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Schluss mit Corona
Radikale demonstrieren gegen «Merkel-Diktatur»

Mit grosser Wut gegen den gesellschaftlichen Ausnahmezustand: Demonstranten in Berlin.
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Es wird wieder gebrüllt und skandiert, plakatiert und geschmiert. Und wie in der Flüchtlingskrise geht es mit Vorliebe gegen Angela Merkel. Zusammen mit ihrem «Hofvirologen» Christian Drosten habe die Kanzlerin das deutsche Volk mit «Psychoterror» in Panik versetzt und dann eine «Corona-Diktatur» errichtet, um alle Freiheiten zu liquidieren. «Wir sind das Volk», schreien sie und begehren dagegen auf.

Die behördlichen Massnahmen zum Schutz vor der Pandemie vergleichen die Protestler mit dem «Ermächtigungsgesetz», das 1933 Hitler den Weg bereitet hat. Die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr und in den Läden machen sie lächerlich, indem sie «Merkel-Maulkorb» oder «Merkel-Burka» darauf schreiben. Sie ziehen eine Linie von «Glaubenszwang» und «Maskenzwang» zu «Impfzwang» und «Chipzwang». Der Totalüberwachung sei nun keine Grenze mehr gesetzt.

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Viele treibt die Angst vor einer Impfpflicht um. Einer hat einen gelben Judenstern gebastelt und darauf «Nicht geimpft» geschrieben. Ein anderer hat ins Tor zum Nazi-Vernichtungslager Auschwitz den Spruch «Impfen macht frei» montiert. Bill und Melinda Gates mit ihrer Impfstiftung werden beschuldigt, sie hätten die Virusgefahr erfunden, um damit Geld zu scheffeln. Viele Demonstranten sehen sich als letzte Verteidiger von «Wahrheit» und «Freiheit» und wirken wie beseelt: «Wir verbreiten uns schneller als das Virus.»

4000 in Stuttgart, 1000 in Berlin

In vielen deutschen Städten, von Freiburg im Südwesten bis Cottbus im Nordosten, haben zuletzt immer mehr Menschen gegen die Einschränkungen protestiert, mit denen die Regierung gegen das Coronavirus vorging. Vor allem in Berlin und in Stuttgart waren es trotz des Verbots von Grosskundgebungen Tausende: 4000 in Baden-Württemberg, 1000 in der Hauptstadt.

Eine wilde Truppe fand da jeweils zusammen – von besorgten und zornigen Bürgern, Verschwörungsanhängern, Impfgegnern, Esoterikern, Sektierern, Reichsbürgern bis zu radikalen rechten und linken Systemgegnern. In Berlin wird bereits seit sieben Wochen demonstriert, stets auf dem Rosa-Luxemburg-Platz bei der Volksbühne. Initiiert wurden die Proteste von Linksradikalen aus der Kunstszene, die vor einer «Faschisierung» des deutschen Alltags warnten und gleichzeitig auf den Zusammenbruch der neoliberalen, kapitalistischen und globalisierten Weltordnung hofften. Nach und nach übernahmen in den letzten Wochen Rechtsradikale das Kommando der sogenannten Hygiene-Demos und verdrängten die Linken.

Attacken auf «Lügenpresse»

Die Proteste in Stuttgart wurden vom Unternehmer Michael Ballweg ins Leben gerufen, der sagt, er dulde keinen Radikalismus, weder von rechts noch von links, sondern wolle nur den Grundrechten und der Freiheit wieder zu ihrem Recht verhelfen. Dennoch klangen die Parolen in Stuttgart zuletzt nicht weniger extremistisch als in Berlin.

Wie emotional aufgeladen die Stimmung ist, zeigten in den letzten Tagen Attacken auf Journalisten von ARD und ZDF, die über die Berliner Proteste berichteten. Ein siebenköpfiges Team der «Heute-Show» wurde von 20 Maskierten krankenhausreif geprügelt. Die Polizei hält Linksextreme für die Täter, allerdings hatten auch Rechtsradikale zu Angriffen auf die Gruppe aufgerufen. Diese Woche wurde vor dem Kanzleramt ein Kamerateam der ARD attackiert. Bei Demos von rechtsextremen Gruppen kommt es seit Jahren zu Angriffen auf die «Lügenpresse».

Bocksprünge der AfD

Die Alternative für Deutschland (AfD), die zuletzt dramatisch an Zuspruch verloren hat, versucht manchenorts den Unmut auf ihre eigenen Mühlen zu lenken und sich an die Spitze der Proteste zu stellen. Dabei war sich die Partei selbst lange im Unklaren, wie sie reagieren sollte. Während Politiker wie Alice Weidel noch im März Merkel beschuldigten, das Virus zu unterschätzen und durch ihre Weigerung, das Land sofort stillzulegen, Hunderttausende von Toten in Kauf zu nehmen, bestritten andere jede Gefahr. Nun, da sich das Land wieder öffnet, wirft die AfD der Regierung vor, sie halte es im Lockdown gefangen.

Einen ähnlich spektakulären Meinungsumschwung haben auch andere Rechtsradikale hingelegt. Medien wie «Politically Incorrect» oder «Compact» verurteilten noch im März Merkel für ihre Tatenlosigkeit und lobten stattdessen Chinas Quarantäne und Überwachung. Im April klagten sie dann plötzlich über die deutsche «Corona-Diktatur» und «Erregungswellen in Medien und Politik».

Auch eine neue Partei ist bereits entstanden

Die AfD wurde als Protestpartei gegen den Euro geboren und als Widerstandspartei gegen Merkels Flüchtlingspolitik gross. Wie es scheint, hat nun auch die Corona-Krise bereits wieder eine neue Partei hervorgebracht: Eine Psychologin, ein Anwalt und ein Arzt mit Hang zu Verschwörungstheorien haben «Widerstand 2020» gegründet. Ihre Partei habe bereits über 100’000 digitale Mitglieder, behaupten sie – mehr als AfD, Linke oder FDP. Experten gehen eher von 3500 Personen aus.

Die Gründer von «Widerstand 2020» sagen, sie strebten «wahre Menschlichkeit und Demokratie» an. Gleichzeitig wollen sie den Bundestag durch ein «Notstandsparlament» von 700 Laien ersetzen – eine Forderung, die man zuletzt auch von radikalen Klimaschützern gehört hat. Der Extremismusforscher Matthias Quent hat die Onlineauftritte der neuen Partei studiert und sagte dem ZDF: «‹Widerstand 2020› ist derzeit ein diffuses Sammelbecken: Wissenschaftsfeinde treffen auf Verschwörungstheoretiker, Rechtspopulisten und linksesoterische Impfgegner.» Verbreitet würden die Inhalte vor allem in rechten Kreisen.