Folgen der Corona-KriseRund 20 Prozent der europäischen Firmen überdenken ihre China-Aktivitäten
Blockierte Häfen, gerissene Lieferketten, endlose Quarantäne-Zeiten: Pekings Corona-Massnahmen führen zu einer Neubewertung des Standorts, wie eine Umfrage zeigt.
China war lange das Sehnsuchtsland europäischer Konzerne: Es lockten ein Riesenmarkt und traumhafte Wachstumsperspektiven. Dann kam die Covid-Pandemie, und die Geschäfte wurden zuerst schwieriger, dann fast unmöglich. Bei den europäischen Unternehmen ist die Stimmung mit Blick auf China nun entsprechend schlecht. Das zeigt eine Umfrage der EU-Handelskammer in Peking.
Die strengen Ausgangssperren, die harten Einreisebeschränkungen und die an vielen zentralen Stellen gerissenen Lieferketten würden das China-Geschäft der europäischen Unternehmen schwer belasten, heisst es im Ergebnis der Umfrage.
China müsse den Unternehmen nun die Angst nehmen und «mit einem klaren Plan Vertrauen zurückgewinnen», sagt Bettina Schön-Behanzin, Vizepräsidentin der EU-Handelskammer in Peking. An der Umfrage zum Geschäftsklima europäischer Unternehmen haben zwischen Februar und März 620 Unternehmen teilgenommen.
Um herauszufinden, wie sehr der Lockdown von Shanghai auf die Stimmung geschlagen hat, folgten dann Ende April noch einmal bei vielen Unternehmen entsprechende Fragen. In der Zwischenzeit war ja nicht nur die Metropole Shanghai lahmgelegt worden – auch die Haltung Pekings in aussenpolitischen Fragen wie dem Angriff Russlands auf die Ukraine verschlechterte die Stimmung.
«Einige Unternehmen erwägen Investitionen in anderen Märkten, die mehr Vorhersehbarkeit bieten.»
Eine Null-Covid-Politik und der Ukraine-Krieg hätten «erhebliche destabilisierende Auswirkungen auf die China-Aktivitäten europäischer Unternehmen», heisst es bei der Kammer. Die Zahlen sprechen für sich: Drei Viertel der Mitglieder gaben an, dass die strengen Corona-Massnahmen negative Folgen für ihren Betrieb hatten, 92 Prozent spürten die Lieferketten-Probleme, wie sie zum Beispiel entstanden, als ganze Häfen geschlossen wurden.
Und: 23 Prozent der Befragten denken wohl darüber nach, neue Investitionen in China erst einmal zu stoppen und das Geld auf andere Märkte zu verteilen. «Einige Unternehmen erwägen Investitionen in anderen Märkten, die mehr Vorhersehbarkeit bieten», sagt Schön-Behanzin. Vontobel-Chef Zeno Staub hatte im Interview mit dieser Zeitung zuvor ebenfalls die Erwartung ausgedrückt, dass Chinas Bedeutung als Standort abnehmen werde.
China sollte westliche Impfstoffe nutzen
Die EU-Handelskammer in Peking positioniert sich auch klar zu Chinas Gesundheitspolitik: Die Regierung sollte lieber auf die bei der Omikron-Variante wirksameren mRNA-Impfstoffe setzen, wie sie etwa von Biontech/Pfizer oder Moderna produziert werden. Stattdessen aber werden in China vor allem Impfstoffe verimpft, die auch in der Volksrepublik entwickelt und produziert werden – in erster Linie Sinopharm und Sinovac.
Zudem empfahl die Vizepräsidentin der EU-Handelskammer: Peking täte gut daran, sich am Singapurer Modell zu orientieren. Der südostasiatische Stadtstaat hatte nach Beginn der Corona-Pandemie vor mehr als zwei Jahren mit strengen Regeln dagegengehalten – und dann wieder geöffnet.
Fazit der Kammer: Massentests und Lockdowns allein könnten nicht helfen, aus der Misere zu kommen. «China muss seine Grenzen öffnen», so Schön-Behanzin. Das Land habe «alle Mittel für ein grossartiges Comeback».
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