4x100-m-Final in TokioZuletzt läuft die Staffel den eigenen Ansprüchen hinterher
Die Schweizerinnen träumen von einer Medaille und werden Olympiavierte – dass danach Unzufriedenheit herrscht, ist das beste Zeichen für die Zukunft.
Man kann vom Fehler beim dritten Wechsel schreiben, von zu früh gestartet oder zu spät angekommen. Von fehlender Abstimmung oder Ungeduld. Man kann aber auch davon schreiben, dass die Schweizer Frauenstaffel in dieser Zusammensetzung noch nie an einer grossen Meisterschaft gelaufen und nun im Olympiafinal Vierte geworden ist. Viertschnellstes Quartett weltweit. Dass es erst zehn Jahre her sind, seit Swiss Athletics hinsichtlich der Heim-EM 2014 ein Staffelprojekt lancierte, heisst auch: In so kurzer Zeit von Null in den Olymp. Selbstverständlich sollte also noch gar nichts sein.
Riccarda Dietsche (25), Ajla Del Ponte (25), Mujinga Kambundji (29) und Schlussläuferin Salomé Kora (27) haben sich in dieser langen, heissen Woche mitten in der Weltspitze etabliert. Und demonstriert, dass die Schweiz eine Sprintnation geworden ist. Bei ihrem ersten gemeinsamen Olympiafinal sind sie in 42,08 Sekunden noch einmal fast so schnell gelaufen wie beim Schweizer Rekord in der Qualifikation.
Sie verpassen die Marke um nur drei Hundertstel. Die superschnellen Jamaikanerinnen gewinnen Gold mit Landesrekord (41,02), die Amerikanerinnen Silber in einer in dieser Saison noch nie gelaufenen Zeit (41,45), und die Britinnen entwischen auf der Zielgeraden noch zu Bronze (41,88).
Die Schweizerinnen werden in ihrem grössten Rennen also in erster Linie Vierte und verpassen erst in zweiter die Bronzemedaille. Es fehlen zwei Zehntel, gleich viel wie den Jamaikanerinnen zum Weltrekord. In diesem Umfeld bewegt sich das Multi-Kulti-Quartett seit neuestem.
Trotzdem ist die Enttäuschung masslos bei den vier Frauen. Sie ist es, weil sie zu träumen begonnen haben. Von einer Medaille, die eigentlich alle schon vor dem Rennen vergeben scheinen. «Wir waren alle überzeugt, dass wir schneller laufen können als im Vorlauf», sagt Kambundji. «In Doha hatten wir keine Chance auf die Medaille, das war hier anders», fügt Kora an. Del Ponte sagt erst gar nichts, sie ist den Tränen nahe und wohl froh, dass sie eine Maske aufhaben muss. Und Dietsche, die in diesem Sommer das Quartett erstmals ergänzt und die Startläuferin ist, muss sich zuerst einmal zurechtfinden. Olympiavierte und eine Stimmung wie sieben Tage Regenwetter?
Das erfahrenere Trio versucht dann die Gefühlslage, die vor zwei Jahren an der WM in Doha herrschte, noch einmal zu beschreiben. «Da wurden wir ebenfalls Vierte und waren nicht enttäuscht», sagt Kora. Was Wunder. Denn 2017 hatten sie in London über die erste WM-Finalqualifikation gejubelt und danach über einen fünften Rang. Ein vierter im Emirat war also eine schöne Steigerung.
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Es ist fast müssig zu fragen, was seither passiert ist. Die Ansprüche sind innert kürzester Zeit ins Himmelhohe gestiegen, obwohl es noch gar nicht so lange her ist, dass die Schweiz und ihre Athleten kaum Ansprüche haben konnten. Natürlich, bei Leistungen, wie sie Del Ponte und Kambundji in ihren Einzelrennen zeigten, sollte grundsätzlich mehr möglich sein mit der Staffel. Die Tessinerin hat Kambundji in 10,91 den Landesrekord abgenommen, die Bernerin sprintet aber ebenfalls in diesen Bereich, Kora qualifiziert sich erstmals für das Olympia-Einzelrennen über 100 m – also wieso nicht träumen?
«Die Enttäuschung wird uns weiterbringen»
Man kann nicht nur vom Fehler schreiben beim dritten Wechsel, man soll sogar. Kambundji selber sagt, er sei «schlecht» gewesen. Allerdings: Es war immer klar, dass die Schweizerinnen nur dann in die absolute Spitze vordringen können, wenn alle sehr schnell, alle ganz präzis und alle noch frisch sind. Das waren sie nicht mehr, wie auch?
Und die einzigen, denen ein Missgeschick unterlief, waren sie auch nicht. Die Niederländerinnen sind gar nicht im Ziel angekommen, und auch die Olympiasiegerinnen von Jamaika schrammten nur ganz knapp am Ausscheiden vorbei. Nur nützt das dem Traum nichts.
Dass unter den Athletinnen grösste Unzufriedenheit herrscht, ist das beste Zeichen für die Zukunft. «Diese Enttäuschung wird uns weiterbringen», glaubt Del Ponte, als sie sich ein wenig gefasst hat. Schon im nächsten Sommer findet eine WM statt, schon 2024 die nächsten Spiele.
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