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Proteste gegen EU-Pläne in Serbien
«Sie haben sich unsere Flüsse und Wälder unter den Nagel gerissen»

People attend a protest in Sabac, Serbia, Monday, July 29, 2024. Thousands of people rallied in several towns in Serbia to protest a lithium excavation project the Balkan country's government recently signed with the European Union. The sign at right reads: ?I don?t give Jadar and Radjevina (parts of western Serbia) I keep my heritage." (AP Photo/Darko Vojinovic)
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Wenige Tage nachdem die EU und der deutsche Kanzler Olaf Scholz ein Abkommen mit der serbischen Regierung unterzeichnet haben, um in Serbien Lithium abzubauen, formiert sich in dem Balkanland heftiger Widerstand. In mehreren serbischen Städten laufen Umweltschützer, politische Aktivisten und Oppositionelle Sturm gegen das Projekt im Tal des Flusses Jadar in Westserbien. Es geht die Angst um, dass die Förderung des Leichtmetalls den Boden unwiderruflich verschmutzen könnte.

«Sie haben sich unsere Flüsse und Wälder unter den Nagel gerissen», sagte der Umweltaktivist Nebojsa Kovandzic auf einer Kundgebung in der zentralserbischen Stadt Kraljevo. Er warf der Regierung vor, nur eigene Interessen zu verfolgen und die Sorgen der Menschen zu ignorieren. Die Menge rief: «Diebe, Diebe». Viele Menschen in Serbien fühlen sich von der EU verraten. Brüssel werfe alle Prinzipien über den Haufen, um den begehrten Rohstoff zu sichern.

In Deutschland gebe es mehr Lithium als in Serbien

Der Oppositionspolitiker Pavle Jelesijevic erhob schwere Vorwürfe gegen die deutsche Regierung. In Deutschland gebe es grössere Mengen des Batterierohstoffs als in Serbien, doch die Deutschen würden nach Serbien kommen, um es dort abzubauen. «Wir werden unser Land, das Land unserer Vorfahren, mit unseren Körpern verteidigen, wenn es nötig ist», so Jelesijevic. Das Projekt gefährde Umwelt und Menschenleben.

epa11487243 Serbian President Aleksandar Vucic (C) talks during a press conference with German Chancellor Olaf Scholz (L) and Executive Vice-President of the European Commission Maros Sefcovic (R) during the 'Serbian Critical raw materials summit' in Belgrade, Serbia, 19 July 2024. German Chancellor Scholz and EU Commission Vice-President Sefcovic visited Serbia to discuss a major lithium excavation project, aimed at reducing Europe's reliance on China for this critical battery-making resource, despite strong environmental and opposition group criticisms. During the summit, a memorandum of understanding on sustainable raw materials and electric vehicle supply chains was signed, with Serbian officials emphasizing the project's potential benefits for the country's development.  EPA/ANDREJ CUKIC

Nach landesweiten Protesten hatte die serbische Regierung im Frühling 2022 die Abbaupläne gestoppt. Damals stand das Land vor den Wahlen, und der autokratische Staatspräsident Aleksandar Vucic fürchtete Stimmenverluste. Kurz nach seinem Wahlsieg erklärte Vucic, sein grösster Fehler sei es gewesen, das 2,4 Milliarden Dollar schwere Projekt auf Eis zu legen und die Verträge mit dem britisch-australischen Konzern Rio Tinto zu kündigen.

Ein fragwürdiges Urteil

Der angekündigte Stopp der Abbaupläne war offensichtlich nur ein Täuschungsmanöver der Machthaber. Hinter den Kulissen wurden Vorbereitungen getroffen, um die Abbaulizenz für Rio Tinto zu aktivieren. Die Firma mit 50’000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von über 60 Milliarden Dollar kaufte weitere Grundstücke und versprach den Bewohnern finanzielle Unterstützung, wenn sie wegziehen würden.

