Analyse des Besuchs bei Xi JinpingScholz’ Zeitenwende gegenüber China lässt auf sich warten
Die neue deutsche China-Strategie versprach, Abhängigkeiten und Sicherheitsrisiken zu verringern. In Wahrheit ähnelt Olaf Scholz’ Politik wieder derjenigen von Angela Merkel.
Drei Tage, drei Städte, drei deutsche Minister und ein Dutzend Wirtschaftsführer im Tross, Fabrikbesuche, etwas Tourismus – und zum Schluss ein drei Stunden und zwanzig Minuten langes Gespräch mit Quasi-Alleinherrscher Xi Jinping: Olaf Scholz’ Besuch in China fiel üppig aus. Fast wie zu Angela Merkels Zeiten.
Aus diplomatischer Sicht war die Gelegenheit günstig: Der Kanzler konnte von Chinas Präsident direkt erfahren, wie dieser die Lage in Nahost sieht, wenige Tage nach dem Angriff des Iran auf Israel. Zudem wollte Scholz Xi dazu gewinnen, «Wege zu einem gerechten Frieden in der Ukraine» auszuloten. Von «Entspannung» sprach auch Xi, meinte dabei aber keinesfalls dasselbe wie sein Gast. China behauptet, im Krieg in der Ukraine «keine Partei» zu sein, ist in Wahrheit aber der mächtigste Verbündete Russlands.
Was die wirtschaftliche Zusammenarbeit angeht, drängte der Deutsche hinter den Kulissen auf bessere Wettbewerbsbedingungen für europäische Unternehmen in China und rügte die Dumpingpraktiken chinesischer Staatskonzerne. Ansonsten aber pflegte Scholz die Partnerschaft der beiden Länder, wie wenn es die Debatten um den Abbau von Risiken im beiderseitigen Verhältnis, das sogenannte De-Risking, nie gegeben hätte. China war auch 2023 Deutschlands wichtigster Handelspartner.
Deutschlands Umdenken im Umgang mit China
Nach Russlands Überfall auf die Ukraine 2022 hatte Scholz nicht nur im Verhältnis zu Moskau eine Zeitenwende ausgerufen, sondern auch zu China, von dem Deutschland abhängiger ist, als es dies von Russland jemals war. Sollte China Taiwan angreifen und Deutschland danach die Handelsbeziehungen kappen, würde das die drittgrösste Volkswirtschaft der Welt jedenfalls in eine beispiellose Krise stürzen.
Die deutsche Regierung, angetrieben von den Grünen Robert Habeck und Annalena Baerbock, entwickelte deswegen im vergangenen Jahr eine neue Strategie, die der wachsenden Gefahr durch ein nach aussen aggressiveres und nach innen zunehmend totalitäres China stärker Rechnung trug. Im Einklang mit Paris und Brüssel versprach Berlin, einseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten und Sicherheitsrisiken zu verringern, ohne sich von Peking ganz abzukoppeln: De-Risking statt De-Coupling hiess die Losung.
Mit dem Risikoabbau, so eine erste Bilanz, ist Deutschland allerdings noch nicht weit gekommen. Es gibt zwar Mittelständler, die ihre Präsenz in China reduzieren, und Konzerne, die ihre Lieferketten diversifizieren. Der deutsche Staat wiederum sucht in anderen Ländern nach seltenen Rohstoffen und holt mit Milliardensubventionen einen Teil der kritischen Halbleiterindustrie zurück nach Deutschland.
Die deutschen Investitionen waren noch nie so gross
Doch im Ganzen ist die Entwicklung paradox: Entgegen dem weltweiten Trend haben deutsche Grosskonzerne wie BASF, Siemens, VW oder Bosch 2023 mehr in China investiert denn jemals zuvor: fast 12 Milliarden Euro. Die Mahnungen der Politik schlägt die deutsche Industrie mehrheitlich in den Wind. Sie baut ihr lukratives Geschäft in China aus, statt das Land zu verlassen. De-Risking heisse für Mercedes, sagte dessen Chef Ola Källenius gerade, mehr in China zu investieren, nicht weniger.
Deutschlands Kanzler wiederum kämpft nicht nur gegen die aktuelle Rezession in seinem Land, sondern auch um den künftigen Wohlstand, der weiter stark von Exporten abhängen wird. China wiederum, dessen Wirtschaft ebenfalls schwächelt, wirbt ganz besonders um die Zusammenarbeit mit Deutschland und lobt Scholz für dessen «Pragmatismus» – ganz im Gegensatz zu den «protektionistischen» Amerikanern.
Dem Machthaber in Peking gefiel gewiss auch, dass der Kanzler letzte Woche einen Kanal auf der chinesischen Social-Media-Plattform Tiktok eröffnet hatte, obwohl viele vor deren Einfluss warnen. Hingegen schrecken die Schweiz wie auch Deutschland immer noch davor zurück, den chinesischen Ausrüster Huawei vom Ausbau der kritischen Telekommunikationsinfrastruktur auszuschliessen. Die Summe von kleinen und grossen Widersprüchen drängt eine Frage auf: War Scholz’ Zeitenwende im Verhältnis zu China überhaupt ernst gemeint?
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