Ukraine-Kundgebung in BerlinSahra Wagenknecht und Alice Schwarzer rufen zu Demo mit Konfliktpotenzial
In der deutschen Hauptstadt folgten Tausende einem Aufruf der Politikerin und der Feministin. Das Risiko, Beifall von falscher Seite zu bekommen, schreckt die beiden nicht.
In Berlin haben am Samstagnachmittag rund 13’000 Menschen bei der Grosskundgebung «Aufstand für den Frieden» der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer teil genommen. Der polizeilichen Schätzung zufolge waren damit trotz Kälte und Schneeregen mehr Protestierende am Brandenburger Tor als zuvor von den Veranstaltern angemeldet – diese hatten mit zehntausend Menschen gerechnet.
Die Polizei hat nach Angaben eines Sprechers keine Kenntnisse von rechtsextremen Teilnehmenden. Der Sprecher konnte nach Ende der Kundgebung lediglich bestätigen, dass sich Menschen aus dem rechten Spektrum unter die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemischt hätten.
Am Freitag hatten sich vielleicht fünfzig Menschen versammelt – vor ihnen das mächtige Gebäude der russischen Botschaft, links neben ihnen ein verbeulter Panzer der Armee des Landes; Aktivisten hatten den zum Jahrestag der Invasion der Ukraine herbeigeschafft. Der Jahrestag ist auch der Anlass, weshalb die Berliner Linke dort eine Mahnwache abhält. «Das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung zu unterstützen, ist zutiefst linke Politik», sagt Kultursenator Klaus Lederer und fügt hinzu: «Wer das alles nicht ausspricht, der muss sich über Beifall von rechts nicht wundern.»
Die russischen Aggressoren sind nicht der einzige Adressat seiner Rede. Die andere ist Sahra Wagenknecht, Bundestagsabgeordnete der Partei. Gemeinsam mit der Feministin Alice Schwarzer hat sie für Samstag zur Kundgebung am Brandenburger Tor aufgerufen. Bereits am 10. Februar hatten die beiden so populären wie umstrittenen Frauen ein «Manifest für Frieden» im Internet zur Abstimmung gestellt. Eine halbe Million Menschen unterzeichneten es binnen einer guten Woche, am Freitagnachmittag waren es 625'000 Unterschriften.
Rechtsextreme versuchen, Manifest und Aufruf für sich zu kapern
Wagenknecht und Schwarzer rufen darin zu einem sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine und zu Friedensverhandlungen auf. Ein Appell, der massiv kritisiert worden ist. Unter anderem, weil darin das Recht der Ukrainer auf Selbstverteidigung negierte werde. Vor allem aber wegen der Liste der Unterstützer des Manifests. Zu den Erstunterzeichnern gehören eine Reihe namhafter Künstler, Wissenschaftler und liberale Politiker. Zugleich versuchen Rechtsextreme, Manifest und Aufruf für sich zu kapern. Nicht nur AfD-Co-Chef Tino Chrupalla behauptet, den Appell unterschrieben zu haben.
Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Margot Kässmann, und der Sprecher der Deutschen Friedensgesellschaft, Jürgen Grässlin, haben das Manifest unterzeichnet. Von der Kundgebung haben sie sich in einer gemeinsamen Erklärung aber distanziert. Zu vage sei die Abgrenzung der Initiatorinnen gegenüber der Unterstützung von rechts aussen. «Jeder, der ehrlichen Herzens mit uns für Frieden demonstrieren möchte, ist willkommen», lautet Wagenknechts Replik auf diese Kritik. Die Ordner würden am Samstag aber verhindern, dass Rechtsextreme Fahnen und andere Insignien auf der Kundgebung zeigen könnten. Die Führungsspitze der AfD teilte inzwischen auf Anfrage mit, sie werde nicht an der Demonstration teilnehmen.
Manifest bringt Linke in Bredouille
Mit dem Aufruf hat Wagenknecht die Linke in die Bredouille gebracht. Die Parteiführung hatte sich schon zuvor von dem Manifest distanziert. Am Freitag erklärte auch Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linken-Fraktion im Bundestag, er werde bei der Demonstration nicht dabei sein. «Die Art und Weise, wie das organisiert worden ist, sagen wir mal so, ich hätte es anders gemacht.» In dem Manifest selbst stehe aber «sehr viel Richtiges drin». Bei allen internen Streitigkeiten – bei der Linken gebe es keinerlei Abweichung von der Position, dass eine europäische Friedensinitiative notwendig sei und nicht weitere Lieferungen schwerer Waffen, meinte Korte. Doch der Begriff «Diplomatie» sei im Bundestag «mittlerweile zu einem Schimpfwort geworden».
Auch Thilo Bode glaubt, dass zu wenig über Verhandlungen gesprochen werde, dafür umso mehr «über Sieg und Niederlage». Bode, einst Chef von Greenpeace und Foodwatch, gehört zu den Erstunterzeichnern des Manifests und will daran festhalten. «Die Bedenken sind mir klar, ich habe da auch nicht leichten Herzens unterschrieben.» Er kenne die Situation, Beifall von der falschen Seite zu bekommen. Zum Beispiel bei den Aktionen gegen das Freihandelsabkommen TTIP, die seien auch von einigen Ultrarechten unterstützt worden. «Das öffentliche Auftreten für Frieden und Verhandlungen überwiegt aber meine Vorbehalte», sagt Bode zu seinem Engagement. «Man muss auch mal seinen Kopf hinhalten.»
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Texts hiess es, Margot Kässmann und Jürgen Grässlin hätten ihre Unterstützung für das «Manifest für den Frieden» widerrufen. In einer gemeinsamen Erklärung haben sich beide allerdings nur von der Kundgebung in Berlin distanziert. Wir haben diese Passage korrigiert.
Mit Material der Nachrichtenagentur AFP.
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