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Von Forschung zur Wirtschaft
Ein Brasilianer fördert Schweizer Start-ups

Was André Studart erforscht, soll auch die Leute auf der Strasse interessieren.
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Ein rauschendes Fest gab es in diesem Jahr nicht, aber für die Preisträger war es doch ein denkwürdiger Moment. Aus 192 eingereichten Projekten hatte die Jury der W.A.-de-Vigier-Stiftung fünf Gewinner ausgewählt – jedes dieser Jungunternehmen erhielt 100’000 Franken und öffentliche Aufmerksamkeit. Auffallend in diesem Jahrgang: Zwei der fünf Unternehmen, die Start-ups Fen X und Microcaps, entstammen dem Departement für Materialwissenschaften der ETH Zürich.

André Studart, der dort die Forschungsgruppe Komplexe Materialien als Professor leitet, ist stolz auf den Unternehmergeist in seinem Team. Der 46-jährige Brasilianer entschied früh, sich nicht nur der akademischen Forschung zu verschreiben. «Ich wollte eine Brücke bauen in die Wirtschaft, wollte bei der Entstehung von Produkten mitwirken, die sich auf dem Markt durchsetzen», sagt er.

«Wenn ich denen nicht erklären kann, was ich tue, habe ich es selber noch zu wenig begriffen.»

André Studart, Professor an der ETH Zürich

Das, was er erforschte, sollte nicht nur die Menschen im Elfenbeinturm der Wissenschaft interessieren, sondern auch die Leute auf der Strasse. «Wenn ich denen nicht erklären kann, was ich tue, habe ich es selber noch zu wenig begriffen», sagt er. Nach seinem Studienabschluss in Materialwissenschaften kam Studart von Brasilien nach Zürich an die ETH ins Team von Ludwig Gauckler und forschte für seine Doktorarbeit an der ETH, in Brasilien und später mit Nationalfondsunterstützung in Harvard.

Als er zum Professor an der ETH ernannt wurde, war eines seiner wichtigsten Ziele, bei der Gründung von Unternehmen mitzuhelfen und die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft zu vertiefen. «Wir haben hier exzellenten Nachwuchs und sehr fruchtbare Rahmenbedingungen», sagt Studart. So profitierten Forschende, die ein Unternehmen gründeten, von der Infrastruktur und Unterstützung der Hochschule.

Es sei in den letzten Jahren ein lebendiges Ökosystem entstanden mit idealen Bedingungen für Firmengründungen. Dass die ETH ihren Professorinnen und Professoren erlaube, einen Tag pro Woche für andere Dinge als Forschung und Lehre zu nutzen, sei aussergewöhnlich, sagt Studart. So könne er junge Doktorierende beim Schritt ins Unternehmertum begleiten, als wissenschaftlicher Beirat Start-ups unterstützen und Beratungsmandate übernehmen.

Forschende mit Unternehmen vernetzen

Studart begleitet nicht nur Studierende mit offensichtlichen unternehmerischen Ambitionen, sondern er ermutigt auch Forschende, die von sich aus kein Marktpotenzial sehen. Dank seinem Netzwerk in der Wirtschaft und seiner Pipeline an Projekten, die er selber nicht umsetzen konnte, kann Studart Möglichkeiten aufzeigen und die Forschenden mit dem Unternehmertum in Kontakt bringen.

So geschehen bei der Gründung des ETH-Spin-offs Fen X, das Industrieabfälle in wiederverwertbare Dämmplatten verarbeitet und so der Bauindustrie ökologisches Isoliermaterial liefert. Fen-X-Mitgründer Etienne Jeoffroy, der bei Studart doktoriert hat, sagt, das Ziel sei, bis zum November 2020 rund 2,5 Millionen Franken Kapital aufzunehmen und 2021 mit den Schaumplatten auf dem Markt zu sein.

