Nachhaltig in SüdfrankreichMachen Sie sauber, s’il vous plaît!
In Marseille können Touristen am Strand Plastikabfall einsammeln. Zur Belohnung gibt es Rabatte in lokalen Bars und Geschäften.
![MARSEILLE, FRANCE - OCTOBER 07: Volunteers collect waste on the beaches of Marseille on October 07, 2021 in Marseille, France. After torrential rains hit the Mediterranean coast, the flood water carried the waste to the sea as a French garbage collector strike lasted nearly 10 days. (Photo by Arnold Jerocki/Getty Images)](https://cdn.unitycms.io/images/9DgLDx8Qq3_AXV5D2MxhuC.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=j0CSzcnasC8)
- Das Label Sauvage Méditerranée stellt Schmuck aus Plastikmüll aus dem Mittelmeer her.
- Der Gründer der Marke fördert auch sonst schonenden Tourismus in der Region.
- Dafür spannt er mit nachhaltig engagierten Partnerbetrieben – Restaurants, Bars, Läden – zusammen.
- Ziel ist es, Touristen und Ansässige für das Problem der Meeresverschmutzung zu sensibilisieren.
«Payez en déchets!» – Bezahlen Sie mit Abfall! Ein ungewöhnlicher Slogan für eine Schmuckmarke. Und doch passt er zur französischen Manufaktur Sauvage Méditerranée: Hier sind sämtliche «bijoux» aus Plastik hergestellt, und zwar aus solchem, das aus dem Meer gefischt wurde. Das Bezahlen funktioniert so: Wer für die Schmuckmacher zum Beispiel ein halbes Kilo PET-Flaschendeckel am Strand aufliest, erhält ein Armband aus recyceltem Fischernetz.
Seit kurzem gibt es für fleissige Helfer sogar eine – natürlich ebenfalls recycelte – Plastikmünze. Eintauschen kann man die «Monnaie Sauvage» in Läden, Bars und Beizen in Marseille. Gegen ein frisch gezapftes Bier, zum Beispiel. Gegen Honig oder einen Veloschlauch. Oder gegen eine preisreduzierte Shiatsu-Massage.
Ausgedacht hat sich dieses Konzept Emmanuel «Manu» Laurin. Der Gründer von Sauvage Méditerranée (also «wildes Mittelmeer») zog 2015 aus seiner Heimat Burgund ans Mittelmeer. Der heute 39-Jährige erlag wie so viele dem Zauber der südfranzösischen Küste. Er sei aber auch schockiert gewesen angesichts der Meeresverschmutzung, erinnert sich der Franzose.
![Emmanuel Laurin, Gründer von „Sauvage Méditerranée“. (Foto: Sauvage Méditerranée)](https://cdn.unitycms.io/images/BFTJsTugqMU8PYsfbCEVLJ.jpg?op=ocroped&val=1200,800,794,1000,0,103&sum=CZyzaJoeAOw)
Also beschloss er, in einem medienwirksamen Coup vom pittoresken Marseiller Fischerhafen Vallon des Auffes bis nach Toulon zu schwimmen – 120 Kilometer, acht Kilometer täglich – und dabei nach Müll zu tauchen. Zwei begleitende Kajakfahrer und ein Segelboot verstauten, was er aus dem Wasser zog. Ein Dokumentarfilm entstand («Le grand saphir»), mit dem er durchs Land tourte.
Im Jahr darauf, 2019, gründete er seine Schmuckmarke. Die hatte bald Fans, selbst Stars wie Marion Cotillard unterstützen Laurins Anliegen, ging es dem Jungunternehmer doch von Anfang an weniger um den Verkauf von Produkten als vielmehr darum, Gutes fürs Mittelmeer zu tun. Und damit trifft Manu Laurin einen Nerv.
Wer waschen will, muss auf dem Hometrainer strampeln
Schon bei der Einrichtung des Schmuckateliers in einer Lagerhalle im grünen Norden von Aix wurde Recycling ernst genommen: Das Fenster eines alten Wohnwagens fungiert als Trennwand zum Büro. Der grosse runde Tisch in der Mitte des Raums diente in einer früheren Funktion als Kabelspule. Und im hinteren Eck steht ein ausgemusterter Heimtrainer, angeschlossen an eine Waschmaschine. «Wir wollen hier ja nachhaltige Energie nutzen», erklärt Manu Laurin gut gelaunt – und beginnt auch gleich, in die Pedale zu treten: Nach wenigen Umdrehungen fängt die alte Waschmaschine an zu rumpeln. Über einen Kanister läuft Wasser zu und wird nach dem Wäschevorgang wieder aufgefangen. «Das Wasser kann man mehrmals verwenden, es braucht auch keine Seife», sagt Laurin. Schliesslich werden hier keine heiklen Stoffe gewaschen, sondern die Verschlusskappen von Plastikflaschen.
Die werden Laurin und seinem Team so rasch nicht ausgehen – ringsum lagert in hohen Regalen der Müll, den das Label als Materialfundus nutzt: Plastikverschlüsse in allen Farben, Segeltuch, alte Seile oder auch kaputte Fischernetze, die mit wenigen Handgriffen zu Einkaufstaschen umfunktioniert werden. «Alles, was hier liegt, wurde wirklich wild gefunden», sagt Laurin.
