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Mamablog: Von Paar zu Paar
Sch… Schutzmauern

Schützengräben statt Intimität: Und eine Annäherung scheint unmöglich.
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«Wir haben diesen Adventskalender für Paare gekauft, damit wir uns jeden Abend Paarzeit reservieren und ein tiefgründiges Gespräch führen können. Wir fanden es beide eine gute Idee, denn wir haben es bei all dem Trubel gerade sehr nötig. Wir haben also vereinbart, jeden Abend um 20 Uhr hinzusitzen und die gestellte Aufgabe zu besprechen. Aber dann kam nichts. Ich war stumm und er verschlossen. No way! Er hat mich einfach nur genervt, ich hatte keine Lust mich zu öffnen, obwohl es doch meine Idee war.»

Was ist passiert? Und warum berichten Paare regelmässig von diesem Effekt in der Therapie? Sie wollen sich näher kommen, wollen etwas für die Beziehung tun und doch klappt es nicht, sich aufeinander einzulassen? Was macht es so schwierig, beziehungsstiftende Rituale in den Alltag einzubauen, obwohl man es möchte?

Wenn der Vermeidungsmodus die Führung übernimmt

Eine mögliche Erklärung dafür möchte ich heute liefern, allerdings können die Gründe, die dazu führen, mannigfaltig sein. In der Psychologie unterscheidet man zwei verschiedene Modi, die uns leiten: den Annäherungsmodus (auch Positive Emotional Attractor genannt) und den Vermeidungsmodus (auch Negative Emotional Attractor genannt). Im ersten ist man offen, zugewandt und hat Lust auf Neues. Im zweiten ist man in der Defensive, die (emotionale) Zugbrücke ist hochgeklappt und man trägt Scheuklappen. Ist im Annäherungsmodus die entspannte Neugier am Werk, denkt man im Vermeidungsmodus stereotyp und viereckig.

Im Normalfall wechseln sich die beiden Modi in ihrer Aktivierung ab. Angestrebt wird, möglichst viel und lange im Annäherungsmodus bleiben zu können. Das fühlt sich nämlich nicht nur besser an, sondern ermöglicht uns auch befriedigendere und beglückendere Lebens- und Beziehungserfahrungen. Der Vermeidungsmodus ist grundsätzlich schnell und leicht aktivierbar; unter hoher Spannung oder bei tiefer Energie reagiert er allerdings noch schneller und bleibt hartnäckiger bestehen. Also genau dann, wenn die Paarbeziehung eine gute Beziehungserfahrung am dringendsten nötig hätte, steht womöglich der aktivierte Vermeidungsmodus im Weg!

Alltagsstress begünstigt die Aktivierung des negativen Emotionsmodus zusätzlich. Der Stress macht unsere Beziehungsschotten dicht, wir verbringen weniger Zeit miteinander, die Kommunikation wird ganz allgemein schlechter und weniger, wir leiden häufiger unter psychischen und somatischen Problemen wie schlechtem Schlaf, mieser Stimmung oder erhöhter Reizbarkeit – und on top können wir alte, unerledigte Geschichten im Vermeidungsmodus weniger gut ausblenden und werfen diese auch noch aufs partnerschaftliche (Minen)-Feld! (vgl. Modell Alltagsstress nach Guy Bodenmann, 2018). Und plötzlich sitzt man wie zwei verfeindete Lager vor einem Schützengraben und weiss nicht recht, wie einem geschieht. Lasset die Spiele beginnen! – oder Merry, merry Christmas, sag ich da nur.

Ein biologisches Erbe

So problematisch und herausfordernd der Vermeidungsmodus auch sein kann, so sinnvoll ist es, dass wir ihn haben. Er hilft uns unter hohem Stress oder in gefährlichen Situationen blitzschnell – aber eben stereotyp und unreflektiert – zu reagieren. Fight! Flight! Freeze! (Kämpfen, Flüchten, Erstarren). Durch seine Aktivierung kann er innerhalb eines Sekundenbruchteils Leben retten, z.B. wenn wir noch rechtzeitig auf die Bremse treten, bevor wir den Fussgänger auf der Strasse überfahren. Aber der Vermeidungsmodus kann auch Beziehungen zu Grunde richten, weil Empathie und reflektives, differenziertes Reagieren nicht möglich ist.

