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Militärischer Auslandeinsatz
Afghanistan – wie die Schweiz ohne blaues Auge davonkam

Beat Spycher (links) war einer von zwei Schweizer Offizieren, die 2003 bei der Isaf-Truppe in Afghanistan im Einsatz standen. Der Major war damals Operationsoffizier in Kabul. 
Foto: Keystone
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Der Afghanistan-Einsatz der USA und ihrer Alliierten führte in den Nullerjahren in der Schweiz zu innenpolitischen Kontroversen. Von Februar 2004 bis Anfang März 2008 schickte die Schweizer Armee jeweils zwischen zwei und vier Stabsoffiziere nach Afghanistan. Aussen- und Verteidigungsdepartement diskutierten abseits der Öffentlichkeit und auf Empfehlung einer ausserparlamentarischen Begleitkommission daraufhin sogar einen Ausbau des Afghanistan-Engagements. Die Rede war von zusätzlich 20 bis 30 Armeeangehörigen. Doch im November 2007 zog der damalige Verteidigungsminister und Berner Bundesrat Samuel Schmid (SVP) im Alleingang die Reissleine. Er verhinderte damit nicht nur den Aufbau eines Schweizer Armeekontingents in Afghanistan, das mit der deutschen Bundeswehr operieren sollte, er beorderte gleich auch die wenigen Schweizer Stabsoffiziere aus Kabul zurück. Dies verärgerte vorübergehend die USA, doch die neutrale Schweiz hatte fortan mit der internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe Isaf nichts mehr am Hut.

Schmid begründete damals seinen Entscheid mit der veränderten Lage in Afghanistan «und der Natur des Einsatzes der International Security and Assistance Force (Isaf) in Afghanistan seit der Beschlussfassung vor vier Jahren». Die friedenserhaltende Unterstützungsoperation habe sich im südlichen Teil Afghanistans schrittweise in eine Operation zur Bekämpfung von Aufständischen verwandelt. Generell liege das Schwergewicht der Isaf zunehmend beim Aufbau der afghanischen Armee. Daran sollte sich die Schweizer Armee aus Sicht Schmids aber nicht beteiligen.

Mehrere Akteure spielten beim Entscheid des Verteidigungsministers direkt und indirekt eine Rolle. Zu den politischen Fronten gegen einen Armeeeinsatz in Afghanistan gehörten die Grünen im Nationalrat, die mit der pazifistischen Minderheit der SP zusammenarbeiteten, sowie die SVP mit der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) im Hintergrund. Akteure waren auch Strategie-Professor Albert A. Stahel und der damalige GSoA-Vordenker und Grünen-Nationalrat Josef (Jo) Lang.

Zwischen Hammer und Amboss

Exponenten für ein stärkeres Engagement der Schweizer Armee in Afghanistan waren etwa die Ständeräte Thomas Maissen (CVP) und Hermann Bürgi (SVP) sowie im Nationalrat Barbara Haering (SP) und Edi Engelberger (FDP).

Doch weshalb genau zog sich die Schweiz von ihrem militärischen Afghanistan-Engagement zurück? Josef Lang, Mitgründer der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) und Nationalrat der Grünen (2003–2011) erinnert heute an Dokumente, die 2010 auf der Enthüllungsplattform Wikileaks auftauchten. Diese zeigten, dass die Schweiz unter starkem Druck der USA und der Nato gestanden habe. Der Bundesrat sei zwischen Hammer und Amboss geraten. Den Hammer bildeten dabei die Nato via Partnership for Peace, zu der die Schweiz gehört, eine starke mediale Vertretung (NZZ und Ringier), in der sich die ausserparlamentarische Begleitgruppe (PSO) artikulieren konnte, und die Abordnung der Sicherheitspolitischen Kommission im Nato-Parlament. Den Amboss bildeten SVP und Grüne, beide erwähnt in den Wikileaks-Dokumenten, sowie die GSoA. Die Wikileaks-Dokumente zeigten auch, wie erzürnt die USA waren, nachdem Schmid zum Rückzug aus Afghanistan geblasen hatte.

Neutralität als Label

Für Strategieprofessor Albert A. Stahel ist heute klar, weshalb die USA stark an einem Beitrag der Schweizer Armee in Afghanistan interessiert waren, auch wenn diese keine grosse Kampfkraft versprach. «Es macht sich immer gut», sagt Stahel, «die zuverlässige, neutrale Schweiz dabeizuhaben, so quasi als Markenzeichen.» In der Schweiz habe es demgegenüber eine «US-hörige Nomenklatura in Armee und Politik gegeben, die sich mit einem Afghanistan-Einsatz profilieren wollte».

Afghanistan-Experte Stahel und Lang sind sich heute einig: Humanitäre Militärinterventionen dürften mit dem Desaster in Afghanistan ein Ende nehmen. Stahel meint sogar: «Nur Idioten würden einen solchen Blödsinn wiederholen.» Und Lang sagt, die Tatsache, dass die Intervention in Afghanistan die Taliban stärker gemacht habe, als sie je waren, dürfte für lange Zeit das Ende des Militärinterventionismus bedeuten.

Lang fordert aufgrund der negativen Erfahrungen in Afghanistan eine Anpassung des Militärgesetzes. Die Beteiligung der Schweizer Armee an Nato-Operationen müsse gesetzlich verhindert werden. «Da die Nato ein Sonderbund ist, verletzt das Mitmachen die Neutralität», sagt Lang. Erlaubt werden sollte lediglich noch die Teilnahme an UNO-Missionen.

Lang ist froh, mit Vorstössen und politischen Absprachen über Parteigrenzen hinweg Druck aufgebaut zu haben, um so den Einsatz eines Schweizer Armee-Detachements in Kundus bei der deutschen Bundeswehr zu verhindern. «Hätten wir dies nicht geschafft, hätte für die Schweizer Militärs nach dem von den Deutschen veranlassten Luftangriff mit über hundert Toten vom September 2009 gegolten: mitgegangen – mitgehangen.»