Anfang Juli kam plötzlich Bewegung in der Sache. Das von der Regierung gesteuerte Verfassungsgericht erklärte in einem fragwürdigen Urteil, dass die Annullierung des Lithiumprojekts gesetzwidrig gewesen sei. Dann ging alles Schlag auf Schlag. Am 16. Juni machte die Regierung den Weg frei für das Projekt, drei Tage später reisten Olaf Scholz und der EU-Energiekommissar Maros Sefcovic nach Belgrad, um das Abkommen über die Ausbeutung von Lithium im Jadar-Tal zu unterzeichnen. 

55 Prozent der Befragten lehnen das Projekt ab

Seither sind nicht nur die Bauern im Tal an der Grenze zu Bosnien-Herzegowina besorgt. «Wir glauben nicht an Erzählungen, wonach das Bergwerk sowohl ökologisch als auch profitabel sein kann. Wir brauchen diese Art von Profit nicht», sagte eine Anwohnerin gegenüber BBC auf Serbisch. Gemäss einer Umfrage lehnen 55 Prozent der Serbinnen und Serben das Projekt ab. Viele befürchten, dass Serbien eine Rohstoffkolonie Europas wird.

A  beautiful  view  of  the  Jadar  river  valley  in  western  Serbia  near  the  town  of  Loznica. xkwx amazing,  April,  background,  beautiful,  beauty,  borosilicate,  colorful,  day,  deposit,  environment,  Europe,  field,  forest,  green,  idyllic,  Jadar,  landscape,  lithium,  lithium-borate,  Loznica,  mineral  Jadarite,  natural,  nature,  nobody,  outdoor,  panorama,  panoramic,  river,  scenery,  scenic,  season,  Serbia,  sky,  sodium,  spring,  tree,  vacation,  valley,  view,  water,  wide,  wood,  yellow

Die EU möchte Lithium in Serbien abbauen, um Batterien für die Energiewende herzustellen. Zwar produziert China Batterien für Elektroautos im Überfluss, doch die EU will nicht noch mehr abhängig sein von der kommunistischen Diktatur in Peking. Nach Angaben von Rio Tinto sind die Vorkommen im serbischen Jadar-Tal die grössten in Europa. Damit liessen sich jährlich 1,1 Millionen E-Autos versorgen. (Lesen Sie hier die Analyse über Chinas Pläne in Osteuropa).

Brutaler Machtkampf um den wertvollen Rohstoff

Der an der Uni Lausanne und in Oxford lehrende Anthropologe Mark Goodale warnte gegenüber serbischen Medien vor riesigen Umweltschäden in Serbien. Goodale hat jahrelang Lithium-Abbaupläne in Bolivien erforscht. Das südamerikanische Land besitzt weltweit die grössten Reserven. Auch dort tobt ein brutaler Machtkampf um den wertvollen Rohstoff. Nun werde das serbische Volk aufgefordert, sich für das Wohl Europas zu opfern, so Goodale.

Thousands of demonstrators gather in Loznica, western Serbia, on June 28, 2024, to protest against the opening of a controversial lithium mining project that has been halted for years by protests over environmental fears. The rally comes after President Aleksandar Vucic told The Financial Times this month that Serbia could begin mining lithium as early as 2028 following new guarantees from Anglo-Australian mining giant Rio Tinto. The future of the vast mineral deposits, to be mined by Rio Tinto near Loznica, remains a perennial political fault line in the Balkan country. (Photo by Vladimir Zivojinovic / AFP)

Die EU ist bereit, Serbien Garantien für Umweltverträglichkeit zu geben. Der deutsche Kanzler wies die Bedenken der serbischen Zivilgesellschaft zurück: «Dies wird ein umweltgerechtes Projekt, ein europäisches Projekt.» Serbiens Präsident Aleksandar Vucic erklärte enthusiastisch, der Abbau von Lithium werde Serbien sechs Milliarden Euro neue Investitionen bringen.

Es sollen auch weiterverarbeitende Fabriken und Zehntausende Arbeitsplätze entstehen, so Vucic. Umweltaktivisten warnen dagegen vor Schäden in der Landwirtschaft und gar vor einer Entvölkerung ganzer Landstriche. Die Allianz der Umweltverbände Serbiens hat der Regierung eine Frist bis zum 10. August gesetzt, um den Lithiumabbau zu verbieten. Falls dies nicht geschehe, werde man die Proteste radikalisieren.