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Expertin für Biosicherheit im Interview
Hat die Wissenschaft die Corona-Laborthese vorschnell verworfen?

Kathrin Summermatter, Leiterin des Biosicherheitszentrums am IFIK, steht in einem Korridor. Eine Person in Schutzkleidung läuft im Hintergrund.
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Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) hält es seit fünf Jahren für sehr wahrscheinlich, dass ein Laborunfall im chinesischen Wuhan zur weltweiten Coronapandemie geführt hat. Dies haben «Süddeutsche Zeitung» und «Die Zeit» vergangene Woche aufgedeckt. Die Recherchen haben die Diskussionen um den Ursprung von Sars-CoV-2 wieder angeheizt.

Wie schätzt eine Expertin die neuen Erkenntnisse ein? Katharina Summermatter ist Leiterin des Zentrums für Biosicherheit am Institut für Infektionskrankheiten (Ifik) der Universität Bern und Mitglied der Scientific Advisory Group for the Origins of Novel Pathogens (Sago) bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Frau Summermatter, haben die neuen Erkenntnisse Ihre Sicht auf den Ursprung der Pandemie verändert?

Leider kennen wir weder den genauen Inhalt des BND-Berichts noch die Daten und Informationen, auf die er sich bezieht. Ohne diese wissenschaftlichen Grundlagen oder Nachweise lässt sich keine Aussage treffen. Es ist letztlich ein weiterer Geheimdienstbericht, wie es in den USA bereits mehrere gab.

Für wie plausibel halten Sie die Labortheorie auf der Basis von dem, was heute bekannt ist?

Beim WHO-Fachgremium Sago haben wir unlängst alle Informationen aus publizierten Studien und aus Berichten von Regierungsorganisationen weltweit ausgewertet. Das ist inzwischen eine grosse Menge an Daten. Diese deuten nach wie vor stark auf einen natürlichen Ursprung des Pandemievirus hin. Eine Laborherkunft von Sars-CoV-2 lässt sich aber weiterhin nicht ausschliessen. Wir haben aber immer noch keinen Zugang zu Informationen, die das abschliessend klären würden. Auch auf der Ebene der Virusgene lässt sich kein klares Bild erkennen. Auf der anderen Seite existieren inzwischen aber sehr viele wissenschaftliche Daten, die auf den Wildtiermarkt in Wuhan als Ursprung deuten.

Macht es Sie nicht stutzig, dass China diese Informationen nicht zur Verfügung stellt?

Doch. Es hätte schon lange eine unabhängige Inspektion des Biosicherheitslabors in Wuhan gemacht werden sollen. China ist bis heute nicht auf entsprechende Aufforderungen eingegangen. Das hat sicher auch mit der Informationskultur zu tun, die in China weniger offen ist als im Westen. Unabhängig davon wollen Forschungseinrichtungen ihre Daten in solchen Fällen oft nicht teilen, weil sie einen Reputationsschaden befürchten. Ich verfolge das Thema Sicherheit im Labor schon ziemlich lange und mache diese Erfahrung immer wieder. Aus Sicht der Biosicherheit ist es nicht gut, wenn man bei Zwischenfällen nicht offen ist und Experten den Zugriff auf die Daten nicht ermöglicht.

Offenbar hat der BND Hinweise darauf, dass in Wuhan Sicherheitsstandards nicht eingehalten wurden. Was wissen Sie dazu?

Die Vorschriften sind in China ähnlich streng wie in der Schweiz. Das Land hat vor gut 20 Jahren die Sicherheitsvorkehrungen stark intensiviert, nachdem es während des Sars-Ausbruchs im Jahr 2003 zu Laborinfektionen gekommen war. Damals dauerte es übrigens zehn Jahre, bis der Ursprung des Virus gefunden wurde. Ob die hohen Sicherheitsstandards im Labor in Wuhan konsequent umgesetzt wurden, ist eine offene Frage. Es gibt Medienberichte über Mängel, die die chinesischen Aufsichtsbehörden festgestellt hätten. Genaue Informationen dazu haben wir nicht. Mängel sind grundsätzlich aber nicht ungewöhnlich.

Inwiefern?

Sie finden sich bei Inspektionen von Labors auf der ganzen Welt. Auch in der Schweiz. Es kommt auf die Art der Mängel an. Es kann sich um ein Dokument handeln, das nicht aktualisiert wurde. Oder eine nicht korrekte Schulung der Mitarbeitenden. Oder technische Mängel. Biosicherheit ist ein komplexes System mit sehr vielen Ebenen. Welche Probleme bei den chinesischen Inspektionen gefunden wurden und wie gravierend sie waren, wissen wir nicht.

Angenommen, es war tatsächlich ein Laborunfall: Welche Szenarien wären denkbar?

Erreger entweichen am häufigsten aus einem Labor, wenn sich ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin durch einen Fehler unbeabsichtigt infiziert. Bei Sars-CoV-2 könnte dies zum Beispiel durch das Einatmen von Aerosolen passieren, wenn sich jemand nicht an Sicherheitsvorkehrungen gehalten hat. Zu Hause entwickelt die Person nach einer gewissen Zeit Symptome und steckt Kontaktpersonen an. In solchen Fällen müssen die Betroffenen in der Regel in Quarantäne gehen. Es kann aber auch passieren, dass der infizierte Mitarbeiter denkt, dass er einfach Schnupfen habe, und nichts meldet. Das Virus verbreitet sich dann weiter und wird erst später entdeckt.

