Stillgelegte Peloponnes-BahnBahndiplomatie in Griechenland: Schweiz will historische Zugstrecke wiederbeleben
Die Peloponnes-Bahn schlummert im Dornröschenschlaf. Nun will sie der Schweizer Botschafter in Griechenland wieder zum Leben erwecken. Es geht auch um wirtschaftliche Interessen.

- Die historische Peloponnes-Bahn umfasst 931 Kilometer Schmalspurstrecke mit 169 Stationsgebäuden.
- Ein ehemaliger ETH-Professor schätzt den Wert der grössten europäischen Schmalspurbahn auf zwei Milliarden Euro.
- Eine geplante Machbarkeitsstudie soll die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Bahnprojekts noch im laufenden Jahr prüfen.
- Die griechische Bevölkerung nutzt die stillgelegten Bahnhöfe weiterhin als kulturelle Treffpunkte.
Im Oktober 2024 schreitet Stefan Estermann, Schweizer Botschafter in Griechenland, eine Teilstrecke der stillgelegten Peloponnes-Bahn zwischen Argos und Korinth ab. In einem verlassenen Bahnhofsgebäude entlang der Strecke findet er ein Logbuch, das noch offen herumliegt. «Der letzte Eintrag stammte von 2011», erinnert sich Estermann. «Es fühlte sich aber so an, als sei der Vermerk erst gerade hinterlassen worden.»
An diesem Tag ist Estermann nicht allein unterwegs. Er wird begleitet von Bernd Scholl, einem emeritierten Professor der ETH Zürich und Experten für Raumentwicklung. Beide Männer sind auf einer speziellen Mission unterwegs: Sie wollen mithelfen, die historische Bahn im Süden Griechenlands wieder in Betrieb zu nehmen. Dazu machen sie sich erst einmal ein Bild vor Ort.
Um die Bedeutung der Bahn für Griechenland zu verstehen, verweist der Botschafter auf die Infrastruktur: Das Streckennetz ist mehr oder weniger in gutem Zustand und umfasst 931 Kilometer mit 169 Stationsgebäuden. Es handelt sich um die grösste Schmalspurbahn, die in Europa gebaut wurde. Den Wert schätzt ETH-Professor Scholl auf bis zu 2 Milliarden Euro.
Liesse sich die Bahn wiederbeleben, so würde dies dem Tourismus auf dem Peloponnes helfen. «Wir sprechen von einer reichen Kulturlandschaft mit bedeutenden Städten wie Nafplio, der ersten Hauptstadt Griechenlands nach der Unabhängigkeit, mit archäologischen Ausgrabungen wie Olympia, wo die Olympischen Spiele herkommen, und Anbaugebieten für Olivenöl, Wein, Orangen und Honig», sagt Estermann.
Die Bahn sieht er deshalb als eine «Klammer, welche diese einzelnen Elemente miteinander verbindet». Zudem könnte die Region ihre Abhängigkeit von den touristischen Saisons verringern und die Gäste übers ganze Jahr hindurch zu ihren Sehenswürdigkeiten bringen.
Im Jahr 2023 verbrachten über 560’100 Schweizerinnen und Schweizer ihre Ferien in Griechenland, was etwa 20’000 Ankünfte mehr als im bisherigen Rekordjahr 2019 bedeutet. Diese Zahl liegt über dem Durchschnitt der vergangenen Jahre, in denen jährlich etwa 500’000 Schweizer Touristen Griechenland besuchten.
Ziel ist es, noch in diesem Jahr eine Machbarkeitsstudie durchzuführen. Sie soll aufzeigen, inwiefern die Bahn nachhaltig und wirtschaftlich tragbar betrieben werden kann. Für die Kosten von weniger als einer Million Euro sollen Investoren aus Griechenland und die Europäische Union aufkommen. Mögliche Geldgeber sind der griechische Staat, die staatliche Bahninfrastrukturgesellschaft OSE oder Private.

