Machtkampf bei US-RepublikanernHistorisches Votum: McCarthy als Vorsitzender des Repräsentantenhauses abgesetzt
Am Schluss lautete das Ergebnis 216:210 gegen Kevin McCarthy. Wohlgemerkt: Hier geht es um den dritthöchsten Posten der Weltmacht. Von einem «internen Bürgerkrieg» bei den Republikanern schreibt die «Washington Post».
Das US-Repräsentantenhaus hat in einer historischen Premiere seinen republikanischen Vorsitzenden Kevin McCarthy abgesetzt. Die Abgeordneten stimmten am Dienstag mehrheitlich für einen Antrag des rechten Hardliners Matt Gaetz, McCarthy von der Spitze der Kongresskammer zu stürzen. Dieser verlor damit einen parteiinternen Machtkampf im Streit um die Haushaltspolitik.
Für eine Absetzung des 58-jährigen Politikers aus dem Bundesstaat Kalifornien stimmten 216 Abgeordnete – acht Republikaner vom Rechtsaussen-Flügel der Partei und 208 Abgeordnete der Demokraten von Präsident Joe Biden. Gegen eine Absetzung stimmten 210 republikanische Abgeordnete.
McCarthy tritt nicht mehr an
Selbst in der ereignisreichen Geschichte Amerikas ist das ein seltenes Manöver. Zuletzt war so eine Strafaktion 1910 probiert worden, es geht immerhin um den dritthöchsten Posten der Weltmacht nach jenen von Präsident und Vize. Das Duell verschärft die politischen Spannungen des Landes noch weiter. Von einem «internen Bürgerkrieg» bei den Republikanern schreibt die «Washington Post».
«Ich werde nicht wieder als Vorsitzender kandidieren», sagte McCarthy am Dienstagabend. Bei einem teils emotionalen, teils angriffslustigen Auftritt beschrieb er den Vorsitzenden-Posten die grösste Ehre: «Ich habe jede Minute geliebt.» Er sei mit sich im Reinen. «Ich würde rein nichts anders machen», betonte er. «Wenn ich meinen Job verliere, weil ich das tue, wovon ich wirklich überzeugt bin, dass es richtig ist, dann kann ich damit sehr gut leben.» Selbstironisch sagte McCarthy: «Ich habe Geschichte geschrieben, oder?»
Der Geschasste schlägt zurück
Zugleich kritisierte der Republikaner die parteiinternen Rebellen – insbesondere Matt Gaetz. Diesem sei es keineswegs um Inhalte gegangen, sondern allein um Persönliches – und darum, Medienaufmerksamkeit zu bekommen, beklagte McCarthy. Gaetz Vorwürfe wies er zurück. «Nur weil Gaetz etwas gesagt hat, heisst das nicht, dass es wahr ist. Ich habe ihn noch keine einzige wahre Sache sagen hören.»
McCarthy beklagte, es dürfte nicht möglich sein, dass ein Vorsitzender des Repräsentantenhauses die überwältigende Mehrheit seiner Fraktion hinter sich habe und trotzdem von acht Abgeordneten gemeinsam mit der anderen Partei aus dem Amt entfernt werde. «Ich glaube nicht, dass es diese Regel geben sollte – unabhängig davon, wer der Vorsitzende ist.» Das Parlament als Institution habe versagt.
Gaetz’ Attacke
Gaetz, ein Anhänger von Ex-Präsident Donald Trump, hatte am Montagabend einen Absetzungsantrag gegen McCarthy gestellt. Hintergrund ist der Streit über die am Wochenende in letzter Minute abgewendete Haushaltssperre. McCarthy hatte sich mit den Demokraten im Repräsentantenhaus auf einen Kompromiss zur Finanzierung der US-Bundesbehörden bis 17. November geeinigt, um einen sogenannten Shutdown zu verhindern.
Gaetz, der auf massive Ausgabenkürzungen pocht, hat McCarthy dafür scharf kritisiert. Er wirft McCarthy auch vor, eine «geheime» Absprache mit Präsident Joe Biden für neue Ukraine-Hilfen getroffen zu haben.
«Sie können buhen, so viel Sie wollen»
Vor der Abstimmung im Plenum lieferte Gaetz sich heftige Wortgefechte mit anderen Republikanern, die sich für McCarthy einsetzten. «Sie können buhen, so viel Sie wollen», rief er an einer Stelle. Die McCarthy-Anhänger warnten, eine Absetzung des Vorsitzenden werde die Kongresskammer «lähmen», die Bevölkerung gegen die Republikaner aufbringen und letztlich den Demokraten zu Gute kommen.