Biologisch macht es Sinn, dass dieser Modus so schnell anspringt: man muss nur einmal im Annäherungsmodus an einer hübschen Blume riechen, anstatt den herannahenden Säbelzahntiger zu sehen – und schwupps war’s das mit der Schönheit der Natur. Im Zweifel springt der Vermeider also blitzschnell an, eben auch in der Beziehung: Wenn die Partnerin schon wieder die Kaffeetasse nicht abgeräumt hat, wenn das Kind laut schreit und einem davon die Ohren weh tun, wenn man die Nummer seines Steuerberaters auf dem Display sieht, wenn man noch schnell die News checkt... you name it!

Das Gemeine ist, dass der Vermeidungsmodus zwar in Lichtgeschwindigkeit anspringt, aber nur langsam abebbt und es einer bewussten Anstrengung bedarf, wenn man den Vorgang beschleunigen möchte. Der Annäherungsmodus geht zwar auch von alleine an, aber er braucht mehr Vorbereitungszeit, mehr Ruhe, mehr Entspannung. Wie eine Muschel, die sich langsam öffnet und sich durch einen falschen Reiz sofort verschliesst.

Und da sitzen sie nun, unsere zwei Liebenden, auf dem Sofa mit dem Adventskalender. Wie zwei verschlossene Austern. Schauen sich an, wollen zwar und wissen nicht, warum sie nicht können.

So kommen wir in den Annäherungsmodus

Es ist also wichtig, dem Annäherungsmodus besondere Aufmerksamkeit zu schenken und zu wissen, dass wir diesen Modus überbetonen müssen, wenn wir wollen, dass er dem Vermeidungsmodus die Stange hält. Gute Nachricht: das kann man üben! Durch bewusstes Wahrnehmen, wo man gerade steht und durch Selbstbeobachtung, welche Trigger bei uns den Vermeidungsmodus aktivieren.

Hat man seine Trigger beieinander und realisiert immer besser, wann der Vermeider anspringt (wenn man das lange beobachtet, spürt man innerlich regelrecht ein kleines «Klick», wenn der Schalter umswitcht), kann man gezielt reagieren. Begleitend macht es Sinn, als Paar zusammen zu kommen und seine Erkenntnisse auszutauschen. Dabei empfehle ich oft einen Spaziergang; das gemeinsame Gehen hilft, in den Annäherungsmodus zu kommen und es lässt auch Raum, ein paar Minuten nichts zu sagen – was auf dem Sofa schnell als trotziges oder defensives Verhalten gedeutet werden kann.

Wie so oft fängt die Arbeit also bei sich selbst an und nicht beim Verändernwollen des Partners. Wir müssen erkennen, welche Trigger unseren Vermeidungsmodus aktivieren und entweder versuchen, diese zu umgehen oder gute Strategien zu finden, damit besser umzugehen. So ist es sicherlich keine so clevere Idee, sich gerade in der stressigen und typischerweise spannungsgeladenen Endjahreszeit jeden Abend «ganz entspannte Paarzeit» zu verordnen. Das ist mit grosser Wahrscheinlichkeit zum Scheitern verurteilt und wird viel Frust auslösen. Vielversprechender wird es in stressigen Zeiten sein, sich zu überlegen, wie man seine psychologische Spannung auf einer Skala von 0 bis 10 auf unter 7 bringt, bevor man überhaupt mit der Partnerin aufs Sofa sitzt und im Zweifel erst mal etwas für sich tut. Und so kann die emotionale Zugbrücke nach und nach wieder runtergelassen werden, sodass erfüllte Begegnungen möglich werden.