Hochwasser-Katastrophe in DeutschlandWeggespülte Häuser, viele Vermisste und mindestens 42 Tote
Die Lage in den deutschen Bundesländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ist dramatisch. Ortschaften sind von der Umwelt abgeschnitten, dutzende Menschen werden noch immer vermisst.
Bei einer der grössten Unwetterkatastrophen der Nachkriegszeit in Deutschland sind in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mindestens 42 Menschen gestorben. Dazu galten dutzende Menschen am Donnerstag als vermisst. Da an vielen Orten das Strom- und Telefonnetz ausfiel und Rettungseinsätze noch liefen, blieb die Lage unübersichtlich. Mehrere Kreise in der Eifel riefen Katastrophenalarm aus. Die wirtschaftlichen Schäden liessen sich noch nicht beziffern.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat den Menschen in den Hochwassergebieten in Deutschland Unterstützung zugesagt. Wo die Bundesregierung helfen könne, werde sie das tun, sagte Merkel am Donnerstag am Rande ihres Besuches in Washington. «Dies sind für die Menschen in den Überschwemmungsgebieten entsetzliche Tage. Meine Gedanken sind bei ihnen. Und sie können darauf vertrauen, dass alle Kräfte unseres Staates – von Bund, Ländern und Gemeinden – gemeinsam alles daran setzen werden, auch unter schwierigsten Bedingungen Leben zu retten, Gefahren abzuwenden und Not zu lindern.»
Bundesfinanzminister Olaf Scholz kündigte finanzielle Hilfen des Bundes an. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock erklärte, es sei nun das «Gebot der Stunde», die Rettungskräfte bei ihrer Arbeit so gut wie möglich zu unterstützen.
Auch die Ministerpräsidenten der betroffenen Bundesländer, Malu Dreyer (SPD/Rheinland-Pfalz) und Armin Laschet (CDU/Nordrhein-Westfalen) zeigten sich erschüttert und kündigten Hilfen für die betroffenen Kommunen an. «Es ist eine Katastrophe», sagte Dreyer im rheinland-pfälzischen Landtag. Laschet lobte das Zusammenspiel der Rettungskräfte und rief sein Kabinett für Freitagvormittag zu einer Sondersitzung zusammen
Besonders stark betroffen waren der Raum Bad Neuenahr-Ahrweiler mit 18 Toten und das südlich von Köln gelegene Euskirchen mit 15 Toten, wie die zuständigen Polizeistellen jeweils mitteilten. Teilweise konnten die Toten noch nicht geborgen werden.
Die Koblenzer Polizei meldete einen sprunghaften Anstieg von zunächst fünf gemeldeten Toten auf 18 Tote für den Raum Bad Neuenahr-Ahrweiler. Ein Polizeisprecher wollte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP keine Angaben machen, wo die zusätzlich gemeldeten Toten gefunden wurden. Er sei gehalten, zunächst nur die erhöhte Zahl der Toten zu melden.
Das Ahrtal galt als von der Aussenwelt abgeschnitten. Die Gegend sei über keine Zufahrtsstrasse mehr zu erreichen, teilte die Polizei mit.
Die Polizei in Köln gab den Tod von 15 Menschen im Bereich Euskirchen bekannt, dort hatte der Kreis zunächst von acht Toten gesprochen. Ausserdem erhöhte sich die Zahl der Toten in Rheinbach von einem auf drei. Weiterhin gab es Tote in Köln, im Kreis Unna, in Altena und in Solingen. Dazu könnten noch weitere Tote kommen, weil weiterhin viele Menschen vermisst wurden. Auch im benachbarten Belgien starben mindestens vier Menschen.
Die Polizei in Köln teilte mit, es seien noch nicht alle gesichteten Leichen geborgen worden. Deshalb könnten keine Aussagen zur Identität, zum Alter, zu den Auffindeorten und zu den Todesumständen gemacht werden.
Die Zahl der Toten in den zwei Bundesländern lag damit noch während der laufenden Rettungsmassnahmen bereits doppelt so hoch wie beim sogenannten Jahrhunderthochwasser im Jahr 2002, bei dem in Deutschland 21 Menschen starben.
Die Folgen der Hochwasserkatastrophe blieben im Verlauf des Donnerstags in vielen Orten unübersichtlich, weil Strom- und Telefonleitungen ausgefallen waren. Es spielten sich aber immer wieder dramatische Szenen ab. So flüchteten zahlreiche Menschen auf die Dächer ihrer Häuser.
Die Polizei schickte Helikopter in die besonders betroffenen Regionen, um die Menschen an Seilwinden von den Dächern zu retten. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums waren 15.000 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Polizei, Hilfsorganisationen und Bundeswehr im Rettungseinsatz.
Im besonders stark betroffenen Ort Schuld im Landkreis Ahrweiler in der Eifel wurden einem Polizeisprecher zufolge vier Häuser komplett von den Fluten weggespült. Zwei weitere Häuser seien zur Hälfte weggespült worden, andere Gebäude in dem kleinen Ort «erheblich» beschädigt worden. Wie viele Menschen in den weggespülten Häusern lebten, konnte die Polizei nicht sagen.
