Erste Tamedia-AbstimmungsumfrageMehrheit unterstützt Covid-Gesetz – Befürworter zittern trotzdem
Gemachte Meinungen beim Zertifikat, viel Support für die Pflegeinitiative und Unsicherheit bei der Justizinitiative: Das sind die Resultate unserer Umfrage.
Ende November stimmt die Schweiz über das Covid-Gesetz ab – schon zum zweiten Mal in dieser Pandemie. Standen beim ersten Urnengang im Juni die Wirtschaftshilfen im Zentrum, rückt nun das umstrittenere Covid-Zertifikat in den Fokus.
Die Anspannung im Vorfeld der Abstimmung ist gross – insbesondere im Lager der Befürworterinnen und Befürworter. Denn während die Gegnerschaft schon seit einiger Zeit mit knalligen Sujets für ein Nein zum Gesetz weibelt, formieren sich die Pro-Komitees erst gerade.
Nun zeigt die erste Abstimmungsumfrage von Tamedia und «20 Minuten»: Die Meinungsbildung in der Bevölkerung ist schon weit fortgeschritten. Im Moment wollen 63 Prozent ein Ja zum Covid-Gesetz in die Urne legen, 35 Prozent sind dagegen. Der Anteil der «Eher Ja»- oder «Eher Nein»-Stimmen ist dabei deutlich tiefer als in diesem frühen Stadium üblich. Nur gerade zwei Prozent geben an, dass sie sich noch gar nicht entschieden haben.
Ausser der SVP stehen alle etablierten Parteien hinter dem Gesetz. Das widerspiegelt sich in der Befragung: Im rot-grünen Lager, aber auch in der Mitte und in der Wählerschaft der FDP sprechen sich jeweils weit über 70 Prozent für ein Ja aus. Einzig in der Basis der SVP ist nur jeder Dritte dafür.
Dennoch ist bei den Unterstützern des Gesetzes keine Euphorie spürbar. Peter Metzinger ist der Kopf hinter einem zivilgesellschaftlichen Pro-Komitee, das erst in diesen Tagen gegründet wurde. Der Inhaber eines Campaigning-Büros und FDP-Lokalpolitiker aus Dietikon ZH sagt: «Leider haben die Befürworterinnen und Befürworter den Start des Abstimmungskampfs ziemlich verschlafen.»
Eigentlich hatte der Kampagnenspezialist darauf vertraut, dass die etablierten Parteien und die Verbände eine Kampagne planen. «Als ich jedoch einige Verbände und Organisationen um Unterstützung für ein kleines Online-Erklärvideo anfragte, stellte ich fest: In dieser wichtigen Sache tat sich lange rein gar nichts.»
Nun arbeitet er mit rund einem Dutzend Mitstreiterinnen an einer Website, richtet ein Spendenkonto ein, brütet über Sujets. Zudem steht er in Kontakt mit einem überparteilichen Komitee, das ebenfalls bald aus der Taufe gehoben wird. Am Donnerstagabend lancierte die SP in einer kurzfristigen Aktion einen Appell mit dem Titel «Ja zur Vernunft», auch die Freidenker-Vereinigung liess erste Werbungen schalten.
Die solide Zustimmung von 63 Prozent beruhigt Metzinger trotzdem keineswegs. «Wir wissen, dass unsere Gegner organisatorisch sehr stark aufgestellt sind. Und finanziell können wir ihnen nie im Leben das Wasser reichen.»
Gegner mit 50 Tonnen Werbematerial
Im Lager der Gegner sind die Plakate schon gedruckt, der Internetauftritt steht, die erste Medienkonferenz ist absolviert. Ein gemischtes Komitee aus Vertretern der Bewegungen Mass-Voll, Freunde der Verfassung, Netzwerk Impfentscheid und dem Aktionsbündnis Urkantone warnt auf allen Kanälen vor einer Diskriminierung ungeimpfter Personen, vor einer elektronischen Massenüberwachung sowie vor einem befürchteten Impfzwang.
Josef Ender, Sprecher des Aktionsbündnisses Urkantone, will sich auf Anfrage nicht im Detail zu den Umfrageresultaten äussern. Nur so viel: «Wir glauben an unsere Kampagne und sind mit dem bisherigen Verlauf sehr zufrieden.» Bereits seien 50 Tonnen Werbematerial an 150 Regionalgruppen verteilt worden. Rund 3 Millionen Flyer seien im Druck oder schon verteilt. «Ziel ist, dass in jedem Haushalt eines unserer Flugblätter landet. Und das ist noch nicht alles.»
