten geben muss, dass die Pflegeleistungen besser entschädigt und die Arbeitsbedingungen verbessert werden müssen.
Warum fokussiert die Initiative auf das diplomierte Fachpersonal?
Die Diplompflege wird laut Initiativkomitee explizit in der Verfassung genannt, weil die Pflegequalität im stationären Bereich am kosteneffizientesten sei, wenn 80 Prozent der qualifizierten Pflegeleistungen durch diplomierte Fachpersonen erbracht würden. Auch laut Obsan-Bericht liegt der grösste Bedarf beim Personal mit einem Abschluss auf Tertiärstufe. Die Hälfte des heute in der Schweiz beschäftigten Personals verfügt über ein solches Diplom, wobei ein Drittel dieser Ausbildungen im Ausland absolviert wurde.
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