Weltcupstart in SöldenKleinere Schuhe und ja keine Zeitmessung: So geht es den Schweizer Ski-Assen
Der Weltcupauftakt steht an, doch auch die Abfahrer legen bald los: Bei den Schweizerinnen sorgt ein Skiwechsel für Kopfschütteln – die Schweizer orientieren sich an der grossen Figur im Team.
Wendy Holdener: Jetzt hat sie Lust auf mehr
Sie spielte es immer herunter, schon nur aus Selbstschutz. Schier unfassbare 30 Podestplätze hatte Wendy Holdener im Weltcupslalom geholt – ohne auch nur einmal zu gewinnen. Den Bann brach die Schwyzerin im vergangenen Winter in Killington – und doppelte in Sestriere nach. «Das brachte mir Ruhe und machte mich entspannter», sagt die 30-Jährige nun. Die Siege hätten ihr Kraft und Mut gegeben, weiter anzugreifen – auch im Riesenslalom. «Ich fahre diese Disziplin nicht, um nur Zwanzigste zu werden», sagt die zweifache Kombinationsweltmeisterin.
Lara Gut-Behrami: Immer nur geradeaus
Die Saison hat noch nicht angefangen, da hat Lara Gut-Behrami schon einmal festgelegt, dass sie sich auch in diesem Winter nicht mit Nebensächlichkeiten aufhalten möchte. «Nicht nach rechts und links schauen», sagt sie, sondern einfach immer und überall schnell Ski fahren. Denn wer weiss schon, wie lange die 32-jährige Tessinerin überhaupt noch im Weltcup anzutreffen ist. Eine Saison? Zwei? Sie sagt, die Gedanken kreisten täglich noch darum, welcher Ski der schnellste sei. Solange das so ist, weiss sie, dass sie weitermacht. Gut für die Schweizer Frauen, Gut-Behrami ist eine Garantin für Podestplätze. Und wird das wohl auch diesen Winter sein.
Corinne Suter: Es muss nicht immer WM sein
Etwas überspitzt formuliert, hält die Saison 2023/24 gar keine Corinne-Suter-Momente bereit. Die Schwyzerin ist nämlich dann richtig da, wenn Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele anstehen. Sechs Medaillen brachte sie seit 2019 von Grossanlässen mit nach Hause – die nächste WM aber steht erst 2025 auf dem Programm und Olympia 2026. Aber man täte der 29-Jährigen unrecht, sie auf diese Grossevents zu reduzieren. Suter ist eine der besten Speedfahrerinnen der Welt. Und es gibt ja auch ohne WM oder Olympia so einiges zu gewinnen. «Die Motivation ist gleich hoch», sagt Suter, «vielleicht schaut man jetzt ja mehr auf die Gesamtwertung.»
Jasmine Flury: Materialwechsel trotz WM-Gold
Viele schüttelten nur den Kopf. Da wurde die Bündnerin im Februar wie aus dem Nichts Abfahrtsweltmeisterin – und wechselte danach die Skimarke. Nun ist Jasmine Flury auf Kästle unterwegs und erinnert damit an Pirmin Zurbriggen. WM-Titel hin oder her, im Weltcup wird auch künftig jeder Top-10-Platz ein Erfolg bleiben. Flury, die nach einem Tief vor zwei Jahren gar Rücktrittsgedanken hatte, investiert viel ins Mentaltraining und kann sich vorstellen, nach dem Karriereende in diesem Bereich zu arbeiten.
Michelle Gisin: Der Slalom ist zweitrangig
Nach 15 Jahren wechselte sie von Rossignol zu Salomon, doch die Abstimmung passte nicht. Es kamen haufenweise Inputs, fast alle wollten helfen. Michelle Gisin saugte die Ratschläge auf, statt auf sich selbst zu hören – und verzettelte sich. Die Engelbergerin bestritt letzten Winter als Einzige überhaupt sämtliche 42 Rennen, blieb aber ohne Podestplatz. Nun fährt sie einen kleineren Skischuh und trainiert erstmals nicht mehr mit den Technikerinnen, sondern mit der Speedgruppe. Der Slalom, ihre einstige Paradedisziplin, geniesst keine Priorität.
Joana Hählen: Meditation sei Dank
Jeweils 13. im Abfahrts- und Super-G-Weltcup – die Bernerin hat ihre beste Saison hinter sich. Dank Rang 2 in St. Anton hat sie nun mehr Podestplätze (4) geholt als Kreuzbandrisse (3) erlitten. Weniger ist mehr, jenen Ratschlag scheint Hählen endlich umzusetzen. Sie agiert weniger wild und draufgängerisch, die Ausreisser nach unten sind seltener. Dank Yoga und Meditation ist die 31-Jährige ruhiger geworden. Im Camp in Argentinien stimmte die Form, auf gewissen Strecken bleibt ihre Statur (1,56 cm, 61 kg) ein Nachteil.
Marco Odermatt: Keine einzige Übung ausgelassen
Er müsste die Konkurrenz eigentlich nicht mehr einschüchtern, sie fürchtet sich so schon genug vor ihm. Mit seinen 2042 Punkten stellte Marco Odermatt vergangene Saison einen Rekord bei den Männern auf. Vor diesem Winter sagt er: «Nach drei Wochen Ferien im Frühling gab ich wieder Vollgas. Ich liess kein einziges Training aus, keine einzige Übung, ich ging bei jeder Wiederholung ans Limit. Ich bin jetzt kräftiger, an dem soll es nicht scheitern.» Keine guten Nachrichten für die Gegner.
