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Olympia 2021: 100 m der Frauen
Als gehörte die kleine Schweiz zu den Sprintmächten

Zwei Schweizerinnen in Rot ganz rechts – und das in einem Olympiafinal.
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Die elf Sekunden zuvor waren sie im Tokioter Olympiastadion noch Gegnerinnen gewesen, im Ziel dann umarmten sich die beiden Schweizerinnen herzlich. Es war eine grosse Geste von Ajla Del Ponte und Mujinga Kambundji, der einstigen Rekordhalterin und der aktuellen. Die Bernerin beschrieb den Moment danach so: «Wir waren einfach mega stolz, dieses Rennen miteinander erlebt zu haben.» Es zeige, wie weit der Weg gewesen sei, «und irgendwie wurde bisher nicht richtig wahrgenommen, dass auch wir auf diesem Niveau schnell sein können».

Hatte es bislang keine Schweizerin in einen Olympiafinal über 100 m geschafft, machten sie beide jetzt ein Viertel der Teilnehmerinnen aus. Im Vorfeld war dieser Final da und dort sogar als spannender als jener der Männer taxiert worden. Und tatsächlich geht das Rennen in die Rekordbücher ein: Es war der schnellste Sprintfinal überhaupt. Erst war da die grosse Lichtshow im Stadion, in der alle Finalistinnen vorgestellt wurden. Dann der grosse Wirbel auf der Bahn: Drei Jamaikanerinnen, eine Britin, eine Amerikanerin, eine Athletin von der Elfenbeinküste und: zwei Schweizerinnen. Als gehörte das kleine Land zu den Sprint-Supermächten.

Die Supermacht bleibt Jamaika, und die Olympiasiegerin bleibt die gleiche wie 2016: Elaine Thompson-Herah setzte sich durch und wiederholte ihren Coup, liess aber mit den gestoppten 10,61 Sekunden bei 0,6 m/s Gegenwind alle mit einem ungläubigen Staunen zurück. Es ist die zweitbeste Zeit, die eine Frau je erreicht hat, und Thompson-Herah näherte sich bis auf zwölf Hundertstel dem Weltrekord von Florence Griffith-Joyner aus dem Jahr 1988. Wie hiesse die Weltrekordhalterin wohl heute, wenn optimaler Rückenwind geweht hätte?

Del Ponte und Kambundji bleiben unter 11 Sekunden

Von leichtem Gegenwind wussten Del Ponte und Kambundji lange nichts. Sie hatten sich aussen auf den Bahnen 8 und 9 ein Duell auf bisher nie erreichtem Niveau geliefert – das Del Ponte in 10,97 auf Rang 5 und mit zwei Hundertsteln Vorsprung gewann. Doch ihre Rivalität stand jetzt nicht im Zentrum, dort stand allein der Auftritt mitten in der Weltspitze.

Die Gefühlslagen waren eine halbe Stunde nach ihrem Karrierehöhepunkt ziemlich unterschiedlich. Kambundji, die vor zwei Jahren an der WM in Doha die Bronze über 200 m gewonnen hatte, sagte, sie sei grundsätzlich zufrieden und stolz, den Final erreicht zu haben. Doch sie verhehlte nicht, dass es sie ein wenig ärgerte, dass sie ihre beste Zeit mit 10,95 im Vorlauf gelaufen war. «Ich weiss nicht, ob ich enttäuscht sein soll. Ich muss die Leistung erst setzen lassen. Ich hatte vorher das Gefühl, dass ich noch schneller sein könnte.»

Vielleicht. Doch ihre Zeiten von 10,95, 10,97, 10,99 innerhalb von zwei Tagen zeugen von einer neuen Konstanz auf höherem Niveau, die Kambundji bisher nicht gekannt hat. Ihre bisher einzige Zeit unter elf Sekunden hatte sie 2018 erreicht.

Del Ponte hingegen fand kaum Worte für ihr 10,97-Rennen, einmal leer schlucken, zweimal, und dann sagte sie, dass sie sich erinnern könne an 2012, als sie als 16-Jährige vor dem Fernseher sass und dachte, ob sie es auch einmal an die Spiele schaffen würde. «Und jetzt das, Olympia-Fünfte.» Dann flossen die Tränen.

Die eine ärgerte sich ein bisschen, die andere war überglücklich: Die Gefühlslagen bei Mujinga Kambundji und Ajla Del Ponte waren nach dem Final unterschiedlich. 

Die 25-Jährige hat eine wechselvolle Saison hinter sich, die mit einer herausragenden Hallensaison und dem Gewinn des EM-Titels begann, «da war mein Selbstvertrauen in den Sternen». Doch so schnell, wie es da gewesen war, schwand es: Sie erkrankte an Corona, und die Folge war ein erklecklicher Trainingsrückstand. «Es gab danach viel Kritik wegen meiner Resultate, es war eine schwierige Zeit.»

Eine magische Nacht für die Schweizer Leichtathletik

Im Final war dann gar nichts mehr schwierig. Ihr Bruder hatte ihr geraten, sie solle einfach «ganz aus dem Herzen» laufen, «das versuchte ich, und ich konnte es dann wirklich auch ein wenig geniessen». Del Ponte hatte im Vorlauf mit einem Leistungssprung von 11,07 auf 10,91 verblüfft und Kambundji damit den Schweizer Rekord abgenommen. Doch die Tonalität ist und bleibt eine bewundernde, wenn sie über ihre vier Jahre ältere Kollegin spricht: «Mujinga hat uns mit ihren Leistungen gezeigt, was wir alles erreichen können.»

Neben all den Schweizer Medaillen wird auch dieses Rennen einer der Höhepunkte dieser speziellen Spiele von Tokio bleiben. Es war eine magische Nacht für die Schweizer Leichtathletik, es war aber auch eine solche für die Welt-Leichtathletik. Die Zeit der Siegerin deutet darauf hin, dass die Sportart mitten in einer Revolution steckt, die von den neuen Sprintschuhen mit Carbonplatten losgetreten wurde.

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