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Wladimir Putins Zensurgesetz
Seine Texte kommen nun aus dem Gefängnis

Eine Rede in den USA wurde ihm zu Hause zum Verhängnis: Der russische Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa. 
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Eigentlich sass der russische Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa wegen einer Ordnungswidrigkeit in Haft, jedenfalls war das die offizielle Begründung. Nächste Woche sollte er nach 15 Tagen freikommen. Der 40-jährige Kara-Mursa wäre dann zu seiner Frau und den drei Kindern in die USA zurückgeflogen. Die Familie lebt seit Jahren sicherheitshalber im Exil, während er selbst pendelt. Doch dann schickte ihn die Richterin für zwei Monate in Untersuchungshaft, insgesamt könnten ihm seinem Anwalt zufolge bis zu zehn Jahre drohen.

In Moskau wird ihm vorgeworfen, gegen Artikel 207.3 des russischen Strafgesetzes verstossen zu haben – diesen gibt es erst seit Anfang März. Diesmal geht es nicht um eine Ordnungswidrigkeit, es geht um Wladimir Putins neues Zensurgesetz: Wer «absichtlich falsche Informationen» über die russische Armee verbreitet, dem drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis. Niemand in Russland soll gefahrlos von Krieg sprechen können, offiziell muss es «militärische Spezialoperation» heissen.

Das neue Gesetz solle den Menschen Angst machen

Bereits gegen 36 Journalisten und Oppositionelle wird unter Artikel 207.3 ermittelt, zählt die Bürgerrechtsgruppe OWD-Info. Kara-Mursa ist der bisher wohl prominenteste Fall. Das neue Gesetz solle den Menschen Angst machen, «damit sie über das schweigen, was in der Ukraine passiert», sagte dessen Frau Jewgenija im Interview mit dem US-Sender CNN. «Natürlich lässt sich mein Mann von so etwas nicht einschüchtern.»

Ihr Mann gehört zu denen, die Wladimir Putin von Anfang an kritisiert und vor ihm gewarnt haben. Seit mehr als zehn Jahren wirbt der studierte Historiker im Westen für gezielte Sanktionen gegen die mächtigen Oligarchen und Amtsträger in Putins Nähe. Zweimal ist Kara-Mursa knapp dem Tod entkommen, 2015 und 2017. Er brach mit Vergiftungssymptomen zusammen, seine Organe versagten, er fiel ins Koma. Die Investigativgruppe Bellingcat veröffentlichte vergangenes Jahr eine Recherche, wonach er damals von derselben Einheit des russischen Geheimdienstes FSB beschattet wurde wie später Alexei Nawalny, bevor dieser 2020 vergiftet wurde.

Eine Kolumne für die «Washington Post»

Trotzdem ist Wladimir Kara-Mursa immer wieder nach Russland zurückgekehrt. Vor knapp zwei Wochen hätten abends vier oder fünf Polizisten vor dem Hauseingang zu der Moskauer Wohnung auf ihn gewartet, so beschreibt er es später in seiner regelmässigen Kolumne für die «Washington Post». Diesmal hat er den Text im Gefängnis verfasst. Kara-Mursa wurde zu 15 Tagen Haft verurteilt, weil er beim Anblick der Polizisten die Richtung geändert habe. Dabei seien diese schon auf ihn losgestürmt, schreibt er selbst, während er noch sein Auto parkiert habe.

Seit dem 24. Februar sind in Russland knapp 15’500 Menschen festgenommen worden: Polizisten führen einen Demonstranten in Moskau ab. 

«Hier ist ein Politischer für euch», hätten die Polizisten gesagt, als sie ihn in der Haftanstalt abgegeben hätten, wo er seine Strafe absitzen sollte. Dann schreibt Kara-Mursa von den Menschen, die in den Nachbarzellen sitzen, weil sie Antikriegsgraffiti gemalt oder sich auf andere Weise kritisch geäussert hätten. «Wenn man Ihnen sagt, niemand protestiert in Russland gegen den Krieg, glauben Sie es nicht», schreibt er. Laut OWD-Info sind seit dem 24. Februar knapp 15’500 Menschen festgenommen worden, weil sie protestiert haben.

«Eine Sache, die wir aus der Geschichte kennen, ist, wie Appeasement von Diktatoren endet.»

Wladimir Kara-Mursa

Beispiele dafür, dass sich Kara-Mursa nicht an die russischen Zensurvorgaben hält, gibt es genug. Ausgesucht hat sich das Ermittlungskomitee ausgerechnet eine Rede, die er Mitte März nicht in Russland, sondern vor den Abgeordneten des Repräsentantenhauses in Arizona, USA, gehalten hat, und zwar auf Englisch.

Der Oppositionelle wiederholte darin seine alte Botschaft, dass der Westen viel zu lange weggesehen habe, was Putins Regime angehe. «Eine Sache, die wir aus der Geschichte kennen, ist, wie Appeasement von Diktatoren endet», sagte Kara-Mursa in Arizona. Dann sprach er von der Ukraine und von «Kriegsverbrechen, die durch das diktatorische Regime im Kreml begangen werden». Kurz darauf flog er zurück nach Moskau.

Seine Kolumne beendete der Oppositionelle gewohnt optimistisch mit Worten, die man früher oft auf Demonstrationen in Moskau hörte: «Russland wird frei sein», schrieb er. «Ich war mir dessen noch nie so sicher wie heute.» Doch zu diesem Zeitpunkt waren die neuen Vorwürfe gegen ihn noch nicht öffentlich.