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Schweiz - Schottland
Und Yann Sommer denkt: «Warum schiesst du? Bitte nicht!»

Scotland's goalkeeper #01 Angus Gunn concedes the first goal by Switzerland's midfielder #23 Xherdan Shaqiri during the UEFA Euro 2024 Group A football match between Scotland and Switzerland at the Cologne Stadium in Cologne on June 19, 2024. (Photo by JAVIER SORIANO / AFP)
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Xherdan Shaqiri: Eine kleine Erinnerung

Von ganz hinten sieht er, wie Xherdan Shaqiri aufzieht. Und spontan denkt Yann Sommer: «Warum schiesst du? Bitte nicht!» Aber dann sieht er, wie der Ball in einer perfekten Kurve in die obere Ecke des schottischen Tors segelt. Der Schweizer Nationalgoalie zuckt mit den Achseln, als er nach Spielschluss von diesem 1:1 erzählt, und stellt nüchtern fest: «Und dann ist es halt Shaq. Es ist halt einfach Shaq.»

Vermutlich gibt es da tatsächlich nicht mehr allzu viel zu analysieren. Shaqiri macht Shaqiri-Sachen. Irgendwie war das ja schon klar, als er anstelle von Kwadwo Duah in der Startformation auftauchte. Da mag bei seinem Club Chicago noch so sehr über seine Fitness gemäkelt werden. Da mag er auch im ersten Turnierspiel gegen Ungarn keine Sekunde eingesetzt worden sein.

Es bleibt dabei: Shaqiri ist immer dann besonders gut, wenn die Bühne eine gewisse Grösse hat. Und was ist grösser im Fussball als Endrunden mit dem Nationalteam?

Seit 2014 hat er an jedem grossen Turnier für die Schweiz getroffen. Eine Statistik, die Shaqiri kennt. Und auf die er «natürlich stolz» ist, wie er sagt. «Es ist nicht das erste Mal, dass ich ein schönes Tor geschossen habe», hält er auch noch fest. Und zudem, dass es «ein wichtiges Tor» war. Nur für den Fall, dass das jemandem nicht aufgefallen wäre.

Murat Yakin: Lob und eine verwegene Theorie

19.06.2024; Koeln; Fussball UEFA Euro 2024 - Schottland - Schweiz, Trainer Murat Yakin (SUI) 
(Claudio Thoma/freshfocus)

Die Pressekonferenz mit Murat Yakin geht ihrem Ende entgegen, als noch eine Frage auf ihn hereinstürzt. Der Journalist entschuldigt sich gleich selbst dafür. Nun denn: Ob er denn mitbekomme, wird Yakin gefragt, dass ihm auf Social Media von weiblicher Seite eine Welle der Sympathie entgegenschlage.

Als wäre die Arbeit eines Trainers manchmal nicht schon knifflig genug, wird er kurz vor Mitternacht also auch noch mit solchem Nonsens konfrontiert. Yakin bewahrt immerhin die Fassung. «Danke für die Reaktionen», sagt er, «aber ich bin glücklich verheiratet und habe zwei Kinder. Da gibt es nichts zu holen.»

Ein anderer Fakt zählt mehr an diesem Abend: Die Schweiz hat nach zwei Spielen vier Punkte, «damit sind wir glücklich», sagt Yakin, «so wie wir spielen, sind sie auch verdient». Das heisst nichts anderes, als dass er auch mit dem Auftritt gegen Schottland zufrieden ist – so offensichtlich auch ist, dass sich seine Spieler viel schwerer tun als noch gegen Ungarn, dass sie eben nicht mehr ungestört den Ball bewegen dürfen, sondern den Gegner immer im Nacken und auf den Füssen spüren.

«Schade», sagt Yakin lieber, «dass wir nicht die Effizienz gehabt haben.» Da muss er an die Chancen von Dan Ndoye denken oder von Zeki Amdouni. Aber ihnen nachtrauern? Nein, das dann doch nicht. «Wir können damit gut leben», berichtet der Trainer. Und das können sie auch, weil sie am Sonntag gegen Deutschland «nicht unter dem Druck stehen, siegen zu müssen».

