Putins Verschwörungstheorie Der «ethnische Jude» Selenski soll Nazismus kaschieren
Wladimir Putin behauptet, der Westen habe Wolodimir Selenski in Kiew als Staatschef eingesetzt. Der Kremlchef bereitet damit dem Antisemitismus den Boden.
Mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine befeuert der russische Präsident Wladimir Putin auch unzählige Verschwörungstheorien. Dazu gehört das Märchen, die Ukraine sei kein souveräner Staat, oder der Mythos, die Nato habe den Konflikt mit der friedliebenden Grossmacht Russland provoziert. Nun hat Putin noch eine Propagandalüge aus der Mottenkiste geholt.
Er beschuldigte den Westen diese Woche, einen «ethnischen Juden» als Staatschef in Kiew eingesetzt zu haben. Die Marionette Wolodimir Selenski kaschiere die Verherrlichung des Nazimus in der Ukraine, so der Kremlchef gegenüber russischen Medien. Putin meinte, Selenskis Wahlsieg 2019 sei das Ergebnis eines vom Westen unterstützten Komplotts. Im «Herzen des ukrainischen Staates» liege «ein unmenschliches Wesen», fuhr der Kriegstreiber fort und unterstellte Selenski, er decke jene Ukrainer, die den Holocaust «angeführt» hätten.
Viele Juden verlassen Russland
Es ist nicht das erste Mal, dass Putin mit Geschichtsklitterung irritiert. Auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg im Juni erklärte Putin, Selenski decke «mit seinen Taten diese Missgeburten, diese Neonazis». Dabei sei der ukrainische Präsident «kein Jude, er ist eine Schande des jüdischen Volkes». Deshalb bleibe die «Entnazifizierung» der Ukraine die «Schlüsselaufgabe» Moskaus. Für die Ermordung von 1,5 Millionen Juden in der Ukraine während des Zweiten Weltkrieges beschuldigte Putin ukrainische Nationalisten. Dass die SS und die deutsche Wehrmacht erwiesenermassen die Hauptschuld für die Gräueltaten trugen, verschwieg er geflissentlich.
Der Oberrabbiner von Moskau, Pinchas Goldschmidt, sagte bereits im Mai gegenüber dem britischen «Guardian», der Antisemitismus in Russland habe zugenommen. Er forderte alle Juden auf, das Land zu verlassen. Nach Angaben der Jewish Agency wanderten allein 2022 fast 40’000 Juden aus Russland nach Israel aus. Goldschmidt, in Zürich geboren, weigerte sich, Putins Eroberungskrieg zu unterstützen und verliess Russland nach 33 Jahren.
Putins neuste antisemitische Ausfälle seien selbst für seine Verhältnisse abscheulich, meinte der britische Historiker Ian Garner.
Wolodimir Selenski ist der erste jüdische Staatschef der Ukraine. Seine Urgrosseltern und drei Grossonkel wurden während des Holocaust ermordet, sein Grossvater starb im Kampf gegen die Nazi-Truppen. Das ukrainische Aussenministerium verurteilte die Äusserungen des Kremlchefs. «Putins chronische Fixierung auf die ethnische Herkunft des ukrainischen Präsidenten ist ein weiterer Beweis für den tief verwurzelten Antisemitismus der russischen Eliten.» Putins neuste antisemitische Ausfälle seien selbst für seine Verhältnisse abscheulich, meinte der britische Historiker Ian Garner auf der Twitter-Nachfolgeplattform X.
Die russischen Bomben haben bisher mindestens einen Holocaust-Überlebenden getötet. Boris Romantschenko hatte vier Konzentrationslager der Nazis überlebt. Im vergangenen Jahr starb er im Alter von 96 Jahren, als eine russische Rakete sein Haus in Charkiw traf.
2015 hatte er auf dem Gelände des KZ Buchenwald das Gelöbnis der Überlebenden gesprochen: «Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ideal.» Bei einem russischen Angriff wurde auch die Gedenkstätte Babyn Jar bei Kiew beschädigt. Dort hatte ein Sonderkommando der Wehrmacht 34’000 Juden ermordet.
Fehler gefunden?Jetzt melden.