Wolkenforscherin im Interview«Es dürfte eigentlich gar nicht regnen bei uns»
Mira Pöhlker erklärt, wie Aerosole Niederschläge beeinflussen, wie der Himmel in Zukunft aussehen wird – und was man tun kann, wenn einem das Handy ins Klo gefallen ist.

Frau Pöhlker, wenn Sie morgens aus dem Haus gehen und in den Himmel blicken, worauf achten Sie dann?
In erster Linie auf die Farbe der Wolke. Je dunkler, desto höher die Wahrscheinlichkeit für Regen.
Warum sehen Regenwolken von unten grau oder schwarz aus?
Weil es dem Sonnenlicht nicht gelingt, zur Wolke durchzudringen. Das liegt daran, dass die Wolkentröpfchen so stark angewachsen sind und aufgrund ihrer Grösse das Licht reflektieren. Haben die Wolkentröpfchen eine gewisse Schwelle überschritten, regnet es.
Was im November ja häufiger der Fall ist. Warum ist der Herbst eigentlich so grau und nass?
Fangen wir mit dem Sommer an: In dieser Jahreszeit dominieren Hochdruckgebiete, die für schönes Wetter sorgen. Bilden sich Wolken, dann sind das meist Konvektionswolken, die klar voneinander abgegrenzt sind und deshalb an einer bestimmen Stelle abregnen.

Und im Herbst?
Da geht es in kälteres Wetter über und Mitteleuropa gerät zunehmend unter Tiefdruckeinfluss. Das sorgt für den herbsttypischen Wind. Aber wir bekommen auch eine ganze Wolkendecke, aus der es tagelang regnen oder nieseln kann. Das schlägt aufs Gemüt, ist aber unheimlich wichtig, denn der Regen füllt das Grundwasser wieder auf. Als Mikrophysikerin mag ich das allerdings nicht so gerne, da es fast unmöglich ist, Wolken bei Regen zu beobachten.
Inwiefern?
Mein Spezialgebiet ist die Wechselwirkung zwischen Aerosolpartikeln und Wolken. Ich will wissen: Wie gross sind die Tropfen? Ist Eis in den Wolken entstanden? Alles, was in den Wolken passiert. Und wenn es regnet, kann man das in der Wolke gar nicht mehr richtig differenzieren.
Was sehen Sie als Wissenschaftlerin in den Wolken, was andere nicht sehen?
Wenn eine Konvektionswolke an ihrer Oberseite zerfranst ist und zerfliesst, sehe ich, dass das Eis ist. Und ich sehe, dass sie unten flüssig ist und dazwischen in einer Mischphase.
Sie können also in die Wolken hineinschauen?
Ja, schon. Aber ich sehe auch Wolken, wo andere keine Wolken sehen. Nebel zum Beispiel ist für mich auch eine Wolke. Nur weil er noch mit dem Boden verbunden ist, trägt er eine andere Bezeichnung. Zu meinen Kindern sage ich immer: Das sind Wolken, die sich nachts schlafen gelegt haben.
Wie entstehen solche Wolken am Boden?
Steigt feuchtwarme Luft aus einem See in kühlere Luftschichten auf, dann ist die Luft übersättigt: Sie besitzt auf einmal mehr Wasser, als sie eigentlich tragen kann. Die relative Luftfeuchtigkeit übersteigt 100 Prozent. Der Wasserdampf will sich verflüssigen, muss dafür aber erst eine Energiebarriere überwinden, schliesslich wird bei der Kondensation Wärme freigesetzt. Und dafür braucht es kleine Helfer: Staubpartikel in der Luft, sogenannte Aerosole. Diese ziehen in den meisten Fällen Wasserdampf aus der übersättigten Luft in ihre Mitte und lösen sich im Wasser auf. So bilden sich Wassertröpfchen.
«Was überhaupt eine Wolke ist, ist gar nicht so klar.»
Aus was besteht denn das Aerosolgerüst unserer Wolken?
Allen voran aus Sulfatpartikel. Sie entstehen, wenn irgendwas verbrennt, etwa Benzin und Diesel in unseren Motoren. In anderen Ländern dominieren andere Partikel innerhalb der Wolken. In den Niederlanden zum Beispiel sind es eher Nitrate aus Düngemitteln. Denn dort gibt es wenig Industrie, aber sehr viel Landwirtschaft. Und in Finnland bilden sich Wolken mitunter aus Partikeln, die aus dem Wald ausströmen.
Ist schon komplett verstanden, wie Wolken wachsen?
Nein. Manchmal entsteht eine Wolke zum Beispiel gar nicht, obwohl zumindest in der Theorie alle Bedingungen dafür erfüllt sind. Das ist auch der Grund dafür, warum die Wettervorhersage gerade im Sommer manchmal so danebenliegt. Vielleicht war es sogar eine Wolke, aber wir haben sie nie gesehen. Was überhaupt eine Wolke ist, ist gar nicht so klar.
Sind Sie denn mal in eine Wolke eingetaucht?
Vor einigen Jahren mit dem sogenannten Halo-Flugzeug. Während der Flugkampagnen im Amazonas-Regenwald bin ich oft mitgeflogen. Wir navigieren die Piloten und bedienen die Geräte, die etwa die Grössenverteilung der Tröpfchen messen. Mir wird ehrlich gesagt immer ziemlich schlecht dabei. In den Wolken ist es sehr turbulent. Und zehn Stunden lang sieht man aus den Bullaugen fast nichts anderes als Nebel.

