«Corona-Minister» Jens SpahnNiedergebrüllt, beleidigt, angespuckt
Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn ist zur Hassfigur der «Corona-Rebellen» geworden. Dabei agierte er in der Krise selbstkritischer als die meisten Entscheider.
Bergisch Gladbach bei Köln, vor gut einer Woche: Jens Spahn wird beim Verlassen eines Gemeindehauses von zwei Dutzend pfeifender und brüllender Menschen empfangen. Er stellt sich zu ihnen hin, bedeutet durch Handzeichen, dass er zum Diskutieren bereit ist. Die Leute schreien weiter, Spahn setzt zum Reden an, sieht die Sinnlosigkeit ein, steigt ins Auto und fährt weg.
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Man hört auf den Videos, die von der Szene kursieren, nicht genau, was die Protestler brüllen. Zeugen vor Ort haben «schwule Sau» gehört, Spahns Begleiter sagen, der Minister sei auch angespuckt worden. Der Frau, die ihm ins Gesicht geschrien habe, habe er geantwortet: «Ich habe Corona nicht erfunden.» Gehört hat sie es wohl nicht.
Szenen wie diese haben sich seither fast täglich wiederholt. Wo immer der 40-jährige Gesundheitsminister im nordrhein-westfälischen Kommunalwahlkampf auftaucht, sind die Störer mit ihren Schreien und Trillerpfeifen schon da. Im Internet werde dazu aufgerufen, ihm hinterherzureisen, sagte Spahn letzte Woche der «Zeit». Es sei zwar nur eine kleine Gruppe, die so aggressiv sei, aber sie sei jetzt eigentlich immer dabei.
Wie 2017 bei Merkel
«Ich frage mich dann: In welchem Land würden diese Leute eigentlich lieber leben? Woher kommt dieser Frust, dieser Hass, diese Energie, mir quer durchs Land zu folgen?» Viele Beobachter fühlen sich an den Bundestagswahlkampf 2017 erinnert, als Spahns heutige Chefin Angela Merkel auf ostdeutschen Marktplätzen bei jedem Auftritt gegen Störer anreden musste, bis sie heiser und mit den Kräften fast am Ende war.
Spahn war schon früher ein Politiker, der sich nicht wegduckte, wenn es zum Streit kam, oft suchte er ihn sogar. Dennoch erstaunen nun der Gleichmut, mit dem der Christdemokrat seinen Störern begegnet, und der unbeirrte Dialogwille, da, wo Dialog noch möglich ist.
«Man kann und muss über alles reden.»
Man könne über alle politischen Entscheidungen in der Pandemie streiten, sagt er in der «Zeit», ob es die Wirksamkeit von Masken, von Tests, von Quarantänen oder Schliessungen sei: «Darüber kann und muss man reden. Diese Fragen in der Sache werden aber von einer radikalen Minderheit sofort als Beleg dafür genommen, dass alles Murks und Lüge ist. Die Realität ist aber sehr viel komplizierter.» Einzig mit Hass könne man nicht diskutieren. Und schreiend auch nicht.
Nicht so selbstgerecht wie Markus Söder
Warum der Hass vieler «Corona-Rebellen» gerade Spahn trifft, ist nicht so leicht zu erklären. Natürlich steht er als Gesundheitsminister im Vordergrund, natürlich bekommt er auch Wut ab, die eigentlich Merkel gilt. Wahr ist aber auch, dass er in der Pandemie viel weniger autoritär, selbstgewiss und selbstgerecht auftrat als etwa Bayerns Ministerpräsident Markus Söder.
Spahn war vielmehr der Erste, der auch selbstkritische Töne anschlug. Bereits im April, mitten im Lockdown, wies er im Bundestag auf die Fehlbarkeit der Politik hin: «Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen.» Es gebe im Umgang mit einem neuen Virus eben keine Wahrheiten, sagt er heute – sondern nur Anpassungen an neues Wissen und neue Lagen. Gesucht sei eine Balance zwischen bestmöglicher Sicherheit und so viel Alltag wie möglich.
«Es gibt keine Wahrheiten, nur Abwägungen aufgrund von Tagesinformationen.»
Letzte Woche räumte Spahn erstmals ein, dass man – mit dem Wissen von heute – im Herbst und Winter vermutlich nicht noch einmal Läden und Coiffeursalons pauschal zusperren oder im Altersheim alle Besuche verbieten werde. Man habe gelernt, differenzierter zu reagieren. Interessanterweise scheint diese Bereitschaft, abzuwägen und einstige Entscheide im Lichte neuer Erkenntnisse zu revidieren, seine Störer aber nicht zu besänftigen, sondern noch viel mehr anzustacheln.
Richtig beliebt geworden
Spahn ist in der Krise neben Merkel, Söder und Finanzminister Olaf Scholz zum beliebtesten Politiker des Landes aufgestiegen. Viele sehen es auch als sein Verdienst, dass Deutschland bisher besser durch die Pandemie gekommen ist als andere Länder. Je nach Umfrage stehen immer noch zwischen 80 und 90 Prozent der Deutschen hinter der Politik der Regierung.
Spahn, der früher mit nassforschem Konservatismus gerne Freund und Feind provozierte, hat in der Krise einen klaren, menschlichen und demütigen Ton gefunden, der bei vielen gut ankommt. Seine täglichen Mahnungen – «das Virus ist dynamisch, wir müssen es auch sein» – werden gehört.
So erstaunt es nicht, dass Spahns Stern auch in seiner Partei immer weiter steigt. Im Dezember möchte er im Tandem mit Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet an die Spitze: Laschet als Chef, Spahn als sein Vize. In den letzten Monaten, als Spahn führte und Laschet herumstolperte, unkten hinter vorgehaltener Hand viele in der CDU, dass es andersherum womöglich besser wäre.
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