Heute Freitag lancieren zudem die SVP und ihre Jungpartei ihre gemeinsame Abstimmungskampagne gegen das Covid-Gesetz. Die Einladung zur Pressekonferenz trägt den Titel: «Nein zur Spaltung der Gesellschaft». Genau dieses Argument ist es, das laut den Umfrageresultaten bei den Gegnern des Gesetzes am meisten verfängt.
«Wenn die Realitätsverweigerer, Schwurbler und Wissenschaftsfeinde sich durchsetzen, dann hält das Mittelalter Einzug in unsere Politik.»
Die Motive der Befürworterinnen und Befürworter sind dagegen eher pragmatischer Natur: Im Pro-Lager lautet das beliebteste Argument, das Zertifikat sei nun einmal nötig, um durch den Corona-Winter zu kommen. Komiteegründer Peter Metzinger sagt, selbst vielen Befürwortern sei nicht bewusst, dass es um mehr als nur das Zertifikat gehe. «Wenn die Realitätsverweigerer, Schwurbler und Wissenschaftsfeinde sich durchsetzen, dann hält das Mittelalter Einzug in unsere Politik. Dann verabschieden wir uns von der Aufklärung und von den Fakten.»
Für ihn ist klar: Der Abstimmungskampf wird über die Mobilisierung entschieden. Es gelte zu verhindern, dass sich die Befürworterinnen in falscher Sicherheit wögen oder das Abstimmen vergässen.
Wie die Umfrage zeigt, nimmt die Zustimmung zum Gesetz mit steigendem Alter zu. Bei den jüngsten Stimmberechtigten sind die Befürworter mit 54 Prozent nur knapp in der Mehrheit. In der Stadt und in der Agglomeration ist die Unterstützung zudem deutlich grösser als auf dem Land, wobei das Ja-Lager auch dort die Nase vorn hat. Und schliesslich stehen Männer dem Gesetz tendenziell positiver gegenüber als Frauen.
Viel Support für Pflegerinnen
Einen fulminanten Start legt eine andere Vorlage hin, die am 28. November zur Abstimmung gelangt. Die Pflegeinitiative erreicht in der ersten Umfragewelle eine rekordhohe Zustimmung von 82 Prozent. Zwar ist es üblich, dass Volksinitiativen bis zum Abstimmungstermin noch an Unterstützung einbüssen. «Ein Start auf einem solch hohen Niveau ist aber ungewöhnlich», sagt Politologe Fabio Wasserfallen, der die Umfrage zusammen mit Lucas Leemann durchgeführt hat.
Er erinnere sich nur an wenige Initiativen, die mit ähnlichen Werten in den Abstimmungskampf gestartet seien. Eine davon sei die Volksinitiative für ein Berufsverbot für Pädophile gewesen, die 2014 an der Urne klar angenommen wurde.
Derzeit findet die Vorlage in allen politischen Lagern eine Mehrheit. Und das, obwohl ausser SP und Grünen die meisten Parteien dem indirekten Gegenvorschlag den Vorzug geben. Die Mitte hat Stimmfreigabe beschlossen. Die Initiantinnen wollen den Pflegeberuf attraktiver machen. Unter anderem verlangen sie, dass der Bund Vorschriften zur Personalausstattung und zu den Arbeitsbedingungen erlässt. Der Gegenvorschlag beinhaltet eine milliardenschwere Ausbildungsoffensive.
Die Umfrageresultate legen nahe, dass das Timing für die Initianten günstig ist. Das häufigste Argument der Befürworterinnen lautet, dass die Corona-Krise die Missstände in der Pflege gnadenlos aufgezeigt habe. Es brauche rasch Verbesserungen, um die hohe Qualität des Gesundheitswesens zu sichern. Die Nein-Stimmenden berufen sich oft auf den Gegenvorschlag, den sie als unbürokratischer erachten.
Abstrakte Justizinitiative
Die dritte Vorlage, über die wir Ende November abstimmen, ist die Justizinitiative. Sie fordert, dass Bundesrichterinnen und Bundesrichter künftig im Losverfahren bestimmt statt wie heute vom Parlament gewählt werden. Auch hier starten die Befürworterinnen mit einem Vorsprung, allerdings reicht es mit 48 Prozent nur für ein relatives Mehr. Sehr viele Menschen drückten «Eher Ja», «Eher Nein» oder sind noch komplett unentschlossen.
«Das Thema ist für viele Menschen abstrakt und hat für ihren Alltag keine unmittelbare Bedeutung», so Wasserfallen. Entsprechend sei die Meinungsbildung bei dieser Vorlage noch nicht weit fortgeschritten. Im Parlament ist die Initiative, die aus der Feder des Unternehmers Adrian Gasser stammt, bei allen Fraktionen durchgefallen.
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