Radikale Republikaner stürzen SpeakerWie es nach der historischen Abwahl im US-Kongress weitergeht
Noch nie zuvor wurde der Vorsitzende des Repräsentantenhauses im US-Kongress abgesetzt. Ist das Parlament überhaupt noch arbeitsfähig? Und wer wird auf McCarthy folgen?
Die Absetzung des Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, durch den radikalen Flügel der Republikaner bringt das US-Parlament bis auf weiteres zum Stillstand und hat Auswirkungen weit über die USA hinaus. Eine Mehrheit der Kongresskammer stimmte am Dienstag dafür, McCarthy von seinem mächtigen Posten abzusetzen. Hintergrund ist eine interne Revolte bei den Republikanern. Das Drama dürfte den Republikanern politisch sehr schaden.
Die Aktion ist der vorläufige Höhepunkt eines langen Kampfes der Republikaner um nicht weniger als das Wesen der Partei. Die Aktion legt auf plakative Weise offen, wie eine kleine Gruppe radikaler Kräfte die Partei vor sich hertreibt. Der republikanische Hardliner Matt Gaetz und sieben weitere Republikaner vom rechten Rand der Fraktion stimmten dafür, McCarthy zu entmachten. Die Demokraten im Repräsentantenhaus wiederum verzichteten darauf, McCarthy zu Hilfe zu kommen, und votierten ebenso gegen ihn.
Historisch gesehen ist die Sache neu. Zwar gab es schon in der Vergangenheit Versuche, den Speaker, also den Vorsitzenden, des Repräsentantenhauses abzuwählen. Aber das ist im 234-jährigen Bestehen der Vereinigten Staaten bis zu diesem Dienstag noch nie gelungen. Insofern ist es jetzt umso wichtiger, die Frage zu klären, wie es weitergeht.
Was passiert nun?
Um ehrlich zu sein: Das weiss keiner so genau. Die republikanischen Abgeordneten haben noch am Dienstag für den Rest der Woche fluchtartig Washington verlassen. Bis nächste Woche wird also auf offener Bühne kein neuer Akt des Führungsdramas aufgeführt werden. Nächsten Mittwoch soll das Repräsentantenhaus dann über einen neuen Speaker abstimmen. Aber ob das Votum wirklich zustande kommt, ist offen. Bisher hat sich keiner der republikanischen Kongressabgeordneten getraut, seinen Hut für die Nachfolge des gestürzten Speakers Kevin McCarthy in den Ring zu werfen. McCarthy selbst hatte nach seiner Abwahl am Dienstag ausgeschlossen, dass er nochmals antritt.
Wer könnte McCarthy nachfolgen?
Der Mehrheitsführer der konservativen Partei in der Kongresskammer, Steve Scalise, bat seine Fraktionskollegen gestern in einem Brief um ihre Unterstützung. «Das nächste Kapitel wird nicht einfach, aber ich weiss, was es bedeutet zu kämpfen, und ich bin bereit für die Schlachten, die vor uns liegen», schrieb die derzeitige Nummer 2 der bisherigen Fraktionsführung. Scalise leidet an Blutkrebs und muss sich einer Chemotherapie unterziehen, deshalb war zuerst nicht klar, ob er sich den aufreibenden Speaker-Job tatsächlich antun will.
Auch Jim Jordan warf gestern seinen Hut in den Ring. Er ist ein Anführer der Rechten, der sich in jüngster Zeit etwas zur Mitte der Partei hin geöffnet hat. Mögliche Kandidaten sind auch Tom Emmer, Nummer drei in der Führungsriege, und Elise Stefanik, die von allen Genannten Trump zweifellos am nächsten steht. Und noch einen Kandidaten gibt es vermutlich. Die Demokraten wollen, obwohl in der Minderheit, ihren Fraktionsführer Hakeem Jeffries nominieren. Bei dem Durcheinander unter den Republikanern weiss man ja nie, ob sich nicht vielleicht ein paar Dissidenten in deren Reihen finden könnten, die für eine Überraschung gut wären.
Wie wird ein Speaker überhaupt bestimmt?
Vorsitzender des Repräsentantenhauses wird, wer die Mehrheit der Abgeordnetenstimmen bekommt, im jetzigen Repräsentantenhaus sind das mindestens 218. Klingt einfach, ist es auch normalerweise, wenn sich die Mehrheitsfraktion in der Abgeordnetenkammer einig ist. Gibt es innerhalb der Fraktion mehrere Kandidaten, wird in der Regel zunächst intern abgestimmt. Der Sieger stellt sich dann dem Votum aller Abgeordneten – und wird gewählt, eben im Normalfall. Den gibt es in diesem Kongress allerdings offenbar nicht. Kevin McCarthy brauchte 15 Wahlgänge, ehe er im Januar die Mehrheit der Abgeordneten auf sich vereinigen konnte.
Wer leitet das Repräsentantenhaus nun?
«Speaker pro tempore», also Interimsvorsitzender, ist jetzt der Republikaner Patrick McHenry aus North Carolina. Der 47-Jährige ist seit 2005 Abgeordneter, als Vorsitzender des Finanzausschusses einer der einflussreichsten Männer im Repräsentantenhaus – und ein Gefolgsmann McCarthys. Der hatte ihn, wohl wissend, was bevorstand, vor seiner Abwahl an die erste Stelle auf einer Liste möglicher Nachfolgekandidaten gesetzt. Seine wichtigste Aufgabe wird es sein, die Wahl des neuen Speakers zu leiten. Wann das geschieht, steht, siehe oben, in den Sternen.
Gehen die Beratungen im Kongress sonst weiter?
Die Arbeit in Ausschüssen geht schon weiter. Doch Abstimmungen im Repräsentantenhaus selbst wird es wohl nicht geben, solange kein neuer Speaker gewählt ist. Auch darin stecken politische Sprengladungen. Je nachdem, wie lange der Führungskampf bei den Republikanern andauern wird, könnte die Lage brisant werden. Denn die Haushaltsmittel für die Arbeit der US-Regierung sind nur bis Mitte November genehmigt. Gäbe es bis dahin kein arbeitsfähiges Repräsentantenhaus, das neues Geld bewilligen könnte, müsste die US-Regierung ihre Zahlungen einstellen. Manche Verfassungsexperten sagen indes, das Repräsentantenhaus könnte auch ohne regulären Speaker Gesetze verabschieden, die laut Verfassung als «notwendig und angemessen» erachtet werden.
Warum hatten acht Abgeordnete die Macht, den Speaker zu stürzen?
Sie waren schlicht das Zünglein an der Waage – ohne sie hatte McCarthy keine Mehrheit im Repräsentantenhaus, in dem die Republikaner seit Jahresbeginn über einen Vorsprung von lediglich vier Stimmen verfügen. Früher wurden solche Machtkämpfe eher hinter verschlossenen Türen ausgefochten. Matt Gaetz und die anderen Aufständischen wählten dagegen bevorzugt die Öffentlichkeit, um ihren Drohungen, McCarthy zu stürzen, Nachdruck zu verleihen und den Speaker zu immer neuen Zugeständnissen zu bewegen.
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