Abfahrt in KvitfjellSie wollte nur noch ohnmächtig sein – jetzt jubelt sie von zuoberst
Kajsa Lie feiert vor Heimpublikum ihren ersten Weltcupsieg. Dabei liegt ihr fürchterlicher Sturz noch nicht weit zurück.
Es sind die Schmerzensschreie aus Val di Fassa, die fest mit dem Namen Kajsa Vickhoff Lie verbunden sind. An diesem Samstag Anfang März 2023 könnte die Gemütslage bei der 24-Jährigen anders nicht sein. Sie lächelt, schlägt die Arme über dem Kopf zusammen, beugt sich nach vorn, vergräbt das Gesicht in den Händen – während die norwegischen Fähnchen in ihrem Rücken hin und her schwenken.
Fahrerin um Fahrerin scheitert an Lies Zeit, bis ihr erster Weltcupsieg feststeht. Sie hat sich dafür das Heimrennen von Kvitfjell ausgesucht, den Hang, auf dem normalerweise die Männer fahren, den sie dennoch so gut kennt aus den Trainings – wie alle ihre Teamkolleginnen. Lie nützt den Vorteil und sorgt damit schon fast für eine kitschige Geschichte: Es ist der allererste Abfahrtssieg einer Norwegerin überhaupt – und das in der Heimat. Von den aktiven Nordländerinnen standen erst Ragnhild Mowinckel und Lie selbst je einmal auf einem Podest in dieser Disziplin. Und nun also steht sie erstmals zuoberst.
Lie verweist Sofia Goggia auf Rang 2 und Corinne Suter auf den 3. Platz. Die italienische Speed-Queen ist dennoch in Feierlaune. Vier Finger streckt Goggia in die Kamera, zum vierten Mal sichert sich die Alles-oder-nichts-Fahrerin aus Bergamo die kleine Kugel als schnellste Abfahrerin des Winters, zum dritten Mal in Serie. Der vierte Streich gelingt ihr damit noch vor dem letzten Rennen beim Weltcupfinal im andorranischen Soldeu. Selbst die Gesamtweltcupsiegerin steht bereits fest. Dank ihres 5. Rangs holt sich Mikaela Shiffrin zum fünften Mal in ihrer Karriere die grosse Kugel.
Die Skibindung öffnet sich nicht, es ist fatal
Für einmal strahlen auf dem Podest andere. Am meisten Lie. Es ist alles andere als selbstverständlich. Im Februar 2021 stürzt die Norwegerin beim Super-G in Val di Fassa fürchterlich. Ihre Skibindung geht nicht auf, es verdreht ihr das Knie, Schien- und Wadenbein brechen – die Schreie hallen durchs ganze Tal. Es sei ihr vorgekommen, als wären zwei Stunden vergangen, bis sie Hilfe bekommen habe, sagt Lie Monate danach dem norwegischen Fernsehen. Die Schmerzen seien schier unerträglich gewesen, «ich hätte mir gewünscht, ohnmächtig zu sein, weil es so wehtat». Lie verpasst den ganzen Winter 2021/22 – und das, nachdem sie vor dem Sturz gerade den Anschluss an die Weltspitze geschafft hat. 10, 2, 4, 6 und 5, das sind ihre Resultate vor dem verhängnisvollen Abflug.
Erst auf diese Saison hin kehrt Lie zurück. Sie tut das zaghaft, der 2. Abfahrtsrang von Cortina d’Ampezzo steht als einsamer Höhepunkt da – bis die WM in Méribel kommt, die Bronzemedaille im Super-G. Und nun Kvitfjell, das ein Märchen bereithält für sie. Am Sonntag steht zum Abschluss der Premiere der Frauen im hohen Norden ein Super-G auf dem Programm.
Mit einem guten Gefühl wird dann auch Corinne Suter starten. Sie steht in diesem Winter zum vierten Mal auf einem Abfahrtspodest. Auch die Schwyzerin kämpfte jüngst mit den Folgen eines Unfalls. Beim Sturz Ende Januar in Cortina d’Ampezzo erlitt sie eine leichte Hirnerschütterung, verbrachte Tage im abgedunkelten Zimmer und ohne Handy: Mit WM-Bronze kehrte sie zurück. Nun schafft sie es zum ersten Mal seit dem 3. Rang von St. Moritz Mitte Dezember auch im Weltcup wieder unter die Top 3.
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