Kolumne «Miniaturen des Alltags»Schadenfreude frei Haus geliefert
Was ein Radarkasten vor der Tür auslöst: einen tiefen Einblick in sich selbst.
Der Mensch hat auch fiese Seiten. Die schöngefärbteste darunter ist die Schadenfreude. Sie wandelt den Ärger gegen sich ins Gegenteil um, wenn es anderen passiert. Zum Beispiel: Radarkasten. Der Tag ist versaut, wird man auf der Strasse geblitzt. Erwischt es den, der einen gerade überholt hat, erfüllt Genugtuung die Seele.
Kürzlich wurde mir ein solcher polizeilicher «Standfotograf» vor die Haustür gestellt. Endlich werden alle, die hier zu schnell vorbeifahren und uns mit lautem Motorlärm nerven, erwischt. Erwartungsfroh mache ich es mir mit Blick auf die Strasse gemütlich. Emil Steinberger mit seinem Sketch «Am Fenster» lässt grüssen. Jeder Blitz wird mit Grinsen quittiert. Schon wenn einer von unten um die Ecke kommt, schätze ich ab, ob die Falle zuschnappen würde. «Yes, wieder einer.»
Die meisten fahren brav vorbei, der Kasten bleibt dunkel. Vielleicht ist die Chance grösser bei denen, die von oben die Strasse runterfahren. Nur haben die zu gute Sicht auf den grauen Radarklotz, die wenigsten tappen in die Tempofalle. Immerhin zeugen hell aufleuchtende Bremslichter davon, dass sie reagieren mussten.
Ich spüre, dass Schadenfreude stark mit Vorurteilen verknüpft ist. Ein BMW: Da muss es blitzen. Wieso hat es nicht? Audi? Jetzt aber. Bei einem Porsche denke ich: Die haben es nicht nötig, mit dem rechten Fuss etwas beweisen zu müssen. Richtig. Da, ein Blitz: Was, ein Volvo zu schnell? Mein Weltbild wankt.
Nach zehn Tagen ist der Spuk vorbei. Der Kasten blitzte immer seltener, weil sich sein Standort offenbar herumgesprochen hatte, und wird abtransportiert. Was bleibt, ist die Kehrseite der Schadenfreude. Wenn es mich das nächste Mal erwischt, ist der Ärger noch viel grösser als zuvor. Weil ich weiss, dass irgendwo jemand schadenfroh grinst.
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