Bei Sars-CoV-2 verläuft ein beträchtlicher Teil der Infektionen asymptomatisch.

Das kann eine Laborinfektion noch problematischer machen. Wenn dann jemand krank wird, muss man die ganze Ansteckungskette nachverfolgen. Neben Laborinfektionen könnte ein Erreger auch durch technische Defekte entweichen, zum Beispiel bei der Lüftung. Da müssten allerdings schon grosse Mengen freigesetzt werden, damit es zu Infektionen ausserhalb des Labors kommt. Und schliesslich ist auch der Abfall ein Thema. Es gibt da eigentlich klare Vorgaben. Doch wenn ein Fehler passiert und zum Beispiel kontaminiertes Material nicht inaktiviert wird, können die Personen, die dieses abholen, sich anstecken und die Krankheit weitergeben.

Haben die Diskussionen um einen möglichen Corona-Laborunfall schon Konsequenzen für die Sicherheitsstandards?

Die Sicherheitsstandards sind sicher vermehrt im Fokus und werden zunehmend überprüft. Die WHO hat beispielsweise Leitlinien zur Biosicherheit veröffentlicht, wie im Labor mit riskanten Erregern umgegangen werden soll. Diese sind weltweiter Standard, gesetzlich aber nicht bindend. Dennoch werden sie in den meisten Ländern übernommen. International läuft in diesem Bereich derzeit sehr viel. Es herrscht eine ähnliche Sensibilisierung wie vor 30 Jahren, als man über mögliche Risiken der Gentechnologie diskutierte.

Mit Coronaviren arbeitet man bis jetzt in der Regel auf der Biosicherheitsstufe zwei. Eine Ansteckung im Labor über Aerosole wäre gut möglich, oder?

Tatsächlich findet ein grosser Teil der Coronavirusforschung weltweit auf Stufe zwei statt. Dabei arbeitet man jeweils in einer Sicherheitswerkbank. Diese ist zwar vorne offen, ein Luftstrom zieht Aerosole jedoch nach innen. Geschulte Leute wissen, wie sie damit arbeiten müssen, damit sie geschützt sind.

Trotzdem kann etwas schiefgehen.

Die Sicherheitsstufe spielt dabei letztlich keine Rolle, ob man sich infiziert. Wenn man unsauber arbeitet, kann dies auch in einer höheren Sicherheitsstufe passieren. Zudem ist es auch möglich, dass eine Verschüttung von kontaminierter Flüssigkeit ausserhalb der Sicherheitsbank passiert.

Dann wäre eine Aerosolansteckung möglich?

Ja, das ist bei anderen Erregern auch schon vorgekommen. Man weiss oft nicht so genau, bei welchem Arbeitsschritt sich tatsächlich Betroffene infiziert haben. Ob sie die Hand an die Nase oder ins Auge gehalten oder etwas eingeatmet haben.

In Wuhan wurden vermutlich Versuche gemacht, bei denen Viren so verändert wurden, dass sie gefährlicher wurden, sogenannte Gain-of-Function-Experimente. Sind diese nicht zu riskant?

Forscherinnen und Forscher wollen nicht grundsätzlich gefährlichere Viren konstruieren. Es geht vielmehr darum, zu verstehen, was diese Erreger so gefährlich macht. Das kann dann zum Beispiel zu besseren Impfstoffen und Diagnosemethoden führen. Es werden Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die das Risiko dieser Versuche stark reduzieren sollen. Aber ich verstehe, wenn Leute sich über diejenigen im Elfenbeinturm beklagen, die gefährliche Versuche durchführen. Doch bei öffentlicher Forschung an den Universitäten hat niemand ein Interesse daran, eine Pandemie loszutreten. Daher wird vor dem Durchführen der Versuche immer eine Bewertung vorgenommen, in der die Risiken dem Nutzen gegenübergestellt werden.

Trotzdem wird ein gewisses Risiko in Kauf genommen.

In der Schweiz evaluiert die Eidgenössische Kommission für Biologische Sicherheit alle Projekte. Sie schaut insbesondere Sicherheitsfragen genau an und bewertet sie. Unter Umständen gibt es auch keine Bewilligung.

Es wurde der Vorwurf laut, dass Fachleute die Laborthese am Anfang der Pandemie vorschnell als Verschwörungstheorie abgetan hätten. Auch Sie haben sich anfänglich so geäussert. Ein Fehler?

Verschwörungstheorie ist wahrscheinlich tatsächlich ein schlechtes Wort in diesem Zusammenhang. Ich finde heute, dass man beide Möglichkeiten – Laborunfall und natürlicher Ursprung – gleichwertig anschauen muss.

Waren diese ersten Einschätzungen vorschnell?

Ja. Es war eine andere Situation und geschah aufgrund des damaligen Wissens. Bis dahin waren Pandemien immer die Folge von Erregern, die natürlicherweise von Tieren auf Menschen übergegangen sind. Laborausbrüche haben da noch nie eine Rolle gespielt. Welche Rolle sie diesmal spielen, wird sich noch zeigen müssen.