Mehrere Menschen starben in überfluteten Kellern. In Köln fand die Feuerwehr die Leichen einer 72-jährigen Frau und eines 54-Jährigen in mit Wasser vollgelaufenen Kellern. In Solingen stürzte nach Polizeiangaben ein 82-Jähriger und geriet mit dem Kopf unter Wasser. Der Rentner sei später im Krankenhaus gestorben. Im Kreis Unna starb ein 77-Jähriger ebenfalls im unter Wasser stehenden Keller seines Wohnhauses.
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In Nordrhein-Westfalen kamen zwei Feuerwehrmänner im Einsatz in Altena und Werdohl ums Leben. In Altena war die Feuerwehr am Mittwochabend im Einsatz, um einen ins Wasser geratenen Mann zu retten. Dabei fiel ein 46-jähriger Feuerwehrmann selbst ins Wasser und wurde abgetrieben, er sei kurze Zeit später tot geborgen worden.
Die Polizei bat in allen betroffenen Landkreisen um Hinweise der Bevölkerung auf Vermisste. Gleichzeitig rief sie aber auch dazu auf, die betroffenen Orte zu meiden. Wiederholt behinderten Schaulustige die Rettungseinsätze, ausserdem musste die Polizei Plünderer fernhalten.
Besonders angespannt war die Lage in Nordrhein-Westfalen unter anderem in Hagen sowie in Wuppertal, wo eine Talsperre überlief. Nahe der Steinbachtalsperre in Euskirchen sollten mehrere Ortschaften evakuiert werden. In der Stadt Trier und im Landkreis Trier-Saarburg mussten mehrere hundert Menschen ihre Wohnungen verlassen. In Leverkusen und Trier wurden Krankenhäuser evakuiert.
Der wirtschaftliche Schaden des Unwetters liess sich noch nicht beziffern. Da eine ganze Reihe von Strassen und Brücken und auch Bahnlinien betroffen waren, dazu zahlreiche Häuser zerstört wurden und auch Handwerksbetriebe zerstört wurden, dürften auch die wirtschaftlichen Auswirkungen massiv sein.
Nach Einschätzung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) ist der Höhepunkt der extremen Niederschläge in Teilen Deutschlands überschritten. Der DWD-Meteorologe Marco Manitta erwartete am Donnerstag «eine Entspannung der Wetterlage». Zwar könne es weiterhin «punktuellen Starkregen» geben, dieser sei aber nicht mehr so verbreitet wie in der vergangenen Nacht, sagte Manitta der Nachrichtenagentur dpa. «Das Unwetterpotenzial sinkt deutlich.»
Die grössten Niederschlagsmengen gab es Manitta zufolge in einem breiten Streifen vom Sauerland über das Bergische Land und die Eifel, den Grossraum Köln/Bonn bis zur Grenze nach Luxemburg.
Der Bahnverkehr musste in der Nacht zu Donnerstag wegen überfluteter Gleise und umgestürzter Bäume teilweise unterbrochen werden. Vor allem die Strecke Charleroi-Namur-Lüttich war nach Angaben der Betreibergesellschaft Infrabel betroffen. Am Donnerstag werden nach Unternehmensangaben zudem keine Thalys-Züge zwischen Brüssel und Deutschland fahren.
Mindestens vier Tote durch Unwetter in Belgien
Neben Deutschland sind auch die Nachbarstaaten Belgien, Luxemburg und die Niederlande von schweren Unwettern getroffen worden. Im ostbelgischen Verviers entdeckten Rettungskräfte am Donnerstag vier Leichen, wie die Staatsanwaltschaft der rund 30 Kilometer von der deutschen Grenze entfernten Kleinstadt mitteilte. Der öffentlich-rechtliche Rundfunksender RTBF berichtete von mindestens sechs Todesopfern.
In Eupen wurde laut RTBF am Morgen ein 22-jähriger Mann von den Fluten mitgerissen. In Aywaille, südlich von Lüttich, ertrank ein etwa 50 Jahre alter Mann in seinem Keller. Am Mittwoch war in der Gemeinde Profondeville bereits die Leiche eines Mannes nahe einer Schleuse in der Maas entdeckt worden.
Von dem Unwetter betroffen sind vor allem die Provinzen Namur und Lüttich. Dort stand der Kurort Spa komplett unter Wasser, in der Gemeinde Chaudfontaine mussten fast 1800 Menschen in Sicherheit gebracht werden. Derartige Überschwemmungen habe er seit 1998 nicht mehr erlebt, sagte Bürgermeister Daniel Bacquelaine dem Radiosender RTL. In Pepinster stürzte rund ein Dutzend Häuser ein, nachdem der Fluss Vesdre über die Ufer getreten war.
Grosse Schäden meldete auch die an Belgien und Deutschland grenzende niederländische Provinz Limburg. Dort war die Kleinstadt Valkenburg komplett überflutet, ein Seniorenheim musste evakuiert werden. Mehrere Strassen der Provinz wurden für den Verkehr gesperrt, darunter auch die vielbefahrene Autobahn A2.
In Luxemburg setzte die Regierung nach heftigem nächtlichen Regen einen Krisenstab ein. Laut Regierungschef Xavier Bettel wurden zahlreiche Häuser im ganzen Grossherzogtum überflutet und sind nicht mehr «bewohnbar».
SDA//red
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