Unter normalen Umständen sind sie im Achtelfinal. Ein Punkt am Sonntag gegen Deutschland, und sie sind aus eigener Kraft Zweiter. Höchstens ein Punkt für Schottland gegen Ungarn, und sie belegen selbst bei einer Niederlage in Frankfurt den zweiten Platz und dürfen am 29. Juni zum Achtelfinal nach Berlin reisen, gegen den Zweiten der Gruppe mit Spanien und Italien. Mit einem Sieg sind sie sogar Gruppenerster und im Achtelfinal gegen den Zweiten der Gruppe mit England, Dänemark, Slowenien und … den alten Freunden aus Serbien.

Auf Platz 3 zurückfallen kann die Schweiz nur, wenn sie das letzte Spiel verliert und Schottland Ungarn bezwingt. Und das auch noch mit ganz vielen Toren. Wenn die Schweizer gegen Deutschland 0:4 verlieren und die Schotten gleichzeitig 3:0 gewinnen etwa. Dann sind sie punktgleich mit Schottland und ihr Vorteil von sechs Toren wäre weg. Das ist die Theorie. Sie liest sich verwegen.

Und weil die besten vier der sechs Gruppendritten ebenfalls weiterkommen, stünde die Schweiz wohl sogar in diesem Fall im Achtelfinal.

Granit Xhaka: Pärchenbildung im Mittelfeld

Switzerland's Granit Xhaka, center, and Scotland's Scott McTominay, right, react after the draw (1-1) next to Switzerland's Fabian Schaer, left, during a Group A match between Scotland and Switzerland at the Euro 2024 soccer tournament in Cologne, Germany, Wednesday, June 19, 2024. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)

Als Granit Xhaka nach Mitternacht in der Medienzone des Kölner Stadions auftaucht, ist einer nicht dabei: Scott McTominay. Das ist etwas überraschend, ist er zuvor Xhaka doch auf Schritt und Tritt gefolgt. So, wie er es dem Schweizer Captain nach rund zwanzig Minuten Spielzeit persönlich mitgeteilt hat. «Er hat mir gesagt, dass er immer bei mir bleiben wird.» Vermutlich, damit Xhaka über die ständige Leibgarde nicht erstaunt ist. Schotten sind ein sehr höfliches Völkchen.

Aber natürlich wäre Xhaka auch von allein draufgekommen, dass er an diesem Abend äusserst regelmässig auf den Mann im dunkelblauen Trikot mit der Nummer 4 treffen würde. «Es ist nicht das erste Mal, dass jemand hinter mir herrennen muss», sagt er. Und verbessert sich dann: «Oder hinterherrennen darf.» Kommt ja schliesslich nicht jeder in den Genuss, einem Granit Xhaka so nahe zu kommen.

Dass er dank der freundlichen Begleitung diesmal weit weniger dominant spielen kann als gegen Ungarn? Ist für Xhaka «part of the game». Und auch noch: «Eine sehr gute Idee des schottischen Trainers.» Dem freundlichen Lob an den Gegner ist es abzulesen: Der Schweizer Captain ist zufrieden mit diesem 1:1 und mit dem Auftritt seines Teams.

Schottland: Steve Clarke und sein Doppelgänger

Am Sonntag noch musste sich Steve Clarke öffentlich Asche übers Haupt streuen. Jetzt kann Schottlands Nationaltrainer herzlich lachen, als ein Journalist im Eifer der Medienkonferenz seinen eigenen Namen vergisst und die Frage an ihn einleitet mit: «Steve Clarke vom ‹Guardian›.» 

Die Stimmung ist gelöst bei den Schotten. Auch wenn sie wissen, dass ihnen im letzten Gruppenspiel gegen Ungarn nur ein Sieg hilft. Aber man spürt, welches Gewicht auf ihre Schultern gedrückt hat seit dem 1:5 gegen Deutschland im Eröffnungsspiel dieser Euro.

«Wir haben uns blamiert vor unseren Fans und unseren Familien.» So sagt es Goalie Angus Gunn noch einmal nach dem Spiel gegen die Schweiz: «Jetzt hoffen wir, dass wir etwas wiedergutmachen konnten.»

