Impfdrängler in DeutschlandSchwupps, war der Bürgermeister geimpft
Übrig gebliebene Impfdosen werden auffällig oft an Politiker, Beamte, Chefs von Polizei oder Kliniken verabreicht. Manchmal sorgen diese auch selbst dafür, dass was übrig bleibt.
Sollte es auch bei der Drängelei nach der Corona-Impfung Hotspots geben, dann liegt einer davon im östlichen deutschen Bundesland Sachsen-Anhalt. An verschiedenen Orten besorgten sich Bürgermeister und Landräte, Feuerwehrleute und Polizisten einen Piks, obwohl sie nach der Impfordnung noch lange nicht dran gewesen wären – einer sogar schon, bevor das Impfen offiziell begonnen hatte.
Am meisten Aufruhr verursachte der parteilose Oberbürgermeister von Halle an der Saale, einer Stadt mit 240’000 Einwohnern. Um keine «übrig gebliebenen» Dosen wegwerfen zu müssen, liess sich Bernd Wiegand schon Mitte Januar impfen. Man habe eigens ein Verfahren eingerichtet, sagte der 63-Jährige danach, welches überzählige Vakzine mittels «Zufallsgenerator» den «systemrelevanten» Personen zuweise. Da habe es eben ihn getroffen, zudem zehn Mitglieder des Stadtrats, die auch Teil des Katastrophenschutzstabs sind. Zufälle gibt’s!
585 Zufälle
Der Öffentlichkeit wurde die schöne Bescherung erst durch einen Medienbericht bekannt. Die Empörung war gross, schliesslich sind die Impfdosen knapp: Zuerst werden derzeit über 80-Jährige geimpft sowie Personen, die diese pflegen oder mit Covid-Kranken zu tun haben. Mitglieder von Krisenstäben gehören allenfalls in Impfgruppe 2, Politiker, Polizisten und Feuerwehrleute in Gruppe 3.
Die Opposition verlangte Wiegands Rücktritt, der Politiker beklagte eine «Hexenjagd». Mittlerweile weiss man, dass in Halle mindestens 585 Dosen «zufällig» an Personen verabreicht wurden, die noch kein Anrecht gehabt hätten. Im Büro des Oberbürgermeisters, wird gemunkelt, seien bis zu den Praktikanten alle geimpft worden, die dies gewünscht hätten.
In den letzten Tagen haben Medien quer durch die Republik und quer durch alle Parteien Fälle zusammengetragen, in denen den Behörden beim Impfen ihre eigenen Leute am nächsten waren. Fast immer bedienten sich die Drängler an Dosen, die «übrig geblieben» waren. Kam es heraus, versuchten sie wie Wiegand dem Publikum weiszumachen, sie hätten sich quasi aufgeopfert, um Vakzine vor dem Verfall zu retten.
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Viele Drängler reagierten zerknirscht und entschuldigten sich, andere fanden ihr Verhalten ganz normal. Karl-Josef Laumann, der Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen, schimpfte über ein «besonderes Prachtexemplar von Bürgermeister» in Hennef: Der sei erst 31 Jahre alt, aber schon geimpft – und sein Vorgänger noch dazu. Auch der Bischof von Augsburg und sein Generalvikar setzten das Bibelwort «Die Letzten werden die Ersten sein» ganz im eigenen Interesse um.
In manchen Bundesländern wurden Hunderte Polizisten und Feuerwehrleute immunisiert, obwohl sie noch nicht dran gewesen wären, in Spitälern nicht nur Pfleger und Ärzte, sondern auch ganze Geschäftsführungen und Aufsichtsräte.
In vielen Fällen wurden «Impfreste» offenbar mit Absicht geschaffen.
In vielen Fällen wurden «Impfreste» offenbar mit Absicht geschaffen. Kliniken und Zentren bestellten mehr Dosen, als nötig gewesen wären, und sorgten dafür, dass mit den «Resten» jene geimpft wurden, die man irgendwie als «systemrelevant» erachtete. Am liebsten natürlich sich selbst.
Dass es auch anders ginge, zeigen derweil Bundesländer wie Baden-Württemberg. Impfreste werden grundsätzlich nur an Menschen aus der Gruppe 1 verimpft, die kurzfristig aufgeboten werden. Bleibt dann noch etwas vom Vakzin übrig, geht es an Rettungskräfte, Spitalmitarbeiterinnen und Impfpersonal vor Ort. Politiker, auch solche mit Regierungsverantwortung, sollten warten, bis sie dran seien, mahnte Gesundheitsminister Jens Spahn gerade. Alles andere sei unsolidarisch.
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