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Prozess am Bezirksgericht Dielsdorf
«Brian ist selbst schuld an Einzelhaft», sagt der Staatsanwalt

Verhandlung gegen Brian K.

Es geht um die Vorfälle in der Isolationshaft, ua. soll Brian ein Glasstück gegen eine Tür geworfen haben, hinter der ein Aufseher stand. Urteil: 8.11. 10 Uhr

Zeichnung vom 30.10.2023, Bezirksgericht Dielsdorf. Credit Robert Honegger
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Dieser Auftakt am Prozess gegen Brian K., den bekanntesten Straftäter der Schweiz, war nicht zu erwarten. Strafrechtsprofessor Jonas Weber beurteilte die Haftbedingungen in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies als rechtswidrig: «Dieses Vollzugssetting ist eindeutig als menschenrechtlich verbotene Einzelhaft zu werten.»

Weber sprach nicht im Auftrag der Verteidigung, er ist ein amtlich bestellter Gutachter. Im Auftrag der Gerichte hatte er die Rechtmässigkeit der rigiden Haft abzuklären. Die Zürcher Strafbehörden hatten diese bisher immer als korrekt und unvermeidbar verteidigt.

Doch nun kam der Gutachter zu einem ganz anderen Schluss, wie er vor dem Bezirksgericht Dielsdorf ausführte. Er bestätigte damit die Einschätzung von UNO-Sonderberichterstatter Niels Melzer aus dem Jahr 2021. Die Zürcher Justizdirektion hatte Melzers Kritik damals umgehend zurückgewiesen.

Viel zu lange, viel zu scharf

Dreieinhalb Jahre hatte der heute 28-jährige Brian in Einzelhaft verbracht, was die Behörden mit seiner Gefährlichkeit begründeten. Eine so lange Einzelhaft liege weit über der erlaubten Dauer von 15 Tagen, kritisierte Weber.

Mehr noch: Die Behörden versagten dem Gefangenen auch die zwei Stunden «meaningful human contact», zu Deutsch «bedeutungsvoller menschlicher Kontakt», den die internationalen Vorschriften verlangen.

Besuche fanden, wenn überhaupt, hinter der Trennscheibe statt, dennoch war Brian in dieser Zeit jeweils an Händen und Füsse gefesselt. Ein wirklicher zwischenmenschlicher Kontakt sei damit nur «unzureichend verwirklicht worden», zumal die Besuche aus disziplinarischen Gründen immer wieder unterbunden wurden.

Bezirksgericht Dielsdorf

Sibylle Meier (sim) 2.4.21

Erschwerend kommt aus Sicht des Gutachters hinzu, dass Brian wochenlang nahezu ausschliesslich zu jenen Aufsehern Kontakt hatte, mit denen er rechtlich im Streit lag – beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig in Strafverfahren. «Brian hat sich darüber in seinem Tagebuch beklagt», so der Gutachter.

Auch die medizinische Versorgung sei ungenügend gewesen. Die Gefängnisärzte hätten laut Weber zwingend externe Fachleute beiziehen sollen. Stattdessen verschrieben sie Brian über Monate starke Schmerzmittel, ohne ihn genauer zu untersuchen.

Lockerungen sind keine feststellbar

Und noch in einem Punkt setzten sich gemäss Gutachter Weber die Pöschwies-Verantwortlichen und die Behörden über geltendes internationales Recht hinweg: Dieses verlangt, dass Einschränkungen in einem Bereich mit Lockerungen in einem anderen ausgeglichen werden müssen. Welche das sein könnten, sagte Weber nicht. Denkbar wären aber zum Beispiel längere Spaziergänge.

Dabei gelte, dass die Lockerungen umso weiter gehen müssten, je schärfer die Einschränkungen seien. «Doch Lockerungen sind kaum ersichtlich», sagte Jonas Weber.

«Das Verbot unmenschlicher Behandlung greift absolut, so unerwünscht und gefährlich das Verhalten des Betroffenen auch sein mag.»

Jonas Weber, Strafrechtsprofessor

Dass sich Brian in der Pöschwies ausgesprochen renitent verhalten habe, dass er Drohungen ausgestossen, das Personal angegriffen und immer wieder seine Zelle verunreinigt und demoliert habe, sei kein ausreichendes Argument für die Einzelhaft, sagte Weber. «Das Verbot unmenschlicher Behandlung greift absolut, so unerwünscht und gefährlich das Verhalten des Betroffenen auch sein mag.»

Freilassung wäre «ein grosses Experiment»

Eine ganz andere Frage ist, inwieweit die harschen Haftbedingungen Brians Verhalten beeinflussten oder die Straftaten mit auslösten, für die er sich derzeit vor Gericht verantworten muss. Und ob Brian «draussen ein anderer» wäre, wie dies seine Anwälte schon mehrfach gesagt haben.

Dazu befragte Marc Gmünder, der vorsitzende Richter am Bezirksgericht Dielsdorf, den Psychiater Henning Hachtel. Der Forensiker ist Chefarzt an der Universitären Psychiatrischen Klinik Basel, er hat bereits mehrere psychiatrische Gutachten über Brian verfasst.

«Eine Freilassung wäre ein grosses Experiment.»

