Der Skistar und die grosse FrageLara Gut-Behrami, wie lange fahren Sie noch?
Es gibt Tage, da denkt die 32-Jährige an den Rücktritt. Und an anderen nur daran, wie sie schneller sein kann. Das sagt die Tessinerin vor ihrer 16. Weltcupsaison.
Draussen kratzt das Thermometer schon an den 20 Grad, später wird es noch wärmer, T-Shirt-Wetter in Dübendorf. Drinnen, in der Eventhalle «The Hall», tummeln sich Sportler und Sportlerinnen und holen ihre dicke Winterkleidung ab, sie schütteln viele Hände, geben Interviews und lachen in Kameras.
Es ist Werbewoche bei Swiss-Ski, dem Schweizer Skiverband, und der Mittwoch ist der Abgabetag für die Athleten und Athletinnen. Das heisst, dass die Wintersaison bevorsteht. Am letzten Oktober-Wochenende finden in Sölden zwei Riesenslaloms statt, einer bei den Frauen, einer bei den Männern.
An diesem Abgabetag reden sie alle, ob Marco Odermatt, Wendy Holdener, Corinne Suter oder Lara Gut-Behrami. Sie nehmen im Bistro der Halle Platz, vor ihnen eine Gruppe Journalistinnen und Journalisten. Gut-Behrami ist die erste Fahrerin, und bei keiner sonst ist der Raum so voll. 32 ist die Tessinerin im April geworden, sie geht in ihre 16. Weltcupsaison, es ist verrückt, wie lange sie schon dabei ist.
So sollte es nicht enden
Nach Sommern, in denen der Rummel um die Schneesportlerinnen abnimmt, braucht es im Herbst manchmal einen kleinen Rückblick. Bei Gut-Behrami sieht dieser so aus: Sie war am Ende der Saison 2022/23 wieder einmal Super-G-Fahrerin des Winters, zum vierten Mal, und hinter Mikaela Shiffrin Zweite im Gesamtweltcup.
Einzig die WM in Méribel misslang, verhältnismässig zumindest, Sechste im Super-G, Neunte in der Abfahrt, Vierte im Riesenslalom. So wollte sie nicht aufhören, so sollte ihre letzte Weltmeisterschaft nicht sein. Auch darum sagte sie bald einmal, sie würde gerne noch bis 2025 weiterfahren, dann steht in Saalbach-Hinterglemm die nächste WM an, zwei Monate vor dem 34. Geburtstag.
Und damit sind wir bei der Frage, die die Medienschaffenden umtreibt, seit Gut-Behrami die 30 überschritten hat. Wie lange fährt die – an Weltcupsiegen gemessen – zweitbeste Schweizer Skifahrerin der Geschichte noch weiter?
Es sei nicht so, dass sie jeden Tag Gedanken an den Rücktritt habe und sich zusätzlich motivieren müsse, sagt Gut-Behrami. Sie habe einfach realisiert, dass der Moment kommen würde. «Und irgendwann nennt man einen Zeitpunkt, um nicht ständig daran denken zu müssen.» Es könne auch sein, dass ihr irgendwann der Gedanke komme, die Idee mit Saalbach sei «ein Blödsinn» gewesen, dann höre sie vorher auf.
Denn die Tage, an denen Gut-Behrami daran denkt, was nachher sein könnte, sind durchaus da, «ab und zu sind diese Gedanken verwirrend, ab und zu freue ich mich auf das, was kommt», sagt sie. Diese Erfahrung gelte es zu machen in diesem Alter, mit 25 seien die Gedanken noch anderswo, «aber irgendwann entscheidet eben nicht mehr die Athletin», sagt Gut-Behrami.
«Für sie sind das Umfeld und die Struktur wichtig, sie braucht nicht mehr 60 Trainingstage, um bereit zu sein.»
Momentan aber tue sie alles dafür, auf Ski schnell zu sein. Die Saisonvorbereitung nahm sie etwas später in Angriff als in anderen Jahren. Hans Flatscher, der neue Alpindirektor von Swiss-Ski und ein früher Förderer Gut-Behramis, sagt: «Für sie sind das Umfeld und die Struktur wichtig, sie braucht nicht mehr 60 Trainingstage, um bereit zu sein.»
Gut-Behrami sei nach wie vor sehr motiviert, sagt Flatscher auch, «es ist nun einfach wichtig, dass sie gesund bleibt und Freude und Leidenschaft weiterhin hoch halten kann». Mitte August war Gut-Behrami mit dem Team zwei Wochen in Argentinien, das sei ganz okay gewesen, sagt sie. Die Konditionen allerdings waren mies, die Sonne habe sie kaum gesehen, es war feucht, und das Knie habe auch noch geschmerzt.
Diese Zahlen! Wer mag da an den Rücktritt denken
An solchen Tagen, weit weg von zu Hause, kommen die Gedanken an das Ende dieser Karriere wohl eher auf. Dann gibt es Tage wie kürzlich in Zermatt, wo die Bedingungen wunderbar sind und das Gefühl genial ist. «Wenn ich jetzt ernsthaft an den Rücktritt denken würde, würde ich mich nicht über solche Kleinigkeiten freuen», sagt Gut-Behrami. Das zeigt ihr, dass es sich eben noch lohnt, sich täglich zu überlegen, mit welchem Paar Ski sie schnell sein will.
Das Schätzen dieser Kleinigkeiten fiel ihr in ihrer Karriere nicht immer leicht, mit dem Erwachsenwerden lernte sie es immer mehr. Heute weiss Gut-Behrami, was ihr guttut, womit sie sich aufhalten kann und womit nicht. Sie weiss auch, wann sie Zeit hat zu reden und wann sie nicht nach rechts und links schauen will. Ist ihr nach einer Auszeit, nimmt sie sich diese. Das kann auch mal heissen, dass sie während einer WM zwischen den Einsätzen nach Udine fährt, wo sie mit Valon Behrami lebt.
Mit diesen Learnings und der Erfahrung kamen Leichtigkeit und Ausgeglichenheit zurück in Gut-Behramis Alltag als Skifahrerin. Nachdem sie nach der Kreuzbandverletzung im Februar 2017 in der Saison 2018/19 den punktemässig schwächsten Winter seit ihrem Debüt im Weltcup erlebt hatte, gehörte sie in den letzten drei Jahren wieder zu den Weltbesten.
In Resultaten und Auszeichnungen seit der Saison 2020/21 heisst das: elf Siege im Weltcup, drei WM-Medaillen in Cortina, zwei Olympiamedaillen in Peking, dazu zwei Kristallkugeln im Super-G. Viel besser geht es nicht. Wer möchte da schon an einen Rücktritt denken.
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