Geheimnisumwitterte FormationSchweizer Elitesoldaten stehen fast im Dauereinsatz
Bislang schickte der Bundesrat die Spezialkräfte der Armee selten los. Nun häufen sich die Noteinsätze – momentan in der Ukraine, davor sogar in der Schweiz.
Ein halbes Dutzend Angehörige des Aufklärungsdetachements AAD-10 geleitete ab Montag die fünf verbliebenen Schweizer Botschaftsmitarbeiterinnen und -Mitarbeiter aus Kiew und aus dem Kriegsland Ukraine. Eine Nacht verbrachten sie unterwegs, zum Teil mit Schneefall. Am Dienstagabend konnte das Schweizer Aussendepartement EDA erleichtert melden: Sein ganzes Korps aus Kiew ist nun ausser Landes und in Sicherheit.
Es war für das AAD-10 der zweite erfolgreiche Ernsteinsatz innerhalb weniger Monate. Im vergangenen August bereits waren sechs der Spezialsoldaten aus dem Tessin an der Evakuierung auf dem Kabuler Flughafen beteiligt, nachdem die Taliban die Macht übernommen hatten. Die «Krisenzelle Afghanistan» des Bundes führte im Hochsommer 2021 387 Menschen von dort in die Schweiz zurück. (Lesen Sie hier die Details über die dramatische Aktion.)
Aktionen scheiterten, bevor sie begannen
Zwei solche Operationen in einem halben Jahr – für das AAD-10 sind dies aussergewöhnlich viele. Zuvor war die Schweizer Politik vor einem Einsatz der Sondertruppe wiederholt zurückgeschreckt.
Die letzte bekannte Mission, die vor dem Start am politischen Widerstand scheiterte, betraf ebenfalls Afghanistan: 2020 wollte der Bundesrat die Vertretung der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit in Kabul durch schweizerische Spezialkräfte schützen zu lassen. Doch diese Pläne wurden verworfen, nachdem sie diese Zeitung publik gemacht hatte und sich Parlamentarierinnen und Parlamentarier dagegen ausgesprochen hatten. Stattdessen kam eine finnische Söldnerfirma zum Zug.
Vor wenigen Jahren wurde noch über die Abschaffung der Sondertruppe diskutiert.
Der abgeblasene Afghanistaneinsatz reihte sich ein in weitere nicht verwirklichte Aktionen: So wurden 2009 geheime Pläne zur Befreiung des Schweizer Geschäftsmanns Max Göldi durch das AAD-10 aus libyscher Geiselhaft nicht umgesetzt. Im selben Jahr scheiterte auch ein Prestigeprojekt der damaligen Aussenministerin Micheline Calmy-Rey: Das Parlament durchkreuzte die Absicht der Bundesrätin, Schweizer Spezialsoldaten gegen somalische Piraten einzusetzen.
Bei der Truppe selber, stationiert in Isone am Monte Ceneri, machte sich Frust breit. AAD-10-Angehörige hinterfragten ihre berufliche Existenzberechtigung. Doch nicht nur sie: Auch in Berner Sicherheitskreisen wurde, wenn auch nicht offen, über die Abschaffung der Sondertruppe diskutiert.
Jean-Philippe Gaudin, Direktor des Nachrichtendienstes, erbarmte sich und liess sich auf einer Afrika-Dienstreise von Spezialsoldaten schützen. Doch dies trug ihm, weil nicht vorgesehen, einen Rüffel des Bundesrats ein. Gaudin ist vergangenes Jahr zurückgetreten.
Die Evakuierungsaktionen in Kabul und Kiew müssen sich für das AAD-10 nun fast wie ein Dauereinsatz anfühlen. Gleich zweimal konnten die Angehörigen im Ernsteinsatz ihre Kernkompetenzen beweisen: Dazu gehören nämlich, so der Wortlaut des Bundes, die «Rückführung von Schweizer Bürgern aus Krisenlagen im Ausland» und der «Schutz von Truppen, Personen und Einrichtungen in Krisenlagen».
Stolz bedankte sich Armeechef Thomas Süssli auf Twitter nach Kabul bei der Truppe, mit der er gleich auch noch posierte.
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Obwohl die Soldaten vermummt waren, wurde kritisiert, der Schnappschuss gefährde künftige Einsätze. Etwas unter ging in der kurzen öffentlichen Aufregung, dass auch international führende Sondereinsatzkräfte bisweilen so mit ihren politischen oder militärischen Chefs auftreten dürfen – zur Förderung der Moral.
Meist wird dem AAD-10 allerdings vorgeworfen, er sei eine Geheimtruppe. Zwar werden die Profis am Monte Ceneri so oft von Parlamentskontrolleuren besucht wie kaum eine andere Armeeeinheit. Zum geheimnisumwitterten Image des Trupps trägt aber bei, dass über Einsätze nie Details kommuniziert werden und meist nur wenige Sätze – wenn überhaupt.
Zwar muss der Bundesrat jede Mission des Kommandos Spezialkräfte (KSK), zu dem das AAD-10 gehört, gutheissen. Aber die Missionen sind und bleiben klassifiziert. Zu einzelnen wird gar nichts verlautbart – so zu einer Bewachung eines prominenten Politikers, der kürzlich massiv bedroht worden war. Die zuständige Polizei hatte um Unterstützung gebeten, weil sie den Rund-um-die-Uhr-Schutz über die Festtage nicht gewährleisten konnte. Das KSK sprang ein.
Keine Ungeimpften in Kiew
So geheim die einzelnen Einsätze sind, so offen sind die Anforderungen für einen Eintritt in das AAD-10. Die sportlichen Vorgaben sind schweisstreibend: zum Beispiel 50 Liegestütze in zwei Minuten oder ein 25-Kilometer-Eilmarsch mit 25 Kilo Packung in dreieinhalb Stunden. Eine gute körperliche Leistung reicht aber nicht, um zur 18-monatigen Ausbildung zugelassen zu werden. Geistige Faktoren sind ebenso wichtig. Jährlich wird nur eine Handvoll von mehreren Hundert Interessierten zugelassen.
Das AAD-10 hat einen Sollbestand von rund 90 Personen, der aber aufgrund der hohen Anforderungen dem Vernehmen nach momentan nicht erreicht wird. Zudem droht dem KSK der Verlust von fünf Angehörigen, die sich nicht gegen Corona impfen lassen wollen. Die Armeeführung möchte sie deswegen entlassen. Begründung: Sie könnten nicht mehr überall eingesetzt werden. Die Betroffenen wehren sich gegen die Kündigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Gemäss einem Kenner der Fälle steht das ungeimpfte Quintett bis zum Urteil weiter im Dienst. Doch in Kiew sei es nicht gewesen.
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