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133 km/h innerorts
Beifahrer erhält höhere Strafe als Raser – wie kann das sein?

Autorennen hafen

Foto Pino Covino
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Wer meint, dass nur der Fahrzeuglenker für Tempoexzesse verantwortlich gemacht werden kann, liegt falsch. Die Mitfahrer oder der Mitfahrer kann ebenfalls wegen Raserei bestraft werden. Die rechtlichen Folgen können sogar noch happiger ausfallen als für die Person am Steuer. Das zeigt ein kürzlich veröffentlichtes Urteil, in dem das Schaffhauser Obergericht eine bedingte Gefängnisstrafe von 15 Monaten gegen einen Beifahrer bestätigt. Der Fahrer erhält nur eine Geldstrafe.

Wie konnte es dazu kommen? Passiert ist die Geschwindigkeitsüberschreitung bei einer Probefahrt mit einem schnellen Tesla. Auf dem Beifahrersitz befindet sich der Verkaufsberater. Am Steuer sitzt ein Familienvater, seine drei Kinder fahren hinten mit – das jüngste in einem Kindersitz.

Gaspedal «voll abedrucke», sagt der Tesla-Verkäufer

Während der Fahrt sagt der Verkaufsberater: «Ihr chönd ruhig mal de Fuess voll abedrucke.» In der Folge beschleunigt das Fahrzeug innerorts von etwa 41 auf 98 Stundenkilometer. Die erlaubte Höchstgeschwindigkeit wird um 48 Stundenkilometer überschritten.

Beim zweiten Anlauf startet der Tesla aus dem Stand heraus. Der Verkaufsberater motiviert mit folgenden Worten: «Und jetzt gnau gliich, nöd so beschlünige, sondern voll abe.» Die Kinder auf dem Rücksitz warnt er: «Und ihr dörfed nöd uf d Siite luege, süsch hend ihr nachher Nackeweh – ihr müend füreluege.» Innerhalb weniger Sekunden steht auf der Geschwindigkeitsanzeige 119. Das sind 69 Stundenkilometer zu viel. Eine Tempoüberschreitung von 50 Stundenkilometern und mehr innerorts gilt gemäss Gesetz als Raserei.

Der Beifahrer schaltet auf maximale Leistung

Doch damit nicht genug. Nach einer Abzweigung schaltet der Verkaufsberater über das Steuerdisplay des Tesla den «Ludicrous»-Modus ein und kommentiert die Aktivierung mit: «Jetz chunnt die voll Leischtig.» Einige sportliche Tesla-Modelle verfügen über diese Funktion. Der Modus maximiert die Leistungsaufnahme aus den Batterien, was zur höchstmöglichen Beschleunigung führt. Als der Lenker aufs Gaspedal drückt, erreicht das Fahrzeug innerhalb weniger Sekunden Tempo 133 – das sind 83 Stundenkilometer zu viel.

Das Schaffhauser Obergericht betrachtet im vorliegenden Fall den Beifahrer als Mittäter. Als Mittäter zählt demnach, wer bei der Planung und Ausführung eines Delikts vorsätzlich und in massgeblicher Weise mit anderen Tätern agiert. Der Verkaufsberater habe im vorliegenden Fall «einen wesentlichen Tatbeitrag» geleistet. So etwa mit der Aufforderung «voll abedrucke».

Zudem bestimmte der Beifahrer die Route. Diese führte innerorts an Gegenverkehr und Querstrassen vorbei, aus denen andere Fahrzeuge hätten einbiegen können, bei den Beschleunigungsmanövern führte sie an Fussgängern und einem Hund vorbei. Kurz: Die Route war nicht für derart hohe Geschwindigkeiten gesichert. Und der Verkaufsberater kannte die Strecke, da er sie schon mehrmals abgefahren war. Dennoch aktivierte er sogar noch den speziellen Modus, um eine maximale Beschleunigung zu erreichen.

Der Beifahrer argumentierte vor Gericht, er sei sich der Raserei nicht bewusst gewesen, da er die Tempoanzeige gar nicht habe sehen können. Das Gericht nahm ihm das nicht ab: Als Verkaufsberater mit Fachkenntnissen zum vorgeführten Tesla dürfte ihm die Beschleunigung dieses Fahrzeugs bekannt sein. Zudem rief eines der Kinder während der Fahrt vom Rücksitz «100 Stundenkilometer!»

Die Kinder zeichnen alles auf

Die Kinder lieferten mit ihren Smartphone-Aufnahmen zudem wichtiges Beweismaterial. Eine zentrale Frage im Verfahren war deshalb, ob diese Videodokumente überhaupt als Beweise zugelassen werden dürfen. Da es sich um einen öffentlichen Anlass für Tesla-Probefahrten und ein Gespräch beruflicher Natur gehandelt habe, bejahte das Gericht diese Frage. Zudem habe der Beifahrer indirekt sein Einverständnis zu den Aufnahmen gegeben. Denn seine Gesten und ein Blick in die Kamera liessen den Schluss zu, dass er die Aufzeichnung im Gegenteil sogar begrüsst habe.

Das Schaffhauser Obergericht verweist in seinem Urteil darauf, dass mit einer Freiheitsstrafe von ein bis vier Jahren bestraft wird, wer durch vorsätzliche Verletzung von Verkehrsregeln das Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht. Eine solche Verletzung liege unter anderem bei einer «besonders krassen Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit» vor.

Schaffhauser Obergericht, Urteil 50/2021/28 und 50/2021/32