Wirkstoffe exakt dosieren

Manchmal muss die erste Idee auch angepasst werden wie im Fall der Firma Spectroplast, die 2018 gegründet wurde und der ETH inzwischen entwachsen ist. Die Ursprungsidee, ein 3-D-Druckverfahren um harte Polymermaterialen zu entwickeln, wurde aufgrund der Nachfrage angepasst: Die junge Firma entwickelte das weltweit erste 3-D-Druckverfahren für Silikon und produziert heute personalisierte Medizinprodukte aus diesem Material.

Ein weiterer Absolvent, der bei André Studart den Schritt vom Wissenschaftler zum Unternehmer gewagt hat, ist der 29-jährige Alessandro Ofner. Als er mit dem Studium an der ETH begonnen habe, seien kaum Firmen gegründet worden, sagt er. Seine Masterarbeit schrieb Ofner dank Vermittlung von Studart in Harvard. Dort sei er mit dem typisch US-amerikanischen Unternehmergeist in Berührung gekommen und habe entschlossen, selber auch ein Produkt zur Marktreife zu bringen. Studart habe ihm nach seiner Rückkehr nach Zürich signalisiert, er könne sich im Rahmen seines Doktorats während drei bis vier Jahren intensiv mit der Erforschung der wissenschaftlichen Grundlagen seines unternehmerischen Projekts befassen.

Im Fall von Ofner hat sich das Vertrauen ausbezahlt: 2015 hatte er die erste Idee für sein Projekt, im März 2019 gründeten er und sein Partner die Firma Microcaps. Die Spezialität des Spin-offs ist es, Mikrokapseln zu entwickeln, die eine exakte Dosierung eines Wirkstoffs erlauben. Sie kommen beispielsweise zum Einsatz, wenn ein Medikament ohne Beschädigung durch die Magensäure in den Darm transportiert werden oder wenn Dünger in der Landwirtschaft am richtigen Ort freigesetzt werden soll.

Hoffnung auf Grossaufträge

Auch Aromastoffe in Nahrungsmitteln oder Duftstoffe in Parfüms oder Deodorants werden verkapselt. Bisher war es nicht möglich, solche Mikrokapseln kontrolliert in der gewünschten Grösse zu produzieren. «Es gab in der Industrie eine Grössenvarianz von 40 bis 50 Prozent», sagt Ofner, «bei unserem Verfahren beträgt die Abweichung maximal 3 Prozent.» Das ermögliche eine viel exaktere Dosierung der Wirkstoffe.

Entsprechend hoch ist die Nachfrage aus der Wirtschaft. Derzeit laufen 15 Kundenprojekte mit namhaften Unternehmen aus den Branchen Pharma, Kosmetik und Nahrungsmittel. Fallen die Machbarkeitsstudien positiv aus, dürfte Microcaps bald die ersten Grossaufträge in den Büchern haben.

«Wir wollen den neuen Goldstandard in der Mikroverkapselung setzen, mit Schweizer Qualitätsbewusstsein und internationaler Ausrichtung.»

Alessandro Ofner, Jungunternehmer

Bisher haben Ofner und sein zehnköpfiges Team etwas über eine Million Franken eingenommen in Form von Preisgeldern bei Start-up-Wettbewerben und Zuwendungen von Stiftungen, darunter auch ein Beitrag des ETH-Programms «Pioneer Fellowships». Zurzeit läuft die Suche nach privaten und institutionellen Investoren, die ein paar Millionen Franken einbringen soll für den internationalen Markteintritt. «Wir wollen den neuen Goldstandard in der Mikroverkapselung setzen mit Schweizer Qualitätsbewusstsein und internationaler Ausrichtung», sagt Ofner. Speziell Medikamente und Probiotika für die Darmflora seien ein gigantischer Zukunftsmarkt.

Jungunternehmer Ofner sagt, es sei extrem motivierend gewesen, dass in kürzester Zeit vier Teams desselben Departements unternehmerische Projekte vorangetrieben hätten. Darunter auch die jüngst gegründete Firma Nemat X, die ein weltweit einzigartiges 3-D-Druckverfahren für neue Hochleistungskunststoffe entwickelt hat, die unter anderem in der Luft- und Raumfahrt eingesetzt werden können. Er sei durch die anderen Teams angespornt worden und habe viel von ihnen lernen können.