Porträt von Manuela SchwesigSie bringt Merkel verlässlich in Rage
Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern entwickelt sich in der zweiten Pandemiewelle zur Gegenspielerin der Kanzlerin. Ganz zur Freude ihrer Partei, der SPD.
«Ich lass mir nicht nachsagen, dass ich Kinder quäle!» An Angela Merkels üblicher Gleichmut gemessen, war es nahezu ein Ausbruch, der aus einer der letzten Verhandlungsrunden zwischen Kanzlerin und Bundesländern an die Öffentlichkeit drang. Merkel hatte sich über den Vorwurf geärgert, sie sperre Kinder und Mütter zu Hause ein, während das Arbeitsleben weiterlaufe wie zuvor.
Die Schelte kam von Manuela Schwesig, der Sozialdemokratin, die Mecklenburg-Vorpommern regiert. Niemand aus dem Regierungslager kritisiert die Kanzlerin derzeit forscher und hartnäckiger als die Ministerpräsidentin von der Ostsee. Jeden zweiten Tag klagt die 46-Jährige im Fernsehen, wie «total enttäuscht» sie sei, wie «erschüttert», wenn sie höre, dass Alte verzweifelt um einen Impftermin kämpften, Schulkinder zu Hause vereinsamten.
Zu wenig, zu langsam und falsch sei Impfstoff bestellt worden, in Brüssel wie in Berlin, sagt Schwesig.
Vor allem an der Impfpolitik lässt Schwesig kein gutes Haar: Zu wenig, zu langsam und falsch sei bestellt worden, in Brüssel wie in Berlin. Irgendwann platzte Merkel auch hier der Kragen, vor versammelter Ministerpräsidentenschar: «Wenn ich mal auspacke, was hier in dieser Runde für Fehler gelaufen sind …»
Seit Wochen wehrt sich Schwesig auch gegen den Eindruck, die Länder würden im Kampf gegen die Pandemie immer nur bremsen und wären deswegen schuld daran, dass die zweite Welle so hochgeschwappt sei. Ihre Kritik ruht insofern auf solidem Fundament, als die Infektions- und Todeszahlen nirgends in Deutschland niedriger sind als in Mecklenburg-Vorpommern. Das ist freilich nicht nur ihr Verdienst: Schleswig-Holstein, das ebenfalls dünn besiedelt ist und hoch im Norden am Meer liegt, ist ähnlich wenig betroffen.
Sie hat ihren eigenen Kopf
Immer wieder hat Schwesig aber auch beherzt gehandelt, als andere nur zuwarteten. Als der Lockdown im vergangenen Frühling aufgehoben wurde, schloss sie entgegen dem Trend erst einmal die Landesgrenzen für Touristen, auch für deutsche. Im Sommer war ihre Ostseeküste dafür der sicherste Ort Deutschlands und beherbergte mehr Feriengäste denn je.
Auch bei den Schulen geht sie einen Sonderweg: Die Ausnahmen, welche die Beschlüsse zwischen Bund und Ländern zulassen, nutzt sie so generös, dass selbst jetzt in Mecklenburg-Vorpommern noch Zehntausende Kinder und Jugendliche in den Genuss von Präsenzunterricht kommen – obwohl die Schulen grundsätzlich geschlossen sind. Schwesig, so schwärmen ihre Anhänger, hat eben ihren eigenen Kopf.
Die Aufmüpfigkeit der Sozialdemokratin erfreut jedenfalls ihre Partei. Seit der Unmut der Deutschen über den endlos scheinenden Lockdown und den schleppenden Impfbeginn wächst, macht die mitregierende SPD die Union für alles, was schiefgeht, verantwortlich. Frustriert vom Höhenflug von CDU und CSU und dem eigenen Dauertief sucht sie im anlaufenden Wahlkampf die Konfrontation. Die populäre Führungsriege um Merkel, Gesundheitsminister Jens Spahn und CSU-Chef Markus Söder bietet sich als Ziel geradezu an. Die Wähler wollten sehen, dass man für sie kämpfe, sagen die Genossen. Schwesig zeigt, wie es geht.
Den Brustkrebs besiegt
Eine Kämpferin war die Frau schon zuvor. In den letzten eineinhalb Jahren hat sie eine Brustkrebserkrankung überstanden. Sie machte die Diagnose sogleich öffentlich, trat als kommissarische Parteipräsidentin zurück, behielt aber ihre Ämter in Mecklenburg-Vorpommern. Von Montag bis Donnerstag arbeitete sie fast normal, der Freitag gehörte der Therapie, am Wochenende ruhte sie sich aus.
Als die Pandemie vor einem Jahr begann, fing sie gerade das letzte Drittel ihrer Therapie an. Im Mai trat sie mit kurzen Haaren statt Perücke vor die Medien und gab bekannt, dass sie geheilt sei. «Es war bislang der schwerste Kampf in meinem Leben.» Sie wirkte befreit – und entschlossener denn je.
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Seither kämpft sie gegen die Pandemie, für ihr Land und ihre Leute. Schwesig ist beliebt in der Heimat, in den sozialen Medien folgen ihr Hunderttausende. Die Mutter von zwei Kindern hat eine öffentliche Musikliste auf Spotify, am Wochenende zeigt sie sich in Winterjacke und Strickmütze am Meer oder im Wald, immer strahlend.
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Um die für ihr Land wichtige Gaspipeline Nord Stream 2 zu sichern, schreckt sie auch vor Tricks nicht zurück: Mit russischem Geld hat sie eine Stiftung gegründet, die weniger mit Umwelt zu tun hat als mit dem Unterlaufen von amerikanischen Sanktionen. Die Kritik daran, etwa von den Grünen, lächelt sie einfach weg.
Noch vor wenigen Jahren wurde Schwesig von Rivalen als «Küsten-Barbie» verspottet, als «Steinmeiers Mädchen» oder «geförderte Frau» belächelt. Heute nimmt man sie ernst. Sollte die Steuer- und Finanzexpertin im Herbst die Landtagswahlen gewinnen, dürfte sie auch in der SPD zu einem Machtfaktor werden.
Je schlechter die SPD bei der Bundestagswahl abschneidet, desto eher könnte die Ministerpräsidentin danach im Bund gebraucht werden. Als Parteivorsitzende zum Beispiel, anstelle der farblosen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.
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