Zweite KarriereSchweizer Filmregisseur macht mit 60 als Bäcker Furore
Christian Aeby rückte als Werbefilmer die Swiss oder BMW ins beste Licht. Mit sechzig legte er die Kamera beiseite. Nun macht der Basler als Bäcker in Hamburg von sich reden.
Nein, brotlos war sein Job nicht gewesen. Als Regisseur hatte der Basler Christian Aeby jahrelang die Werbefilme von Weltmarken verantwortet. 100’000 Euro und mehr kostete ein Drehtag mit ihm, für aufwendige Werbeclips zahlten die Kunden bis 2,5 Millionen Euro. Unvergessen bleibt für Aeby der Imagefilm «Campari Soda» für die Swiss, der der neuen Fluggesellschaft nach dem Debakel der Swissair ein positives Image verleihen sollte. Wenn Aeby in seiner Hamburger Wohnung darüber spricht, wie er das Wolkenmeer und andere Schlüsselszenen eingefangen hat, spürt man nochmals seine Passion für das Filmmetier.
Aber eigentlich ist das gefühlt schon ewig her. Denn nach jahrzehntelang erfolgreicher Arbeit hat Aeby der Branche mit gut sechzig den Rücken gekehrt. Er sei schlicht «aus der Zeit gefallen», sagt er lakonisch und präzisiert dann, der Kostendruck habe massiv zugenommen, weil nach Erfindung der Smartphones der Eindruck aufgekommen sei, jeder könne Filme machen, und teure Fachleute seien entbehrlich.
Höchste Zeit für einen Neuanfang
Der erfahrene Profi fühlte, wie die Wertschätzung für seine Arbeit abnahm, und als bei einem Dreh mit einem Kleinkind die Produktionsleitung zur Unzeit reinfunkte und Aeby just in dem Moment stoppte, als er die gewünschte Stimmung filmisch hätte festhalten können, da wurde ihm schlagartig klar: Es war höchste Zeit, noch einmal etwas Neues in Angriff zu nehmen.
Der Wahlhamburger Christian Aeby lancierte seine zweite Karriere mit einem selbst gezimmerten Marktstand, der halb so gross war wie die kleinste im Handel erhältliche Version. Klein, aber fein – so lautete seine Maxime, und folgerichtig hatte er nur ein einziges Brot im Angebot und verteilte kleine Stücke davon veredelt mit gesalzener bretonischer Butter an die Passanten. Und siehe da, viele von ihnen machten nach einigen Schritten kehrt, kamen zurück an den kleinsten Marktstand Hamburgs und wollten wissen, was das für ein Brot sei.
Sauerteigbrot aus der Heimat
Es gab darauf eine sachliche und eine emotionale Antwort. Die emotionale ging so, dass der Basler Aeby nach seinem Umzug in die Medienstadt Hamburg wenig vermisste, eines aber schmerzhaft: das dunkel gebackene, knusprige Sauerteigbrot aus der Heimat. Er erinnere sich noch genau, wie er als 5-Jähriger die Bäckerei Trautwein in Riehen betreten habe, erzählt der 63-jährige weit gereiste Unternehmer, er höre noch heute den Klang der Türglocke, das Knarren des Bodens, das Rascheln des Papiers, in das die Bäckerin das Brot eingepackt habe.
In den ersten Jahren in Hamburg hat er das Brot seiner Kindheit sehr vermisst.
In den ersten Jahren in Hamburg zu Beginn der Neunzigerjahre habe er das Brot seiner Kindheit so sehr vermisst, dass er seine Mutter regelmässig beauftragt habe, ihm welches zukommen zu lassen. Als Kurier diente jeweils der ICE-Zug Basel-Hamburg, der die wertvolle Fracht zuverlässig transportierte, ohne dass jemand davon wusste, erzählt Aeby lachend. Seine Mutter stellte die mit Brot gefüllte Tasche in Basel in den Zug, der Sohn holte sie acht Stunden später in Hamburg glücklich heraus.
Kochen als Kunst
Das Essen hat in Christian Aebys Leben immer eine wichtige Rolle gespielt; er gehört zu jenen Menschen, die Kochen als Kunstform verstehen und problemlos sechs Stunden in der Küche stehen können für ein besonderes Gericht.
Als dann sein älterer Bruder erzählte, er habe sich in einem Kurs in die Kunst der Sauerteigkultivierung einführen lassen, begann auch Christian Aeby zu pröbeln und zu backen, vorerst in Randstunden und dann immer exzessiver. Was er beim Bäcker Nino Ardilio am Genfersee schliesslich gelernt und perfektioniert hatte, funktionierte in Hamburg mit deutschem Biomehl zunächst nicht, aber nach Jahren des Tüftelns und Testens war das perfekte Mehl gefunden, die Ascorbinsäure durch Acerola-Kirschenpulver ersetzt, kurz: Aeby hatte eine Formel gefunden, die so gut war, dass er nicht anders konnte, als in einen Holzkohleofen zu investieren und zum Markt zu fahren mit seinem Brot.