Natürlich sind die Achtelfinals noch immer das grosse Ziel. «Wir wollen, dass unsere Fans noch möglichst lang in Deutschland bleiben können», sagt Gunn. Deutschlands Brauereien drücken ganz sicher die Daumen.

Die Fans: Spektakel mit der Blume

Wer in Köln aus dem Hauptbahnhof kommt, sieht gleich den Dom. Normalerweise, ja. Aber was ist schon normal an diesem Mittwoch. Die Schotten sind in die Stadt eingefallen, noch ein paar mehr als Schweizer, und schon von denen müssen es mindestens 30’000 sein, die ihrer Mannschaft nachreisen. Von den Schotten sind es sogar deutlich mehr – so viele, dass selbst der Dom hinter der Masse in Blau und Kilt zu verschwinden scheint. Etliche sind unterwegs, denen eine Büchse Bier nicht mehr reicht, die schleppen gleich einen ganzen Harass mit sich.

«No Scotland, no party», singen sie. Sie singen es so oft, dass es zum Ohrwurm wird. Und falsch ist es ja auch nicht, zumindest nicht ganz. Was sie an Friedfertigkeit in die Stadt bringen, ist beeindruckend. Die Schweizer geben sich alle Mühe, ebenfalls einen guten Eindruck zu hinterlassen. Das tun sie. Dass sie bei den Hymnen vor dem Spiel nur zweite Sieger sind, ist ihnen nicht vorzuhalten. Wer hält schon mit diesen Schotten mit! 

«Flower of Scotland» singen sie mit einer Kraft, die allein schon reicht, um den Stadionbesuch zum Erlebnis zu machen. Und der Text geht so: «O Blume Schottlands / Wann werden wir / Deinesgleichen wieder sehen / Die gekämpft haben und gestorben sind für / Dein kleines Stückchen Hügel und Schlucht.» Irgendwie passend zu den tapferen Schotten, die alles geben, um auf das 1:5 gegen Deutschland zu reagieren.

Deutschland: Schöne Erinnerung an 2012

Das Verhältnis hat sich in den letzten Jahren entkrampft. Und doch ist das deutsche Nationalteam für viele in der Deutschschweiz wichtiger Bezugspunkt geblieben. Die Deutschen sind liebster Freund und Gegner. Der Kitzel und die Aufregung,  wenn sie verlieren. Der Verlust, wenn sie einmal an einem Turnier ausgeschieden sind. Und gegen diese Deutschen spielen die Schweizer am Sonntag in Frankfurt mit der Chance auf den Gruppensieg.

53 Spiele hat die Schweiz gegen Deutschland seit 1908 bestritten. Ihre Bilanz ist deutlich negativ: 9 Siegen stehen 36 Niederlagen gegenüber. Teilweise sind diese Niederlagen wenig freundlich ausgefallen: 2:6, 1:7, 0:5, 1:5. Oder auch 0:4 wie am 26. März 2008 im Anlauf auf die Heim-EM. Der «Blick» war darob derart ausser sich, dass er danach Coach Kuhn blossstellte und titelte: «Köbi, du Wurst!»

Was damals noch keiner wissen konnte: Das ist bis heute die letzte Niederlage der Schweiz geblieben. Im Mai 2012 gewann sie einen Test gegen ein ziemlich lustloses Deutschland 5:3, wobei Eren Derdiyok drei Tore erzielte. 2020 erkämpfte sie in der Nations League zwei Remis, 1:1 und 3:3.

Und nächsten Sonntag? «Es wird ein anderes Spiel» ist ein Satz, der in der Nacht von Köln viel zu hören ist. Das Banale liegt da nahe, weil ja jedes Spiel anders ist. Yann Sommer versucht sich trotzdem an einer Erklärung: «Deutschland ist spielerisch sehr stark. Wir kennen die Mannschaft gut. Ich kenne den Coach gut. Wir wissen, dass da viel Qualität auf uns zukommt. Wir werden uns gut vorbereiten. Es wird viel spielerischer, was uns auch entgegenkommt. Wir werden bereit sein.»

Bleibt noch ein Wort von Xherdan Shaqiri: «Wir wollen die Deutschen auch ärgern. Das ist klar.»