Wie kommt es zum Regen, der aus einer Wolke fällt?
Regen entsteht für gewöhnlich im oberen Teil der Wolke. Ab einer gewissen Schwelle werden Wolkentropfen so schwer, dass sie ein Stück herabfallen, dabei weitere Tropfen aufnehmen und dann wieder ein Stück herabfallen und so weiter. Eine Kettenreaktion. Manchmal kommen die Tropfen aber gar nicht unten an, weil sie vorher schon verdunsten. So ist das zumindest in einer Konvektionswolke, wie ich sie im Amazonas-Regenwald beobachtet habe.
Was haben Sie dort gemacht?
Nahe von Manaus, mitten im Regenwald, steht ein 325 Meter hoher Beobachtungsturm. Von dort oben vermessen wir etwa den Nebel, um mehr über die Wechselwirkung zwischen Aerosolen und Wolken zu verstehen.
Welche Erkenntnis haben Sie dort gewonnen?
Manchmal ist selbst die Luft im Amazonas-Regenwald ganz dreckig. Das liegt an Waldbränden. Die Hälfte des Russes, den wir am Turm übers Jahr gemittelt messen, kommt dabei nicht etwa aus dem Amazonas-Becken selbst, sondern aus Afrika. Das wissen wir, weil wir die Grösse der Russteilchen bestimmt haben. Und diese besitzen eine Art Fingerabdruck, den wir bestimmten Verbrennungsprozessen zuordnen können. In dem Fall: Steppenbränden in Westafrika. Für mich war das sehr erstaunlich. Es zeigt, dass Veränderungen in der Atmosphäre an einem Ort der Welt einen riesigen Effekt an einem anderen Ort der Welt haben können. Das kann die ganze Dynamik eines Systems verändern.
«Weil unsere Luft so verschmutzt ist, haben wir so viele Aerosole, dass es eigentlich gar nicht regnen dürfte.»
Afrikanische Steppenbrände verändern Wolken über dem Amazonas?
Ja, auch wenn der Russ aus den Waldbränden in Brasilien noch stärker ins Gewicht fällt, da er mehr Wolkenkeime erzeugt. Wir haben daran gesehen, dass sich die Wolken verändern, je nachdem, ob die Luft gerade sauber oder dreckig ist. Das heisst: Sie reagieren noch sensibel auf die Luftverschmutzung. Je mehr Aerosole, desto mehr Wolkentropfen.
Wie wirkt sich die dreckige Luft auf die Wolken hierzulande aus?
Weil unsere Luft so verschmutzt ist, haben wir so viele Aerosole, dass es eigentlich gar nicht regnen dürfte. Denn das Wasser in der Luft muss sich dann auf viel mehr Kleinstpartikel verteilen. Das lässt sehr viele Wassertropfen entstehen, aber nur kleine. Diese sind eigentlich zu leicht, damit sich eine Regenwolke bilden kann.
Aber es regnet doch bei uns!
Ja, aber nur, weil es einen Trick gibt: die Eisphase. Steigt die Wolke in Schichten auf, die gerade kalt genug sind, damit sich im oberen Teil der Wolke Eiskristalle bilden, dann entziehen diese den Wolkentropfen Wasser. Dieser sogenannte Bergeron-Findeisen-Prozess hilft übrigens auch, wenn einem das Handy mal in die Toilette gefallen ist.
Wie denn das?
Um das Handy wieder trocken zu kriegen, legt man es einfach ins Eisfach. Ich habe das schon drei- oder viermal gemacht – es funktioniert! Es lohnt sich überhaupt mal, ins Gefrierfach zu schauen. Dann sieht man, wie gut Eis wachsen kann. Und versteht, dass Eiskristalle das Wasser von den Tropfen ziehen, anwachsen und herabfallen können. Dabei sammelt das Kristall viele Wassertropfen ein. In der Wolke wird aus Schnee im Fallen dann wieder Regen.

Ändert sich das mit dem Klimawandel?
Das kann schon sein. Weil es wärmer wird, werden die Wolken in unseren Breitengraden nasser. Es kommt dann seltener zur Eisbildung. Womöglich wird es in Zukunft weniger regnen, jedenfalls solange wir noch so viele Aerosole in der Luft haben; aber auch das ändert sich ja. Die Luft wird sauberer.
Sollten wir eines Tages so gut wie keine Staubteilchen aus Kraftwerken, Fabriken und Fahrzeugen mehr in die Luft pusten, können sich dann überhaupt noch Wolken bilden?
Ja, vor der Industrialisierung gab es ja auch schon Regen. Aber dann kommt es auf natürliche Quellen für die Wolkenbildung an. Allen voran Pflanzen, die nicht nur Wasser speichern und abgeben, sondern auch biologische Partikel freisetzen, die sich als Kondensationskeime eignen. Sie füttern die Wolken. Solch einen natürlichen Prozess der biologischen Pumpe kennen wir aus dem Amazonas-Regenwald.
Heisst das: Wenn wir wissen wollen, wie unsere Wolken in Zukunft aussehen werden, müssen wir in den Amazonas-Regenwald blicken?
So komisch es klingt: Um die hiesigen Wolken zu verstehen, fliegen wir in Brasilien durch die Wolken. Denn im Amazonas-Gebiet werden in der Brandsaison ähnlich hohe Aerosolwerte erreicht, wie sie derzeit in Europa das ganze Jahr über normal sind. Und in der Regensaison herrscht relativ saubere Luft, wie sie in Zukunft bei uns zu erwarten ist und auch schon einmal normal war. Die Messflüge sind also so etwas wie eine Reise in die Vergangenheit und Zukunft.
Fehler gefunden?Jetzt melden.