Henning Hachtel, Forensiker

Wirklich festlegen mochte sich Hachtel nicht. Zwar ist für den Psychiater aufgrund der Akten klar, dass Brian an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung mit psychopathischen Zügen leidet. Auch ein Erwachsenen-ADHS könne vorliegen. Nur: Hachtel hat Brian nie befragt – Brian wollte ihn nicht sehen.

Weshalb er auch nicht mit Sicherheit zu sagen wusste, inwieweit die Einzelhaft Brian psychisch destabilisierte. Auch auf die Frage, ob die Rückfallgefahr in Freiheit kleiner sei als hinter Gittern, sagte Hachtel nur: «Das ist extrem schwierig zu sagen.» Eine Freilassung wäre «ein grosses Experiment, wenn Sie mich fragen».

Staatsanwalt will 9 Jahre und 7 Monate

Geht es nach Staatsanwalt Ulrich Krättli, ist eine Freilassung allerdings noch auf Jahre hinaus kein Thema. Er beantragte eine Strafe von 9 Jahren und 7 Monaten, unter anderem wegen versuchter schwerer Körperverletzung, einfacher Körperverletzung in mehreren Fällen sowie Drohungen und Sachbeschädigungen.

Krättli schilderte einen Häftling, bei dem Übergriffe und massivste Drohungen «an der Tagesordnung» gewesen seien – so sehr, dass die Aufseher die Details nicht mehr genau in Erinnerung hätten.

Insgesamt 30 Vorfälle listet die Anklageschrift auf. Mündlich ging der Staatsanwalt nur auf den schwersten detailliert ein. Brian soll demnach das Sicherheitsglas zum Vorraum seiner Zelle zerstört und dann das Sichtfenster in der Haupttür verschmutzt haben. Als seine Aufseher diese Haupttür einen Spalt öffneten und einen Wischmopp durchsteckten, um das Fensterchen zu reinigen, soll Brian eine Scherbe gegen die Tür geworfen haben. Diese traf einen Aufseher am Kopf und verursachte Kratzer.

Für den Staatsanwalt ist das eine eventualvorsätzliche, versuchte schwere Körperverletzung. Brian habe gewusst, dass er mit der scharfkantigen Scherbe dem Aufseher an der Tür bleibende oder sogar tödliche Verletzung hätte zufügen können, «namentlich eine Verletzung am Auge oder gar an der Halsschlagader».

Dass sich Brian nur gegen die unmenschlichen Haftbedingungen gewehrt habe, liess Krättli nicht gelten. Brian habe die «als rigide empfundene» Behandlung selbst verschuldet. «Es machte ihm Spass, gegen die Aufseher in den Krieg zu ziehen.» 

Verteidiger verlangt Millionen-Genugtuung

Brians Verteidiger Thomas Häusermann hielt dem entgegen: «Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus.» Und gerufen hätten die Behörden, nicht Brian – der habe lediglich auf die gesundheitsschädigende Haftsituation reagiert. Die Pöschwies habe Brian von nahezu allen Reizen ferngehalten: «Mein Mandant hat versucht, sich diese Reize selbst zu verschaffen, um nicht zu verkümmern.» 

Dass es anders gehe, zeige sich im Gefängnis Zürich, wo sich Brian seit bald zwei Jahren grösstenteils anständig verhalte. Er habe sich dort problemlos in eine grosse Gruppe eingefügt, halte sich stundenlang ausserhalb seiner Zelle auf.

Häusermann verlangte einen vollumfänglichen Freispruch und eine Genugtuung von 2000 Franken für jeden Tag in Einzelhaft. Das entspräche mehr als zwei Millionen Franken.

Rapporte und Journale beweisen nichts

Die eingeklagten Vorwürfe wies Häusermann allesamt zurück. Zum Scherbenwurf sagte der Verteidiger, Brian habe den Aufseher weder gesehen, noch habe er ihn verletzen wollen oder nur schon damit rechnen müssen, dass die Scherbe so abprallen könnte, dass sie jemanden treffen würde. 

Ohnehin seien die Delikte nicht rechtsgenügend beweisbar – weil die Staatsanwaltschaft das Verfahren verschleppt habe. Tatsächlich nahm Ulrich Krättli die Untersuchung erst rund drei Jahre nach den angeblichen Taten an die Hand. Die Folge: Die betroffenen Aufseher konnten sich laut Häusermann grösstenteils nicht mehr an die einzelnen Vorfälle erinnern.

Die Männer hätten zudem vor den Befragungen jeweils in den Gefängnis-Journalen und den polizeilichen Rapporten nachgelesen, was zu den Vorfällen notiert worden sei, und dann einfach das wiedergegeben.

Das genüge als Beweismittel nicht, sagt Häusermann: «Beweisbar ist gemäss ständiger Rechtsprechung nur das, was die betroffene Person in eigenen Worten und gemäss ihrer Erinnerung schildern kann.»  Anders könne das Recht des Beschuldigten nicht gewahrt werden, sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen. Nur schon deshalb müsse Brian freigesprochen werden.

Das Verfahren geht am Dienstag mit einem Plädoyer von Anwalt Philip Stolkin weiter. Das Urteil soll am 8. November eröffnet werden.