Studie zu Velo-InfrastrukturEnge Strassen? Kein Problem! So wird Velofahren sicherer und komfortabler
Durchgehend breite Radwege, Tempo 30 auf Hauptstrassen und notfalls Überholverbot von Velos durch Autos: Die Radbest-Studie präsentiert Lösungen für Engstellen im Strassenverkehr.

- Ein länderübergreifendes Forschungsprojekt hat auch für die Schweiz untersucht, wie Velofahren bei beengten Verhältnissen sicherer werden könnte.
- Die Forschenden empfehlen breite Velowege, die grosse Überholabstände auch an Engstellen gewährleisten.
- Wird es sehr eng, etwa an Fussgängerstreifen mit Insel, zeigt die vorgeschlagene Signalisation klar an, dass nicht überholt werden sollte.
- Die Ergebnisse sollen allfällige zukünftige Verkehrsregelungen für Veloüberholabstände beeinflussen.
Viele Velofahrende kennen das Problem: Sobald sich eine Strasse verengt, verjüngt sich auch der Veloweg – oder er verschwindet gleich ganz. Überholen Kraftfahrzeuge wie Autos, Lastwagen oder Busse an diesen Flaschenhälsen, ist der Abstand aus Sicht der Velofahrenden oft beängstigend gering.
Als sicherste Lösung gelten baulich von der restlichen Fahrbahn getrennte Radwege. Doch gerade an den Engstellen haben sie keinen Platz. Was also tun, damit trotz dieser Flaschenhälse das Velo rege zum Einsatz kommt? Schliesslich spielt es für das Erreichen der Klimaziele beim Verkehr eine wichtige Rolle.
«Wir haben in einem Forschungsprojekt für Deutschland, Österreich und die Schweiz untersucht, wie Velofahren auf Hauptstrassen bei beengten Verhältnissen sicherer und komfortabler werden könnte», sagt Carsten Hagedorn vom Institut für Raumentwicklung an der Ostschweizer Fachhochschule Rapperswil. Er ist Co-Autor des Berichts «Radverkehrsführung bei beengten Strassenverhältnissen» (Radbest), der kürzlich vorgestellt wurde. Das Projekt wurde unter anderem vom Bundesamt für Strassen (Astra) unterstützt.
Überholabstand von mindestens 1,5 Metern – und Tempo 30
Gemäss der Radbest-Studie gelten Fahrbahnbreiten zwischen sechs und neun Metern als eng. Die Handlungsempfehlungen der Forschenden sollen gewährleisten, dass der Überholabstand auch dort ausreichend gross ist – also mindestens 1,5 Meter beträgt. «Ist dieser Überholabstand nicht möglich, soll die Infrastruktur dafür sorgen, dass der Überholvorgang unterlassen wird», sagt Hagedorn.
Ist die Fahrbahn zum Beispiel über eine längere Strecke eng, empfehlen die Forschenden deren Aufteilung in eine schmale, sogenannte Kernfahrbahn für Kraftfahrzeuge sowie rechts und links einen breiten Radstreifen. Dabei hat die mit 3 bis 3,8 Metern recht schmale Kernfahrbahn keinen Mittelstreifen – denn sie ist nicht breit genug, dass Kraftfahrzeuge aneinander vorbeifahren könnten.
Ohne Gegenverkehr können Velos auf der Kernfahrbahn problemlos und in ausreichendem Abstand überholt werden. Bei Gegenverkehr sind die Kraftfahrzeuge gezwungen, sich hinter den Velos einzureihen, also den Velostreifen zu befahren. «Wir haben in der Studie gesehen, dass diese Lösung einen klar grösseren Überholabstand zur Folge hat als bei Fahrbahnen mit Mittelstreifen und zwei schmaleren Radstreifen», sagt Hagedorn. Bevorzugt sollte dort auch Tempo 30 gelten.
«Wir empfehlen also, mehr mit breiten Velostreifen zu arbeiten», sagt Hagedorn. «Damit wird klar, in welchem Abstand man am Velo vorbeifahren soll. Und wenn der Platz dafür nicht ausreicht, macht die Signalisation intuitiv klar, dass man sich mit dem Auto hinter den Velos einzureihen hat.»
Ist die Strasse schmaler als rund 7 Meter, lässt sich diese Lösung allerdings nicht mehr umsetzen. Dann empfiehlt die Radbest-Studie einen Mischverkehr von Zweirädern und Kraftfahrzeugen. Für die Sicherheit der Velofahrenden sollen Tempo 30 und regelmässige Piktogramme von Velos und Pfeilen auf der Strasse sorgen, sogenannte Sharrows. Das ist eine Zusammensetzung der englischen Wörter «shared» (geteilt) und «arrow» (Pfeil).
Auch Fussgängerstreifen können zu einem Flaschenhals werden, wenn sie in der Strassenmitte in einer Verkehrsinsel münden. Hier empfiehlt der Bericht durchgängig breite Radstreifen. Kraftfahrzeuge passen dann meist nicht mehr zwischen Radstreifen und Verkehrsinsel hindurch. Sie müssen daher auf den Radstreifen ausweichen, um die Stelle passieren zu können. Die Signalisation zeigt aber klar, dass hier das Velo Priorität hat und nicht überholt werden sollte.
Lässt sich der gewünschte Überholabstand trotz dieser Infrastrukturmassnahmen nicht gewährleisten, ist gemäss dem Radbest-Bericht ein Überholverbot von Velofahrenden für Kraftfahrzeuge in Erwägung zu ziehen. In Deutschland gibt es bereits eine entsprechende Regelung und passende Verbotsschilder, in der Schweiz noch nicht.