Loïc Meillard: Vielleicht mal Odermatt kitzeln
Was kann Loïc Meillard eigentlich nicht? Letzte Saison stand er in drei Disziplinen auf dem Podest, gewann einen Riesenslalom und WM-Silber. Damit bewies er, was die Skiwelt schon lange ahnte: In ihm schlummert ein künftiger Siegfahrer, einer, der im Kampf um den Gesamtweltcup mitreden will – und kann. Das heisst auch: Meillard ist einer der ersten Konkurrenten von Marco Odermatt, Freund und Gegner zugleich. Es könnte ein packendes Duell auf die Skiwelt zukommen. Und auf Meillard erneut ein Mammutprogramm. Nur so wird er Odermatt kitzeln können.
Daniel Yule: Bereit für die grossen Momente
Bei Daniel Yule hat man zuweilen das Gefühl, er könnte von Februar bis November in einen tiefen Schlaf fallen, nur um dann bei den Klassikern des Winters wieder da zu sein. So sehr liefert er dann, wenn es zählt. Madonna, Adelboden, Kitzbühel, die aufregenden Slalom-Tage sind seine Tage, dann, wenn es eisig und hart wird und viel Publikum am Pistenrand steht, um die Fahrer ins Ziel zu schreien. Gelingt es, dieses Gefühl über eine Saison zu tragen, gehört er zu den Besten auf den kurzen Ski.
Ramon Zenhäusern: Bloss keine Zeitmessung
Trainingsweltmeister, das war Ramon Zenhäusern über Jahre hinweg. Und dann, wenn es zählte, patzte er. So war das früher. Längst gehört der gross gewachsene Walliser zu den Schnellsten im Slalom, zuletzt war er Dritter in der Disziplinenwertung. Das könnte auch mit einem Kniff im Sommer 2022 zu tun gehabt haben: Zenhäusern wollte in keinem seiner Trainingsläufe die Zeit wissen. Und so ist es auch geblieben. Früher habe er zu viel Energie verbraucht in den Testläufen, «ich habe immer mehr forciert und zu wenig auf meine Technik geschaut. Nun ist das anders, jetzt höre ich auf das Gefühl und schaue nicht auf die Zeit. Meine Technik wurde wieder besser.» Das ist auch nötig: Im Slalom sind fast 30 Fahrer gut für den Sieg.
Gino Caviezel: Ein Sieg ist überfällig
Die Skiwelt, zumindest die helvetische, ist sich einig: Dieser lustige Bündner hat einen Sieg längst verdient. Aber bei Gino Caviezel ist es halt auch so: Auf grossartige erste Läufe können weniger grossartige zweite folgen – oder umgekehrt. Und so steht er, im Sommer 31 geworden, eben doch erst bei drei Podestplätzen im Weltcup. Gemessen an seinem Talent, ist das nicht gerade viel. Aber im Sog von Loïc Meillard und Marco Odermatt kann auch er vor allem eines: noch besser werden.
Justin Murisier: Angriff im Speedbereich
Es ist ein kleines Wunder, ist Justin Murisier überhaupt noch dabei. Kreuzbandriss um Kreuzbandriss hat den Walliser ganze Winter verpassen lassen. Vor dem Start zur vergangenen Saison wurde er am Rücken operiert. Doch Murisier ist immer noch da, mit 31 und voller Tatendrang. In Argentinien trainierte er mit Marco Odermatt und Gino Caviezel. Er habe enorm von Odermatt und dessen Professionalität profitiert. Bis Ende Jahr will der Riesenslalomspezialist nicht nur in seiner Paradedisziplin antreten, sondern auch wieder in den Speedbewerben. «Dann schaue ich, ob es sinnvoll ist, so weiterzumachen.»
Niels Hintermann: Plötzlich unter Eishockeyspielern
Der Winter 2022/23 war für Niels Hintermann ein ganz ordentlicher. Siebtbester Abfahrer war der Zürcher Unterländer, in der ersten Abfahrt von Kitzbühel wurde er Dritter. «Die Konstanz, die ich über die Jahre entwickelt habe, stimmt mich sehr positiv», sagt der 28-Jährige. Dennoch suchte er im Sommer neue Impulse. Und fand sie beim Eishockeyteam der GCK Lions, mit dem er sein Konditionstraining absolvierte.
Stefan Rogentin: Jäger auf und neben der Piste
Seine Website ist nicht wirklich à jour. Aber bei ihm ist ja immer alles etwas länger gegangen. Rogentin ist 29, im Weltcup etabliert hat er sich aber erst vor vier Jahren. Im letzten Winter war er der sechstbeste Super-G-Fahrer; in Wengen wurde er Zweiter, wobei danach bis zum Saisonende nicht mehr viel funktionierte. Für die Trainer ist der Bündner fast zu ruhig und zurückhaltend, es heisst, in ihm schlummere viel unausgeschöpftes Potenzial. In den internen Trainingsläufen stellt der leidenschaftliche Jäger, der als Bub Eishockey spielte, oft Bestzeiten auf.
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