McCarthy hatte zwar nach wie vor den Rückhalt der grossen Mehrheit der republikanischen Abgeordneten. Allerdings verfügen die Konservativen im Repräsentantenhaus nur über eine so knappe Mehrheit, dass schon fünf rechte Hardliner der Republikaner ausgereicht hätten, um McCarthy zu stürzen, wenn die Demokraten geschlossen gegen den Vorsitzenden stimmen.
McCarthy hatte am Dienstag klar gemacht, dass er keine Abmachungen mit den Demokraten schliessen wird, um sich im Amt zu halten. Die Demokratenführung wiederum machte deutlich, dass sie es nicht als ihre Aufgabe ansieht, eine Absetzung des Republikaners zu verhindern – auch wenn dies zu Chaos im Repräsentantenhaus führen könnte.
McCarthy hatte die Spitze des Repräsentantenhauses zu Jahresbeginn übernommen, nachdem die Republikaner bei den Kongress-Zwischenwahlen vom November 2022 eine knappe Mehrheit gewonnen hatten. Von Anfang an zeichnete sich ab, dass McCarthy angesichts des Widerstands des Rechtsaussen-Flügels seiner Partei einen schweren Stand haben würde. Er brauchte im Januar 15 Wahlgänge, um zum Vorsitzenden der Kongresskammer gewählt zu werden.
US-Präsident Biden drängt auf Nachfolgelösung
Nach der Absetzung des republikanischen Repräsentantenhaus-Vorsitzenden Kevin McCarthy hat US-Präsident Joe Biden die Kongresskammer aufgerufen, rasch einen Nachfolger zu wählen. «Die dringenden Herausforderungen für unser Land werden nicht warten», erklärte Bidens Sprecherin Karine Jean-Pierre am Dienstag. Der Präsident hoffe deshalb, dass das Repräsentantenhaus «schnell» einen neuen Vorsitzenden oder eine neue Vorsitzende wähle.
«Die amerikanische Bevölkerung verdient ein politisches Führungspersonal, das die Themen, die ihr Leben bestimmen, nach vorne und in den Mittelpunkt stellt», erklärte Jean-Pierre weiter. «Präsident Biden hat bewiesen, dass er immer mit beiden Parteien im Kongress (...) für das amerikanische Volk zusammenarbeiten will.» Der Politiker der Demokratischen Partei freue sich bereits darauf, mit der künftigen Spitze des Repräsentantenhauses zusammenzuarbeiten.
Neuwahl findet frühestens kommende Woche statt
Nach der historischen Abwahl des Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, wird über dessen Nachfolge frühestens in der kommenden Woche entschieden. Die Abgeordneten der Parlamentskammer wurden am Dienstagabend informiert, dass in der laufenden Woche keine weiteren Abstimmungen zu erwarten seien. Das geht unter anderem aus einer Rundmail der demokratischen Fraktion an die eigenen Abgeordneten hervor. Das US-Parlament ist durch das Drama vorerst komplett lahmgelegt. Bis ein Nachfolger von McCarthy gewählt ist, liegt alle restliche gesetzgeberische Arbeit auf Eis.
Mehrere republikanische Abgeordnete – die McCarthy-Gegner Matt Gaetz und Bob Good – sagten am Dienstagabend nach einer fraktionsinternen Sitzung, der kommissarische Vorsitzende der Kammer, der Republikaner Patrick McHenry, habe angekündigt, mögliche Nachfolgekandidaten sollten ein paar Tage Zeit bekommen, ihre Ambitionen öffentlich zu machen und in den eigenen Reihen um Stimmen zu werben. Am Dienstag in einer Woche sollen die Republikaner laut Gaetz und Good dann erneut zu einer internen Runde zusammenkommen, in denen sich potenzielle Nachfolger vorstellen können. Erst danach solle im Plenum eine Wahl angesetzt werden.
McHenry ist lediglich für formale Aufgaben vorübergehend eingesetzt, er füllt die Vorsitzenden-Rolle aber nicht politisch aus. Wer der nächste Vorsitzende des Repräsentantenhauses werden könnte, ist unklar. McCarthy kündigte an, er werde nicht erneut für den Posten antreten.
SDA/AFP/oli
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