Wirkung von Veloinfrastruktur auf 22 Strecken getestet
Die Wirkung verschiedener Radinfrastrukturen und Signalisationen haben die Forschenden im Rahmen von Radbest auf 22 ausgewählten Streckenabschnitten getestet. Das taten sie sowohl in grösseren Städten wie Zürich als auch in ländlichen Regionen.
Mithilfe von Sensoren und Kameras haben sie zudem mehr als 7000 Kraftfahrzeug-Überholvorgänge analysiert. Die Daten zeigen, dass die Velofahrenden im Mittel mit einem Abstand von 1 bis 1,3 Meter überholt werden, also knapper als die erwünschten 1,5 Meter. Die Daten zeigen auch, dass die Überholabstände sehr stark variieren. Für Velofahrende bedeutet das, «dass ein erheblicher Prozentsatz der KFZ-Überholvorgänge mit unzumutbar geringen Abständen erfolgt, wodurch das Radfahren auf diesen Strecken von vielen als unangenehm oder unsicher wahrgenommen wird», heisst es im Bericht.
Damit sich die empfohlenen Massnahmen in der Schweiz umsetzen lassen, empfehlen die Studienautorinnen und -autoren mehrere Dinge: «Analog zu Österreich und Deutschland sollte die Schweiz innerorts einen minimalen Überholabstand von 1,5 Meter festlegen», sagt Hagedorn. Die Studie verweist hier auf Spanien, wo bei Nichteinhaltung des Überholabstandes eine hohe Strafe droht, was eine deutliche Wirkung zeige. Wie Hagedorn sagt, ist aber bis jetzt nicht geklärt, wie sich der Überholabstand zweckmässig überwachen lasse.
Eine weitere Forderung betrifft das Fahrtempo: «Es sollte einfacher möglich sein, Tempo 30 auch auf Hauptstrassen zu verordnen, insbesondere wenn Velos und Kraftfahrzeuge die Fahrbahn im Mischverkehr benutzen», sagt Hagedorn. Auch die Möglichkeit für ein Überholverbot von Velos durch Kraftfahrzeuge sollte in der Schweiz analog zu Deutschland eingeführt werden.
Veloweggesetz zeigt, wie wichtig das Velo für die Schweiz ist
«Die Abstimmung zum Veloweggesetz hat gezeigt, dass die Stimmbevölkerung das Velo als wichtige Mobilitätsform wahrnimmt und seine gezielte Förderung verlangt», sagt Thomas Rohrbach, Mediensprecher vom Astra. «Dies geschieht auch mit qualitativ hochwertigen, attraktiven und sicheren Verkehrsinfrastrukturen.»
Rohrbach gibt aber zu bedenken, dass Forschung wie beim Projekt Radbest immer ergebnisoffen sei. «Eine entsprechende Unterstützung eines Forschungsauftrags durch das Astra stellt noch keine Absichtserklärung oder einen Wunsch der Auftraggeber dar.» Inwiefern die Forschungsergebnisse in die Radwegnormierungen einfliessen, werde in den entsprechenden Kommissionen entschieden, also beim Schweizerischen Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute (VSS) und beim Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein (SIA). «Hier arbeiten auch verschiedene Bundesstellen mit», sagt Rohrbach. «Die Gestaltung der gesetzlichen Ebene wiederum ist in der Kompetenz des Parlaments.»
Zu beachten sei, dass das Parlament einen Mindestabstand beim Überholen von Radfahrenden verworfen habe, da die geltenden gesetzlichen Regelungen ausreichend seien: «Derjenige, der überholt, muss auf die übrigen Strassenbenützer, namentlich auf jene, die er überholen will, besonders Rücksicht nehmen», sagt Rohrbach.
Laut Roger Schaad, Projektleiter Kommunikation vom Tiefbauamt der Stadt Zürich, sind Grundlagenstudien und Recherchen wie Radbest «stets von Interesse und Relevanz, da sie wichtige Erkenntnisse liefern. Ein Vergleich zwischen den Ländern ist wichtig, da voneinander gelernt werden kann.»
Experimente mit Fahrsimulator soll Reaktion der Autolenkenden auf Infrastruktur zeigen
Die Stadt Zürich untersuche zurzeit in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften mögliche Lösungen für punktuelle Engstellen. «Das Experiment findet im Fahrsimulator statt und soll konkrete Erkenntnisse erbringen, wie Autolenkende auf Strassengestaltungen reagieren», sagt Schaad.
Auch die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten seien in der Stadt Zürich ein zentrales Thema. «In der Regel sind Quartierstrassen bereits als Tempo 30 umgesetzt, und mit der Strassenlärmsanierung sind auch Temporeduktionen auf übergeordneten Strassen angeordnet und in Prüfung», sagt Schaad.
Laut Hagedorn gibt es in der Schweiz durchaus Potenzial, den Veloverkehr durch geeignete Massnahmen aufzuwerten. «Unsere Studie bringt die Debatte zu diesem Thema auf eine sachliche Grundlage», sagt der Forscher. Natürlich könne die Umsetzung der empfohlenen Massnahmen beim Kraftfahrzeugverkehr zu gewissen Einschränkungen führen. «Letztlich geht es aber darum, ein gutes Nebeneinander aller Verkehrsmittel zu ermöglichen.»
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