Krisengipfel zur PandemieDeutschland schimpft über «Impfdebakel»
SPD und FDP haben den langsamen Start der Impfkampagne als Wahlkampfkeule gegen die Union entdeckt. Die meisten Schläge bekommt Gesundheitsminister Jens Spahn ab.
Nirgendwo in Europa wird mehr über die Corona-Impfung gewettert, geklagt und gejammert als in Deutschland. In den Medien, vor allem in jenen mit den grossen Buchstaben, gibt es gefühlt seit Weihnachten kein anderes Thema. Vom «Impfchaos» schaukelten sich die Schlagzeilen zum «Debakel» und zum «Staatsversagen» hoch.
Da konnte die Politik natürlich nicht untätig zusehen. Die lauteste der Oppositionsparteien war von Beginn weg die FDP. Sie, die sich im Herbst noch gegen jegliche erneute Einschränkung gewehrt hatte, warf nun ihrerseits der Regierung Verantwortungslosigkeit vor.
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Ihr ältester Abgeordneter im Bundestag, der 80-jährige Hermann Otto Solms, sagte am Wochenende sinngemäss, Kanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn hätten Tausende von Menschenleben auf dem Gewissen, weil in Deutschland nicht schnell genug geimpft werde. Ein anderer FDP-Abgeordneter forderte Spahn am Montag zum Rücktritt auf.
Auch die Sozialdemokraten, frustriert darüber, dass die Corona-Krisenpolitik bisher einzig auf das Konto des christdemokratischen Teils der Regierung eingezahlt hat, witterten auf einmal eine Chance. Am Wochenende forderten ihr Vizekanzler Olaf Scholz und ihre Ministerpräsidenten in den Ländern wie mit einer Stimme einen «nationalen Impfplan», um die Sache zu beschleunigen. Auch den Krisengipfel von Bund und Ländern, der am Montag zu diesem Zwecke stattfand, hatte die SPD verlangt.
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Ob Regierungspartei oder Opposition, die Vorwürfe waren ungefähr dieselben: Deutschland hätte wie Grossbritannien oder die USA mehr Impfstoff bestellen müssen, hiess es, notfalls im Alleingang. Die stockende Vergabe von Terminen und die vielerorts leer stehenden Impfzentren lastete man der Regierung genauso an wie Produktionsausfälle bei den Impfstoffherstellern.
Tatsächlich begann die deutsche Impfkampagne schleppender, als viele es erwartet hatten. Der Fahrplan geriet schon früh durcheinander. Deutschland hat bisher 2,5 Millionen Menschen geimpft, eine halbe Million schon zweimal. In Europa liegt das Land mit seiner Quote im Mittelfeld, knapp hinter Italien oder der Schweiz, aber deutlich vor Frankreich oder Österreich. Wahr ist aber auch, dass die USA bis jetzt dreimal schneller geimpft haben, die Briten sogar fast fünfmal.
Abgesehen von der Knappheit des Impfstoffs, sehen Experten zwei Gründe für das langsame Tempo: Im Unterschied zu anderen Ländern wird in Deutschland die zweite Impfdosis grundsätzlich zur Seite gelegt, während andere alle Dosen verimpfen, die sie bekommen. Und Deutschland hat am Anfang vor allem mobile Teams zum Impfen in Pflege- und Altersheime geschickt, was sehr zeitaufwendig ist. Immerhin sind nun bereits 70 Prozent aller Pflegeheimbewohner immunisiert.
Gesundheitsminister Spahn, der in der Pandemie zu einem der beliebtesten Politiker des Landes aufgestiegen ist, gab am Wochenende zu, von der Schärfe der Kritik überrascht worden zu sein. Die Erwartungen seien in einer Weise hochgeschnellt, die er unterschätzt habe. Spahn warb für Geduld. Mindestens zehn Wochen lang werde der Impfstoff noch knapp sein. Danach werde es aber schnell viel mehr davon geben, sodass auch in Zentren und beim Hausarzt geimpft werden könne.
Um mehr Impfstoff in Deutschland herzustellen, hat Berlin zuletzt verschiedene Kooperationen angeregt: Biontech/Pfizer eröffnen gerade eine neue Fabrik in Marburg. Curevac, dessen Vakzin Ende März zugelassen werden könnte, spannt neu mit Bayer zusammen. Und sogar die französische Sanofi, deren Vakzin sich verspätet, stellt eine Anlage in Frankfurt in den Dienst von Biontech.
Merkel jedenfalls hat versprochen, dass «bis Ende des Sommers» jeder Impfwillige ein Angebot erhalten werde. Der kalendarische Sommer endet am 21. September. Fünf Tage später wird der neue Bundestag gewählt.
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