«Ich sehe meine Rolle als Botschafter vor allem darin, Türen zu öffnen und Kontakte zu vermitteln», sagt Estermann. Als Schweizer bringe er eine gewisse Glaubwürdigkeit mit: «Wir wachsen mit der Eisenbahn auf; sie ist Teil unseres Alltags.»
Natürlich hängen damit auch wirtschaftliche Interessen zusammen: Die Schweiz verfügt über eine wettbewerbsfähige Eisenbahnindustrie, die sich um Aufträge für eine wiederbelebte Peloponnes-Bahn bewerben kann.
Erste Erfolge kann Estermann mit seiner «Bahndiplomatie» bereits verbuchen: Mit den Behörden gibt es eine Absichtserklärung, wonach Griechenland den Wert der Peloponnes-Bahn anerkennt. Der Staat sagt unverbindlich zu, eine Wiederinbetriebnahme nicht zu behindern. Er verpflichtet sich beispielsweise, keine Autostrassen oder Velowege auf der Schmalspurstrecke zu bauen.
Darüber hinaus lud Estermann den Direktor der Rhätischen Bahn nach Athen ein, der vor Unterstützern die Albulalinie und Berninabahn als Vorbild für das Projekt in Griechenland erläuterte.
Zwei Zufälle bringen Estermann dazu, sich für die Bahn einzusetzen. Das erste Wochenende nach seiner Ankunft als Botschafter habe er mit seiner Familie auf dem Peloponnes verbracht. Neben den Stränden, Bergdörfern und der malerischen Landschaft habe er Spuren der alten Strecke entdeckt. Vor allem die verlassenen Gebäude hätten seine Neugier geweckt, sagt der 57-Jährige.
Griechische NGO bittet Botschafter um Hilfe
Dann meldet sich kurze Zeit später die Gesellschaft für Umwelt und Kulturerbe (Ellet) bei ihm. Die griechische Nichtregierungsorganisation bittet darum, sie bei der Wiederbelebung der Peloponnes-Bahn zu unterstützen.
«Ich habe sofort gewusst: Da musst du nicht nur als Schweizer Botschafter mithelfen, sondern auch als Botschafter einer Eisenbahnnation», sagt Estermann.
Ellet verweist auf die lange Tradition der Schweiz, Griechenland zu unterstützen. Präsidentin Lydia Carras erwähnt den Banker Jean-Gabriel Eynard, der im 19. Jahrhundert die griechische Unabhängigkeitsbewegung förderte. Laut Carras ist es «wirtschaftlich inakzeptabel», eine milliardenschwere nationale Infrastruktur «in einem veralteten Zustand zu belassen».
Eine Bahn mit bewegter Geschichte
Die Peloponnes-Bahn hat eine bewegte Geschichte hinter sich: Sie wird von 1882 bis 1887 von französischen Ingenieuren erbaut, um die Industrialisierung in der Region voranzutreiben.
Hier gibt es Parallelen zur Schweiz. Auch bei uns war die Bahn ein Motor des Fortschritts. Aus Kostengründen wird eine Schmalspurstrecke gezogen. Verschiedene Gesellschaften konkurrieren miteinander.
Mit dem Zweiten Weltkrieg ändert sich jedoch alles. Die Achsenmächte, welche Griechenland besetzen, zerstören die Peloponnes-Bahn. Die Militärdiktatur von 1967 bis 1974 will die Bahn vollständig tilgen, da diese Technologie aus Sicht der Obristen der Vergangenheit angehört.
Das endgültige Aus kommt mit der Finanzkrise. Das Geld fehlt; der Betrieb wird 2011 vollständig eingestellt.

Für die Bevölkerung ist das ein Schock: «Bei meinen Reisen habe ich gemerkt, wie sehr die Bewohner emotional noch an der alten Bahn hängen», sagt Estermann. Das zeige sich daran, dass die leer stehenden Bahnhöfe nach wie vor als Treffpunkte genutzt würden. «Es gibt Konzerte mit den Perrons als Bühne. Oder aber die Leute trinken zusammen einen Kaffee», so der Botschafter.
Die Unterstützung aus der Politik ist deshalb gross. «Der Gouverneur des Peloponnes und die Bürgermeister von Nafplio und Argos haben sich öffentlich zum Projekt bekannt», sagt Estermann. Die Behörden der Stadt Kalamata weibeln dafür, an die Strecke angeschlossen zu werden.
Nur aus der Hauptstadt Athen seien die Reaktionen noch zurückhaltend. «Das will aber nichts heissen», sagt Estermann. «Wenn in Griechenland eine Idee mal auf fruchtbaren Boden fällt, kann es sehr schnell gehen.» Die Griechen seien «ausgezeichnete Baumeister».
Am meisten bedeuten dem Botschafter aber Nachrichten von wildfremden Menschen: «Die Leute schreiben mir spontan und bedanken sich für meinen Einsatz. Das berührt mich ungemein.»
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