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Zum Tod von Richard Dindo
Er drehte die schärfsten Filme über die Schweiz

Schweizer Filmemacher Richard Dindo in Zürich, Januar 2002, mit nachdenklichem Gesichtsausdruck vor grünlicher Kulisse.
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Es geschieht nicht alle Tage, dass der Gesamtbundesrat zusammenkommt, um sich einen Schweizer Dokumentarfilm anzuschauen. Wahrscheinlich ist so ein Ereignis bislang einmalig: Nach der Premiere von Richard Dindos Film «Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.» im Jahr 1976 verhinderte Bundesrat Hans Hürlimann von der CVP die Ausschüttung einer Qualitätsprämie des Bundes von 35’000 Franken.

Daraufhin überprüfte das ganze Gremium diesen Entscheid in einer Privatvorführung – und bestätigte ihn nach der Visionierung. Einzig Willy Ritschard (SP) soll sich dafür ausgesprochen haben, das Geld zu bezahlen.

Die politische Aufregung, die um «Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.» herrschte, steht in keinem Verhältnis zum Tonfall des Dokumentarfilms. Schreiend sind hier nur die Zustände: Ausgehend von der Reportage von Niklaus Meienberg, entwickelt Richard Dindo eine ruhige Analyse vom Leben des Ernst S. aus dem Kanton St. Gallen.

Ein Zeitzeuge zeigt Regisseur Richard Dindo für den Dokumentarfilm "Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S." die Orte des Geschehens.

Ernst S. träumte im Zweiten Weltkrieg vom Bohème-Leben, macht Musik und hatte kein Interesse an geistiger oder irgendeiner anderen Art von Landesverteidigung. Nachdem er 1941 ein paar Artilleriegranaten in Herisau auf den Zug geschickt hatte, um sie an einen deutschen Agenten zu verkaufen, wurde er wegen Landesverrats in einem Waldstück erschossen, als Abschreckung vor weiteren Vorfällen von «Spionage». Ernst S. wurde 23.

Die Spurensuche und die Gespräche mit Zeitzeugen zeigen in erstaunlicher Deutlichkeit, dass hier ein kleiner Mann hingerichtet wurde, während Industrielle wie Emil Bührle lukrative Geschäfte mit dem NS-Staat machen konnten.

Noch heute löst diese Diagnose Beklemmung aus. Sie hat viel damit zu tun, wie der am 12. Februar im Alter von 80 Jahren verstorbene Zürcher Regisseur Richard Dindo den Film gestaltet: als sozialstrukturelle Analyse einer Ungerechtigkeit. Der Protest wirkt umso schärfer, je ruhiger er formuliert wird.

Die «Erschiessung» ist eine Geschichte aus der Kriegszeit, als die Schweiz ihre Soldaten mit Drill schikanierte und es Psychiater gab, die mittels eines Rorschachtests bei Ernst S. «Hang zum Vagantentum» und «Farbenschock» diagnostizierten.

Filmplakat mit dem Titel ’Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.’ und mehreren stilisierten Figuren mit Gewehren. Informationen zu Richard Dindo und Niki aus Mühlenberg, 1976.

Es ist aber auch eine der bleibenden Geschichten über die Schweiz, in der immer wieder eine tödliche Mechanik zum Vorschein kommt, sobald man die Geranien ein wenig zur Seite schiebt.

Den einfachen Leuten das Wort geben

Richard Dindo, Vertreter der 68er-Generation, hat rund 40 Filme gedreht. Er blieb ein unbestechlicher Zerstörer der Schweizer Selbstwahrnehmung, die gern alles Unangenehme verdrängt. Immer wieder regte er sich darüber auf, dass die Medien schrieben, Niklaus Meienberg habe «Die Erschiessung des Landesverräters S.» gedreht und nicht er (Meienberg war am Drehbuch beteiligt).

Die Errungenschaft seiner Generation sei es gewesen, den einfachen Leuten das Wort zu geben, hat Richard Dindo über sein eigenes Werk geschrieben. Das heisse, man rehabilitiere Menschen, «indem man ihnen ihre verlorene Würde zurückgibt, dort, wo ihnen ein Unrecht geschehen ist. Man erlaubt ihnen, ihre eigene Sprache zurückzuerobern.»

«Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.» und zwei weitere Filme von Richard Dindo lassen sich über die Edition Filmo streamen.