«Hamburgs bester Bäcker»
Als die Schlange vor seinem Marktstand dann immer länger wurde und immer mehr Brotliebhaber sich erkundigten, wo er seinen Laden habe, wurde aus dem Liebhaberprojekt endgültig sein neuer Broterwerb. Aeby fand ein kleines Ladenlokal in Hamburg-Eimsbüttel unweit seines Wohnorts, richtete es – Werbeprofi bleibt Werbeprofi – puristisch ein, gab ihm den simplen Namen Bread und fand auf abenteuerlichen Wegen einen Lieferanten für das Seidenpapier in leuchtender Pink-Farbe, das er sich in den Kopf gesetzt hatte und das im Kontrast mit dem schwarzen Interieur, dem schwarzen Tresen und der dunklen Brotkruste ein hervorragender Werbebotschafter wurde.
Darüber hinaus musste sich der Werber Aeby nicht um die Bewerbung seines Brots kümmern. Die Geschichte wurde zum Selbstläufer. Eines Morgens streckte ihm eine Stammkundin am Marktstand begeistert die neuste Ausgabe der Hamburger Morgenpost entgegen und Aeby stellte verwundert fest, dass er selber es war, der da von der Titelseite jener Zeitung grüsste, die er seit fast 30 Jahren las. Das Gourmetmagazin «Falstaff» hatte ihn mit der Auszeichnung «Hamburgs bester Bäcker» geadelt, ihn, den Quereinsteiger, der von sich sagt, er sei ja gar kein Profi, sondern ein Liebhaber, der nur ein einziges Brot in vier Varianten herstellen kann: die Baguette-ähnlichen Formen Flûte und Stange, den 3,6-Kilo-Brotlaib «Hammer» und vier miteinander verbundene Bürli, alles mit weichem, luftigem Kern und dunkler, knuspriger, aromatischer Kruste.
Futter für den Sauerteig
Diese Konzentration auf ein einziges Produkt und dessen Perfektionierung hat ihren eigenen Reiz. Als Aeby in seiner Wohnung zu einem Exkurs über die Launen des Sauerteigs ansetzen will, wird er durch einen Anruf unterbrochen. Ein Google-Angestellter, der offenbar genug hat vom täglichen Umgang mit Algorithmen, möchte von Aeby wissen, wie er vorgehen soll, wenn er in Berlin eine eigene Bäckerei eröffnen möchte. Er vertröstet ihn auf später und führt seinen Gedanken zu Ende: Man müsse «den Sauerteig täglich füttern und bei Laune halten wie ein Haustier».
Neuerdings füttere er ihn sogar zweimal pro Tag, das erhöhe die Triebkraft. «Man lernt nie aus, es geht immer noch besser», sagt Aeby mit dem Strahlen eines kleinen Jungen, und man kann sich in diesem Moment gut vorstellen, warum er nicht nur einen gelernten Bäcker, sondern auch einen Mathematiker und einen Philosophen beschäftigt in seiner Bäckerei. Und warum er so gern selber in der Backstube steht und Schichten übernimmt, die manch einen Jüngeren abschrecken würden. «Wenn man ein Blech mit gut geratenen Broten aus dem Ofen zieht, ist alle Müdigkeit vergessen», sagt Aeby. Die neueste Innovation in Sachen Produktentwicklung: Die Flûtes werden seit wenigen Wochen gezwirbelt, weil sie dann besser aufgehen.
Zurück zu den Wurzeln
Doch nun stehen grössere Schritte an: Nach der Expansion nach Berlin, wo Aebys Sohn Giani und Neffe Lucas das Bread-Brot backen und auf dem Markt verkaufen, will der Basler sein Brot nun in seine Heimat zurückbringen. Eine Bäckerei mit geeigneten Öfen, die in seinem Auftrag backen wird, hat er schon vor längerer Zeit gefunden. Vor wenigen Tagen hat Aeby nun auch den Mietvertrag für ein eigenes Ladenlokal am Rhein unterzeichnet: Ab Mitte September wird das Brot seiner Kindheit auch in Basel verkauft. Zumindest seine Mutter, die im Alter von 86 Jahren noch mit der Drohne Felder überfliegt, um Rehkitze zu retten, wird sich bestimmt darüber freuen.
Mathias Morgenthaler war Wirtschaftsredaktor bei Tamedia und ist heute als Autor, Coach
und Referent tätig. Er ist Autor der Bestseller «Aussteigen – Umsteigen» und «Out of the
Box» und Betreiber des Portals www.beruf-berufung.ch
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