Grossfusion bei Aromen, Düften und VitaminenEin neuer Nahrungsmittelriese mit Schweizer Beteiligung entsteht
Ganz oben übernehmen Chefinnen und Chefs aus den Niederlanden. Immerhin: Der neue Milliardenkonzern hat seinen Holding-Hauptsitz im Aargau.
Joghurts oder Bonbons, auch Duschgel, Deodorants oder Parfüms wie Hugo Boss, Calvin Klein, Gucci und Ralph Lauren: Sie alle enthalten Aromen und Duftkomponenten der Firma Firmenich. Nun hat der traditionsreiche Familienkonzern aus Genf am Dienstag überraschend einen Zusammenschluss mit dem Konzern DSM aus den Niederlanden bekannt gegeben.
Im Klartext heisst das: Die Niederländer übernehmen die Schweizer Traditionsfirma. Denn die Aktionäre von DSM werden am neuen Unternehmen DSM-Firmenich insgesamt 65,5 Prozent halten, die verschiedenen Aktionäre von Firmenich 34,5 Prozent.
Die Aktionärinnen und Aktionäre von Firmenich – alle sind Mitglieder der Firmenich-Familie – halten künftig also den weitaus kleineren Anteil der neuen Firma und geben damit die Kontrolle ab. Sie werden dafür mit 3,5 Milliarden Euro in bar abgegolten.
Neuer Grosskonzern mit 28’000 Angestellten
Der neue Grosskonzern DSM-Firmenich soll «zum führenden Partner für Kreation und Innovation in den Bereichen Nutrition, Schönheit und Wellness» werden, so die Verlautbarung. Er wird 28’000 Angestellte umfassen und zwei Hauptsitze haben: im niederländischen Maastricht und in Kaiseraugst im Kanton Aargau. Ebenfalls in Kaiseraugst ist der Hauptsitz der neuen Holdinggesellschaft angesiedelt.
Das neue Machtzentrum liegt jedoch in Maastricht. Denn die Konzernleitung sei «in den Niederlanden ansässig und regelmässig in Kaiseraugst präsent», sagt ein Sprecher. Die Aktien werden an der Börse Euronext Amsterdam notiert.
Warum verkauft die Familie ihr Erbe?
Firmenich war zwar bislang sehr verschwiegen, gehört aber mit einem Jahresumsatz von 4,3 Milliarden Franken zu den grössten Familienunternehmen der Schweiz. Es gilt als hoch profitabel und beschäftigt weltweit 10’000 Mitarbeitende, darunter rund 1000 an seinen drei Standorten im Raum Genf.
Warum also der Verkauf an die Niederländer? «Unsere Aktionäre, die in der ganzen über hundertjährigen Geschichte unseres Unternehmens sehr weitsichtig waren, haben realisiert, dass sie ihr Kapital öffnen müssen, wenn Firmenich weiterhin an der Weltspitze stehen soll», begründete Firmenich-Chef Ghostine kurz nach Bekanntwerden des Deals an einer Videokonferenz.
Nach «sehr sorgfältiger Evaluation» habe Firmenich realisiert, dass sie «durch eine Fusion mit einer komplementären, ähnlich gesinnten Firma» ihrem Ziel, Mehrwert für alle Aktionäre zu schaffen, schneller näher komme, sagte Ghostine. Firmenich sei «das verborgene Juwel» in der weltweiten Düfteindustrie und gewinne nun zusätzlich an Stärke. «Wir sind stolz, diese beiden ikonischen Firmen zusammenführen zu können.»
Es entsteht ein neuer Riese bei Nahrungsmitteln
Der industrielle Sinn der Fusion liegt darin, dass DSM und Firmenich unterschiedliche Produkte herstellen, aber eine grosse Schnittmenge haben: Beide beliefern die Nahrungsmittelindustrie. DSM produziert vor allem Industriechemikalien, Arzneimittel wie Antibiotika und Nahrungsergänzungsmittel, zum Beispiel Vitamine. Zusammen mit den Aromen und Riechstoffen von Firmenich sei das neue Unternehmen sehr gut positioniert, sagte Dimitri de Vreeze, einer der beiden Co-Chefs von DSM.
Rund die Hälfte des Synergiepotenzials von rund 350 Millionen Euro jährlich bis im Jahr 2026 ergebe sich im Verkauf. Man werde die Bedürfnisse der Kunden besser abdecken und in der Lieferkette und beim Einkauf von Skaleneffekten profitieren können. Die Verantwortlichen von DSM-Firmenich betonen, dass sie den Schritt nicht primär nutzen, um abzubauen. Es gehe vielmehr darum, «den Wert, den eine grössere Organisation mit sich bringt, nutzen zu können».
Die neue Firma, die nach dem Zusammenschluss über vier jeweils führende Geschäftsbereiche – Parfums/Kosmetik, Nahrungsmittel/Getränke, Nahrungsergänzungsmittel, Tiernahrung – verfüge, will einen Umsatz von 11,5 Milliarden Euro auf die Waage bringen. Zum Vergleich: Die Firma Givaudan, ebenfalls mit Hauptsitz in Genf und vor Firmenich die grösste Aromen- und Duftstoffherstellerin weltweit, erwirtschaftete im vergangenen Jahr einen Umsatz von 6,7 Milliarden Franken.
Beide Co-Chefs des neuen Gebildes kommen von DSM
DSM ist seit rund zwanzig Jahren in der Schweiz präsent. Die niederländische Firma kaufte 2002 den Unternehmensbereich für Nahrungsergänzungsprodukte der früheren Hoffmann-La Roche und betreibt seither in Kaiseraugst einen Standort, der aktuell 900 Angestellte umfasst.
Firmenich-Chef Ghostine wird bald in Pension gehen, und die neue DSM-Firmenich wird von einem Duo geleitet: Geraldine Matchett und Dimitri de Vreeze. Die beiden jetzigen Co-Konzernchefs von DSM amten als Co-Chefs des fusionierten Unternehmens.
Der Verwaltungsrat wird von Thomas Leysen präsidiert, dem heutigen Präsidenten von DSM. Firmenich-Präsident Patrick Firmenich wird sein Vize. Auch hier zeigen sich also die Machtverhältnisse zugunsten der Niederländer.
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