Spannungen mit RusslandSchweizer Firma bereitet Evakuierung von Mitarbeitenden aus der Ukraine vor
Rund 130 Schweizer Firmen sind in der Ukraine aktiv. Die Krise zwingt sie, Krisenpläne vorzubereiten.
Was ist, wenn russische Truppen in die Ukraine einmarschieren? Mit dieser Frage müssen sich nicht nur die Menschen in der Ukraine täglich auseinandersetzen. Auch Schweizer Firmen bereiten sich auf den Krisenfall vor.
Dazu gehört die Rapperswiler Industriegruppe Weidmann. Sie beschäftigt rund 620 Angestellte in der Ukraine, die dort Materialien und Systeme zur Isolation von Transformatoren sowie Spezialpapiere für industrielle Anwendungen fertigen.
Verlagerung der Produktion
Firmenchefin Franziska Tschudi war vor 25 Jahren selber vor Ort, als das Unternehmen das Standbein in der Ukraine errichtete. Jetzt arbeitet sie nach eigenen Angaben an Konzepten, wie die Produktion im Notfall in andere Weidmann-Werke verschoben werden könnte. Die Firma sieht sich wegen ihres «globalen Footprints» in der Lage, Lösungen für die meisten Produkte zu finden, die in der Ukraine hergestellt werden, sagt sie dieser Zeitung.
Mit diesen Verlagerungsplänen will die Firmenchefin ihre Kunden beruhigen, die wegen der Spannungen mit Russland in Sorge sind. Denn der Grossteil der Waren aus dem Weidmann-Werk in der Ukraine geht an Abnehmer in Westeuropa. «Wir sind in engem Kontakt mit den Kunden und informieren regelmässig über unsere Pläne und die aktuelle Situation», erklärt Firmenchefin Tschudi. Derzeit sei die Geschäftstätigkeit aber «wenig bis gar nicht» beeinträchtigt, versichert sie.
«Um Vertrauen zu schaffen, wird in der nächsten Zeit nach Möglichkeit immer ein Geschäftsleitungsmitglied aus der Schweiz oder aus anderen westlichen Standorten vor Ort sein.»
Tschudi betont, dass man in Kontakt mit der Schweizer Botschaft in Kiew stehe, um beispielsweise nicht ukrainische Mitarbeitende evakuieren zu können. «Wir kommunizieren auch sehr offen und direkt mit unseren Mitarbeitenden. Das ist nicht einfach, da wir verhindern wollen, dass Panik in unserem Werk ausbricht.»
«Um Vertrauen zu schaffen», erklärt Tschudi, «wird in der nächsten Zeit nach Möglichkeit immer ein Geschäftsleitungsmitglied aus der Schweiz oder aus anderen westlichen Standorten vor Ort sein.»
Auch Covid belastet Belegschaften
Dass die Ukrainer mit der seit Jahren ständigen Bedrohung durch den grossen Nachbarn im Osten leben gelernt haben, zeigt sich wohl auch darin, dass die Ansteckungsgefahr mit Covid die Menschen derzeit mehr beschäftigt. «Covid-Erkrankungen und -Abwesenheiten haben im Moment einen grösseren Einfluss auf die Belegschaft», bestätigt Tschudi.
Laut Schweizer Botschaft sind derzeit 130 Firmen mit Schweizer Bezug in der Ukraine tätig. Für ein Engagement in diesem Land sprechen die niedrigen Lohnkosten und der Fakt, dass es dort genügend gut ausgebildete Spezialisten gibt.
Gemäss der Schweizerischen Nationalbank stammt der Grossteil der schweizerischen Direktinvestitionen indessen nicht von hiesigen Unternehmen, sondern von ausländisch beherrschten Konzernen. Von den 2,7 Milliarden Franken per Ende 2020 entfielen rund drei Viertel auf Handelsunternehmen. Den Rest teilen sich Chemie und Pharma sowie andere Industriesektoren.
Syngenta in der Zwickmühle
Die Ukraine gehört zu den zehn grössten Weizenanbaugebieten der Welt. Für den Agrochemiekonzern Syngenta «ist die Ukraine ein wichtiger Markt», wie ein Firmensprecher betont. Aber das gelte auch für Russland. Beide Staaten machen zusammen ein Viertel des weltweiten Weizenhandels aus. Laut dem Sprecher seien aktuell keine Störungen der Geschäftstätigkeit in der Ukraine bekannt.
Andere Firmen wollen sich wegen der heiklen Lage gar nicht öffentlich äussern. Dazu gehören neben Geberit, Vetropack und dem Glashersteller Trösch auch Konzerne wie Novartis mit 500 Beschäftigten und Nestlé mit über 5000 Angestellten in der Ukraine.
Denn die Firmen stecken in einer Zwickmühle: Denn Russland ist zugleich Absatzmarkt sowie Standort von Schweizer Niederlassungen. Weidmann-Chefin Tschudi umschreibt es so: «Russland verbietet russischen Firmen, Waren an die Ukraine zu liefern. Hier geht es vor allem um Rohmaterial und Ersatzteile für Maschinen.» Falls die USA und Europa weitere Sanktionen gegen Russland verhängten, bedeute das für Tschudi: «Wir dürfen keine Waren mehr nach Russland liefern. Und wir dürfen von Russland auch nichts mehr kaufen.»
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