Proteste gegen EU-Pläne in Serbien «Sie haben sich unsere Flüsse und Wälder unter den Nagel gerissen»
Die EU will in Serbien Lithium abbauen, um Batterien für die Energiewende zu produzieren. Dagegen laufen serbische Umweltschützer Sturm.
Wenige Tage nachdem die EU und der deutsche Kanzler Olaf Scholz ein Abkommen mit der serbischen Regierung unterzeichnet haben, um in Serbien Lithium abzubauen, formiert sich in dem Balkanland heftiger Widerstand. In mehreren serbischen Städten laufen Umweltschützer, politische Aktivisten und Oppositionelle Sturm gegen das Projekt im Tal des Flusses Jadar in Westserbien. Es geht die Angst um, dass die Förderung des Leichtmetalls den Boden unwiderruflich verschmutzen könnte.
«Sie haben sich unsere Flüsse und Wälder unter den Nagel gerissen», sagte der Umweltaktivist Nebojsa Kovandzic auf einer Kundgebung in der zentralserbischen Stadt Kraljevo. Er warf der Regierung vor, nur eigene Interessen zu verfolgen und die Sorgen der Menschen zu ignorieren. Die Menge rief: «Diebe, Diebe». Viele Menschen in Serbien fühlen sich von der EU verraten. Brüssel werfe alle Prinzipien über den Haufen, um den begehrten Rohstoff zu sichern.
In Deutschland gebe es mehr Lithium als in Serbien
Der Oppositionspolitiker Pavle Jelesijevic erhob schwere Vorwürfe gegen die deutsche Regierung. In Deutschland gebe es grössere Mengen des Batterierohstoffs als in Serbien, doch die Deutschen würden nach Serbien kommen, um es dort abzubauen. «Wir werden unser Land, das Land unserer Vorfahren, mit unseren Körpern verteidigen, wenn es nötig ist», so Jelesijevic. Das Projekt gefährde Umwelt und Menschenleben.
Nach landesweiten Protesten hatte die serbische Regierung im Frühling 2022 die Abbaupläne gestoppt. Damals stand das Land vor den Wahlen, und der autokratische Staatspräsident Aleksandar Vucic fürchtete Stimmenverluste. Kurz nach seinem Wahlsieg erklärte Vucic, sein grösster Fehler sei es gewesen, das 2,4 Milliarden Dollar schwere Projekt auf Eis zu legen und die Verträge mit dem britisch-australischen Konzern Rio Tinto zu kündigen.
Ein fragwürdiges Urteil
Der angekündigte Stopp der Abbaupläne war offensichtlich nur ein Täuschungsmanöver der Machthaber. Hinter den Kulissen wurden Vorbereitungen getroffen, um die Abbaulizenz für Rio Tinto zu aktivieren. Die Firma mit 50’000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von über 60 Milliarden Dollar kaufte weitere Grundstücke und versprach den Bewohnern finanzielle Unterstützung, wenn sie wegziehen würden.
Anfang Juli kam plötzlich Bewegung in der Sache. Das von der Regierung gesteuerte Verfassungsgericht erklärte in einem fragwürdigen Urteil, dass die Annullierung des Lithiumprojekts gesetzwidrig gewesen sei. Dann ging alles Schlag auf Schlag. Am 16. Juni machte die Regierung den Weg frei für das Projekt, drei Tage später reisten Olaf Scholz und der EU-Energiekommissar Maros Sefcovic nach Belgrad, um das Abkommen über die Ausbeutung von Lithium im Jadar-Tal zu unterzeichnen.
55 Prozent der Befragten lehnen das Projekt ab
Seither sind nicht nur die Bauern im Tal an der Grenze zu Bosnien-Herzegowina besorgt. «Wir glauben nicht an Erzählungen, wonach das Bergwerk sowohl ökologisch als auch profitabel sein kann. Wir brauchen diese Art von Profit nicht», sagte eine Anwohnerin gegenüber BBC auf Serbisch. Gemäss einer Umfrage lehnen 55 Prozent der Serbinnen und Serben das Projekt ab. Viele befürchten, dass Serbien eine Rohstoffkolonie Europas wird.
Die EU möchte Lithium in Serbien abbauen, um Batterien für die Energiewende herzustellen. Zwar produziert China Batterien für Elektroautos im Überfluss, doch die EU will nicht noch mehr abhängig sein von der kommunistischen Diktatur in Peking. Nach Angaben von Rio Tinto sind die Vorkommen im serbischen Jadar-Tal die grössten in Europa. Damit liessen sich jährlich 1,1 Millionen E-Autos versorgen. (Lesen Sie hier die Analyse über Chinas Pläne in Osteuropa).
Brutaler Machtkampf um den wertvollen Rohstoff
Der an der Uni Lausanne und in Oxford lehrende Anthropologe Mark Goodale warnte gegenüber serbischen Medien vor riesigen Umweltschäden in Serbien. Goodale hat jahrelang Lithium-Abbaupläne in Bolivien erforscht. Das südamerikanische Land besitzt weltweit die grössten Reserven. Auch dort tobt ein brutaler Machtkampf um den wertvollen Rohstoff. Nun werde das serbische Volk aufgefordert, sich für das Wohl Europas zu opfern, so Goodale.
Die EU ist bereit, Serbien Garantien für Umweltverträglichkeit zu geben. Der deutsche Kanzler wies die Bedenken der serbischen Zivilgesellschaft zurück: «Dies wird ein umweltgerechtes Projekt, ein europäisches Projekt.» Serbiens Präsident Aleksandar Vucic erklärte enthusiastisch, der Abbau von Lithium werde Serbien sechs Milliarden Euro neue Investitionen bringen.
Es sollen auch weiterverarbeitende Fabriken und Zehntausende Arbeitsplätze entstehen, so Vucic. Umweltaktivisten warnen dagegen vor Schäden in der Landwirtschaft und gar vor einer Entvölkerung ganzer Landstriche. Die Allianz der Umweltverbände Serbiens hat der Regierung eine Frist bis zum 10. August gesetzt, um den Lithiumabbau zu verbieten. Falls dies nicht geschehe, werde man die Proteste radikalisieren.
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