Erste PressekonferenzSchutz für Frauen und Opposition – Die Taliban inszenieren sich als grosse Versöhner
Die Radikal-Islamisten-Miliz versucht bei ihrem öffentlichen Auftritt nach dem Fall von Kabul, die Weltgemeinschaft und ihre Gegner im Land zu beruhigen. Das dürfte Kalkül sein.
Entweder haben die Taliban sich gewandelt oder sie haben schlicht jede Menge Kreide gefressen: Die militanten Islamisten wollten die Macht in Afghanistan teilen, versprach der Sprecher der Bewegung bei der ersten Pressekonferenz nach der Einnahme von Kabul. Man werde auch andere politische Kräfte an der Macht in Afghanistan teilhaben lassen, sagte Sprecher Sabihullah Mudschahid. «Wenn die Regierung gebildet ist, wird jeder einen Teil daran haben.»
Besonderes Aufsehen erregte auch der Taliban-Sprecher selbst: Über Jahre hinweg war Sabihullah Mudschahid für die internationalen Medien eine Stimme am Telefon gewesen, mehr nicht. Nun sass er leibhaftig in Kabul und sprach in die Mikrofone, als offizielle Stimme und als Gesicht der für ihre Brutalität und ihr drakonisches Scharia-Regime gefürchteten Taliban.
Wird Baradar Regierungschef?
Die Islamisten gaben sich, soweit man Sabiullah Mudschahid Glauben schenken möchte, allerdings ungewohnt versöhnlich und kompromissbereit. Sie wollten den Frauen Rechte gewähren, sie arbeiten lassen und eventuell sogar in Regierungsämtern akzeptieren. Allerdings, wie der Sprecher sofort einschränkte, nur im Rahmen der islamischen Scharia-Gesetze.
Er kündigte an, man wolle gemeinsam mit anderen Gruppen im Land «eine islamische Regierung» aufbauen. Taliban-Vizechef Mullah Abdul Ghani Baradar, der als politischer Kopf der Islamisten-Bewegung gilt, war am Dienstag bereits in der Taliban-Hochburg Kandahar im Süden des Landes eingetroffen. Er hatte bisher in Doha im Golfstaat Katar mit den USA verhandelt.
Beobachter vermuten, dass Baradar ein Amt übernehmen könnte, das dem eines Regierungschefs entspricht. Auch andere hohe Taliban-Vertreter kehrten zurück aus dem Exil. Noch nicht öffentlich aufgetaucht ist hingegen der oberste Führer der Islamisten, der «Führer aller Gläubigen», Hibatullah Achundsada.
Der Auftritt des Taliban-Sprechers bei der Pressekonferenz in Kabul verstärkte den Eindruck, dass die Islamisten fürs Erste gut Wetter machen. Wahrscheinlich aber nur, um die Weltgemeinschaft nach ihrem überraschenden Sieg zu beruhigen und die Milliarden an internationalen Hilfsgeldern nicht zu riskieren. Zudem müssen die radikalen Islamisten sehr vorsichtig sein. Sie dürfen ihre geschlagenen afghanischen Gegner nicht zum erneuten militärischen Widerstand reizen und so die Gefahr eines neuen Bürgerkriegs riskieren.
Den Kriegsgegnern und den Anhängern der gestürzten Kabuler Regierung versicherte der Vertreter der Islamisten-Miliz wohl auch deshalb, man werde keine Rache nehmen. Im Gegenteil: Es werde eine umfassende Amnestie für die Opposition geben. Diese Begnadigung werde auch diejenigen umfassen, die für die ausländischen Truppen gearbeitet haben, also die ehemaligen Übersetzer, Assistenten und Scouts der Nato.
Die Taliban müssen befürchten, dass ausländische Regierungen Hilfsgelder streichen.
Ob ernst gemeint oder nicht: Dies scheint vor allem der Beruhigung der internationalen Gemeinschaft zu dienen. Die akute Bedrohung der ehemaligen Mitarbeiter der Nato-Streitkräfte wird in den USA und in Europa erbittert debattiert. Den Regierungen der Nato-Staaten, auch der deutschen, wird von der eigenen Öffentlichkeit vorgeworfen, ihre afghanischen Mitarbeiter trotz des sich vor dem Hintergrund des US-Abzugs abzeichnenden Taliban-Siegs schmählich im Stich gelassen und der Rache der Islamisten ausgeliefert zu haben. Die Taliban müssen befürchten, dass diese Regierungen alle Hilfsgelder streichen.
Die Taliban hatten die Armeeübersetzer stets als «Verräter» mit dem Tod bedroht. Auch die afghanischen Regierungssoldaten und Polizisten galten als todeswürdige Verräter. Nun erklärte der Sprecher aber, man werde alle Soldaten begnadigen, die in den vergangenen Jahren gegen die Taliban gekämpft haben.
Mudschahid versicherte, dass die Sicherheit der ausländischen Botschaften gewährleistet sei. Niemandem würde in Afghanistan etwas passieren. Selbst die von ihnen ungeliebten Journalisten wurden hofiert: Medien sollten sich keine Sorgen machen. Sie müssten nur unparteiisch bleiben und ihre Berichte dürften, wie er einschränkte, «islamischen Werten» nicht widersprechen.
Nach ihrem rasanten Eroberungszug und der Flucht des gewählten Präsidenten Ashraf Ghani hatten die Taliban am Sonntag faktisch die Macht übernommen. Viele Afghanen befürchten nun eine Rückkehr der Schreckensherrschaft der Islamisten der 90er-Jahre, während der etwa Frauen vom öffentlichen Leben ausgeschlossen waren und die Vorstellungen der Islamisten mit barbarischen Körperstrafen durchgesetzt wurden.
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