![Besser am Ohr als im Meer: Die französische Manufaktur Sauvage Méditerranée stellt Schmuck aus angespültem Plastik her.](https://cdn.unitycms.io/images/81qpZOo1aby9jEuNBcErP5.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=zUUhXYcwGCg)
Die erste Etappe der Verwandlung von Schrott zu Schmuck ist die Säuberung: «Am Plastik ist viel Sand dran, manchmal auch ein Möwenschiss.» 30 Minuten müsse man ungefähr in die Pedale treten, um den Dreck von den Kappen zu waschen. «Danach legen wir sie einfach zum Trocknen in die Sonne», erklärt der Unternehmer. Anschliessend wird nach Farbe und Plastiktyp sortiert. «Polyethylen und Polypropylen sollte man nicht zusammen verarbeiten.»
Zu guter Letzt wird das sortierte Plastik gehäckselt, erhitzt und in Form gegossen. Zu kleinen Perlen oder in dünne Kacheln, aus denen mit einer Fräse Bilder geschnitten werden. Der Umriss der Kirche Notre-Dame de la Garde in Marseille ist ein Verkaufsschlager. Oder auch die Silhouette des Mont Sainte-Victoire, den Cézanne wieder und wieder gemalt hat. Manchmal gehen auch Sonderbestellungen ein: So überreichte der Fussballclub Olympique Marseille letztes Jahr seinem besten Spieler einen von Sauvage Méditerranée gestalteten Pokal.
![Die Notre-Dame de la Garde thront als Wahrzeichen über Marseille. Bei Sauvage Méditerranée gibt es sie auch aus Recyclingplastik.](https://cdn.unitycms.io/images/6kveUeAWKMYB2whu49g8KN.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=Y3cTyf52GE4)
Plastikmünze gegen Ziegenkäse
«Zehn Prozent des Verkaufserlöses geht zurück an die Partnerorganisationen, die uns den Müll besorgen», so Laurin. «Pro Jahr können wir ihnen ungefähr 20’000 Euro überweisen.» Auch das Plastikgeld kommt den Partnern zugute: In den teilnehmenden Betrieben stehen beschriftete Sammeldosen. Wer etwa den gemeinnützigen Verein «Clean My Calanques» bei seinen beliebten Müllsammelaktionen an den Buchten der Calanques zwischen Marseille und Cassis unterstützen will, wirft seine Plastikmünze dort ein. Pro Münze überweist Sauvage Méditerranée fünf Euro an die jeweilige Organisation.
Die Marseiller Händler, die das Plastikgeld akzeptieren, tun das auf eigene Kosten. Die Beweggründe, mitzumachen, lägen dennoch auf der Hand, erzählt Laurin: «Der schwierigste Part für Händler und Betriebe ist es, Gäste anzulocken. Wenn die Leute erst mal da sind, trinken sie vermutlich auch ein zweites Bier oder kommen wieder.» Obendrauf komme der Werbeeffekt: «Mit unserer Aktion stellen wir ökologisch sensibilisierte und verantwortungsbewusste Adressen ins Rampenlicht, führen ihnen Kundschaft zu – und bringen sie manchmal sogar in die Medien.»
![Marseille, France, 06 October 2021. While the accumulation of garbage due to the strike of the garbage collectors and the big storm of October 4th made accumulate huge quantities of waste on the beaches of Marseille, many volunteers responded to the call of the association Clean My Calanques to come and collect the waste on the coastline.
Marseille, France, le 06 octobre 2021. Alors que l’accumulation des poubelles liée à la greve des eboueurs et le gros episode orageux du 04 octobre ont fait s’accumuler d’énormes quantités de déchets sur les plages de Marseille, de tres nombreux benevoles ont repondus à l’appel de l’association Clean My Calanques pour venir ramasser les déchets sur le littoral.](https://cdn.unitycms.io/images/FbrB_I1Z4szAXoJti7Ukqt.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=MZEJ4apaNBc)
Eigentlich agiere Sauvage Méditerranée ähnlich wie eine Kommunikationsagentur, sagt der Franzose, der inzwischen rund 20 Betriebe in Marseille auf der Monnaie-Sauvage-Stadtkarte verzeichnen kann. Bis Ende des Jahres sollen es 30 sein. Im Bio-Restaurant Gérarh auf dem Cours Julien, der Street-Art-verzierten Ausgehmeile Marseilles, wird für eine Plastikmünze ein Glas Wein ausgeschenkt. Bei La Laiterie Marseillaise, der ersten urbanen Käserei der Stadt in der hübschen Rue Sainte, erhält man einen Ziegenkäse dafür, im edlen Vintage-Laden Seconde Vie unweit des Alten Hafens pro Einkauf 15 Prozent Rabatt.
Auch in der Bio-Brasserie Zoumaï könnte man einen Müllsammeltag ganz hervorragend ausklingen lassen. Rechter Hand wird in grossen Tanks gebraut, linker Hand werden Pizzas gebacken, etwa die «Orientale» mit der scharfen maghrebinischen Hackfleischwurst Merguez. Chef Antoine Poignon serviert für eine Sauvage-Plastikmünze ein zischend kaltes Bier – ein Extra Special Bitter namens Riou zum Beispiel oder Maïre, das American Rye IPA. Oder das Pale Ale Frioul: «Wir haben unsere Biere nach den Inseln vor Marseille benannt», erklärt Poignon, der die Bio-Brauerei 2018 gemeinsam mit zwei Freunden eröffnete. «Und Sauvage hat als Ziel, deren Küsten zu schützen. Das passt.»
Und der Name der Brasserie? Zoumaï ist aus zwei provenzalischen Worten zusammengesetzt: zou bedeutet «los jetzt», maï «noch mehr». Noch ein Bier also? Her damit!
Hinweis der Redaktion: Die Recherchereise für diesen Artikel wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.
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