Vor wichtigem Europa-EntscheidParmelin holt neuen Lohnschutz-Chef – Gewerkschaften sprechen von «reiner Provokation»
Jérôme Cosandey wird neuer Chef der Direktion für Arbeit. Er kommt von Avenir Suisse – wo man die Lohnschutzmassnahmen abschaffen will. Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard zeigt sich entsetzt.
![Jérôme Cosandey, Directeur romand und Forschungsleiter Tragbare Sozialpolitik bei Avenir Suisse, im Anzug, stehend im Hauptsitz in Zürich, Puls 5.](https://cdn.unitycms.io/images/30ARZ8KE4QXB7h1W8nH_QZ.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=7DXO5Xo9Vxk)
- Jérôme Cosandey wird Chef der Direktion für Arbeit beim Seco.
- Er ist dort für Lohnschutz und Personenfreizügigkeit verantwortlich.
- Cosandey war Direktor beim liberalen Thinktank Avenir Suisse.
- Gewerkschaften kritisieren Cosandeys Ernennung als provokative Entscheidung von Bundesrat Guy Parmelin.
Seit Anfang Jahr ist einer der wichtigsten Chefposten im Departement von Guy Parmelin nicht besetzt. Boris Zürcher, der frühere Leiter der Direktion für Arbeit, arbeitet nun bei der ETH. Sein Abgang wurde schon Ende August bekannt gegeben – wer sein Nachfolger wird, war aber bisher offen. Jetzt zeigen Recherchen, dass die Wahl auf Jérôme Cosandey gefallen ist. Der Westschweizer ist Direktor des liberalen Thinktanks Avenir Suisse in Lausanne.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft wollte die Ernennung auf Anfrage dieser Redaktion zuerst nicht bestätigen, veröffentlichte dann aber am Dienstagabend eine Medienmitteilung. Er wird beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) unter anderem für den Schutz der Arbeitnehmer und deren Löhne sowie für die Personenfreizügigkeit zuständig sein. Diese Themen sind derzeit in Bezug auf das EU-Vertragspaket zentral. Eng zusammenarbeiten muss er mit Gewerkschaften und Arbeitgebern.
Der Arbeitgeberverband will die Personalie nicht kommentieren. Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard kritisiert die Wahl von Cosandey auf Anfrage derweil scharf. Der Thinktank Avenir Suisse habe sich «radikal für die Abschaffung des Lohnschutzes eingesetzt», sagt Maillard und ergänzt: «Diese Nominierung ist eine reine Provokation – und sie zeigt, wie wenig sich Bundesrat Parmelin um die Verteidigung der Schweizer Löhne kümmert.»
«Ein politisches Signal»
Die Wahl des neuen Direktors oblag dem Wirtschaftsdepartement von SVP-Bundesrat Guy Parmelin. Laut dem Seco hat sich dort Staatssekretärin Helene Budliger Artieda für Cosandey entschieden. In der Medienmitteilung heisst es, er bringe «ein breites Fachwissen, Erfahrung in der Führung komplexer Projekte und tiefe Kenntnis der Schweizer Wirtschafts- und Sozialpolitik» mit. Cosandey sagt auf Anfrage: «Ich freue mich riesig auf die neue Herausforderung an der Schnittstelle zu den Sozialpartnern und den Kantonen».
Schon seit Monaten führt Budliger Gespräche mit den Gewerkschaften und den Arbeitgebern über den Lohnschutz. Deren Erfolg wird darüber entscheiden, ob das Vertragspaket mit der EU in der Schweiz eine Chance hat. Diskutiert wird, wie die Löhne von Arbeitnehmenden mit sogenannten flankierenden Massnahmen im Inland abgesichert werden können. Falls sich die Sozialpartner einig werden, wird Cosandey für die Umsetzung dieser Massnahmen zuständig sein.
Avenir Suisse hat 2017 ein Papier mit einer detaillierten Position zu den flankierenden Massnahmen (FlaM) veröffentlicht. Dort hiess es: «Ein Rückbau der FlaM liegt im Interesse eines liberalen Arbeitsmarktes und derjenigen, die neu in den Arbeitsmarkt einsteigen wollen.» Eine andere Publikation des Thinktanks trug den Titel: «Warum der Staat auf Lohnpolitik verzichten kann – und soll.» Auch gegen Mindestlöhne spricht sich Avenir Suisse aus. Nun betrifft aber eine zentrale Forderung der Gewerkschaften ebendiese Mindestlöhne. So sollen Gesamtarbeitsverträge leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden. Dadurch können branchenweite Mindestlöhne eingeführt werden.
Dazu – und zur Kritik der Gewerkschaften sagt Cosandey, er sei überzeugt, dass man die Schweiz von unten her organisieren müsse. «Wenn immer möglich, sollte es das Ziel sein, dass die Sozialpartner gemeinsam eine Lösung finden – auch was Mindestlöhne angeht.» Das sei auch mit seinem bisherigen liberalen Standpunkt gut vereinbar. Er selbst sehe sich künftig als «eine Art Mediator» zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern.
Schon Cosandeys Vorgänger, Boris Zürcher, hat früher bei Avenir Suisse gearbeitet, als Chefökonom und Vizedirektor. Was auch heisst: Unüblich ist die Wahl nicht. Darauf angesprochen, sagt Maillard: «Ich weiss nicht, ob Avenir Suisse jetzt ein Exklusivrecht auf diesen Posten hat.» Schon Boris Zürcher sei dem Lohnschutz kritisch gegenübergestanden. Deshalb hat sich der Schweizerische Gewerkschaftsbund laut Maillard diesmal jemanden gewünscht, der eine neutrale Perspektive vertritt. «Das ist definitiv nicht der Fall. Diese Ernennung ist ein politisches Signal – und das ausgerechnet jetzt, wo die Lohnschutz-Gespräche in die Schlussphase gehen.»
Die Gewerkschaften kritisierten im Dezember das Vertragspaket mit der EU scharf. In den letzten Tagen hatte der Gewerkschaftsbund einen etwas konzilianteren Ton angeschlagen. Bereits nächste Woche sollen die Sozialpartner unter Anwesenheit des Wirtschaftsministers die wichtigsten Entscheide zum Lohnschutz fällen. Wenig später dürfte sich zeigen, ob eine Einigung gelungen ist.
In Bombay und bei der UBS gearbeitet
Cosandey tritt seinen Posten erst Mitte Mai an. Er wurde in La Chaux-de-Fonds geboren, hat in Genf sowie an der ETH studiert und spricht neben Französisch auch fliessend Deutsch. Er arbeitete in Mumbai für das grosse Beratungsunternehmen Boston Consulting Group, bevor er zur UBS wechselte, wo er als Executive Director in der Vermögensverwaltung tätig war. Bei Avenir Suisse ist Cosandey seit 2011. Er war dort für Sozial- und Gesundheitspolitik zuständig, bevor er vor rund sieben Jahren Chef des Romandie-Geschäfts wurde.
Der Deutschschweizer Direktor von Avenir Suisse, Jürg Müller, sagt zum Wechsel seines Kollegen: «Dank seiner strategischen Weitsicht, Fachkompetenz und hervorragenden Vernetzung hat Jérôme wesentlich dazu beigetragen, die Debatte in der Schweiz mit neuen Reformideen zu bereichern».
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