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Proteste in Russland
«Ich habe nichts gemacht»

Polizisten nehmen einen Demonstranten in Moskau fest.
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Es sind nur wenige Leute zum Manege-Platz gekommen, ins Zentrum der Stadt, dafür stehen dort sehr viele Polizisten und Sondereinsatzkräfte. Sie tragen schwarze Masken oder Visiere vor ihrem Gesicht, manche haben besondere Aufkleber auf ihre schweren Helme geklebt: Ein Z in den Farben der russischen Flagge. Der Buchstabe ist zum Symbol geworden für die Unterstützung der russischen Truppen, laut Verteidigungsminister steht er für «Für den Sieg».

Dabei stellt sich den Einsatzkräften auf dem Platz zwischen Kreml und Four Seasons niemand wirklich entgegen. Schon an den Unterführungen, den Zugängen zum Platz kontrollieren sie Taschen und Ausweise der wenigen Passanten. Weiter hinten stehen mehrere Transporter für die Festgenommenen. Wer zu lange auf dem Platz verweilt, der riskiert, in einem solchen Awtosak zu landen. Von beiden Seiten dröhnen Durchsagen, man solle diesen Ort bitte verlassen, sonst drohten «Massnahmen».

Die Angst des jungen Mannes

Ein junger Mann mit grauer Mütze steht dort nun schon eine Weile. Er erklärt Journalisten, wie beängstigend sich das anfühle, wenn man nicht mehr sagen dürfe, was man wolle, nicht mehr tun dürfe, was man wolle. Kurz darauf wird er von zwei Polizisten festgenommen. Eine Frau sagt leise in ein Mikrofon, dass sie Angst habe – und wird festgenommen, noch während sie spricht. Ein weiterer Mann packt gleich am Eingang des Platzes ein Protestplakat aus. Nur wenige Sekunde kann er es hochhalten, dann tragen ihn vier Einsatzkräfte weg. Eine Frau schreit «was habe ich gemacht, ich habe gar nichts gemacht», als zwei Polizisten sie zum Bus zerren. Bald stehen fast nur noch Journalisten in ihren gelben Pressewesten vor dem Hotel.

In Russland ist es schon lange riskant, zu nicht genehmigten Protesten zu gehen – wobei Proteste sehr selten genehmigt werden. Doch nun verstösst es auch noch gegen das Gesetz, Falschinformationen über das russische Militär oder den Krieg in der Ukraine zu verbreiten, der offiziell «militärische Spezialoperation» genannt werden muss. Wer gegen dieses neue Fake-News-Gesetz verstösst riskiert hohe Geldbussen und im schlimmste Fall 15 Jahre Gefängnis.

Viele unabhängige Journalisten, russische und internationale, sind ausgereist, als Wladimir Putin das Gesetz vergangene Woche unterschrieb. Jetzt in Russland ein Plakat für den Frieden hochzuheben ist so riskant wie nie zuvor. Seit Beginn von Wladimir Putins Feldzug sind mehr als 14’000 Menschen in Russland verhaftet worden, zählt die Bürgerrechtsorganisation OWD-Info. Immer wieder hatte es in vielen russischen Städten kleinere Proteste gegeben, meist nahm die Polizei die Beteiligten schnell fest.

740 Festnahmen in 37 Städten

Am Freitag rief der inhaftierte Oppositionelle Alexei Nawalny dann über Instagram zu Demonstrationen auf, seine Sprecherin Kira Jarmysch leitete den Aufruf über Twitter weiter: Am Sonntag um 14 Uhr Ortszeit sollten Menschen in Russland auf den zentralen Platz ihrer Stadt gehen. Die Festnahmen begannen also im Osten des Landes, in Wladiwostok, in Irkutsk, in Nowosibirsk. Nirgendwo kam es zu Massenprotesten, doch bis zum Abend zählte OWD-Info Festnahmen mehr als 740 Festnahmen in 37 Städten.

In der Moskauer Innenstadt war die Anspannung nicht nur in Kremlnähe spürbar, die gesamte Twerskaja-Strasse entlang fragen Polizisten Spaziergänger nach ihren Pässen, in einer Seitenstrasse formierten sich derweil eine weitere Gruppe Einsatzkräfte in Zweierreihen, vermutlich die Reserve. Ein Stück weiter, am Boulevard-Ring, standen Omon-Einsatzkräfte in Camouflage-Uniform wie zur Wache zwischen Parkbänken. Die Staatsgewalt war sichtbar an jeder Ecke, doch die Meinung der Menschen blieb wieder einmal verborgen.